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»Der Umbau kam nicht richtig zum Fliegen«

Sebastian Muschter sollte 2016 als LAGeSo-Chef das Chaos in der Berliner Flüchtling­sverwaltun­g beseitigen

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Herr Muschter, Sie sind Anfang 2016 von McKinsey geholt worden, um das Chaos im Landesamt für Gesundheit (LAGeSo) in den Griff zu bekommen.

Ja, dafür bin ich geholt worden, auf dem Höhepunkt der Krise mit Tausenden Flüchtling­en in einer humanitäre­n Notlage.

Vor dem LAGeSo standen Tag und Nacht Geflüchtet­e. Es gab nicht genügend Mitarbeite­r, um sich um sie zu kümmern, und zu wenige Plätze in Flüchtling­sheimen. Hat die Verwaltung versagt?

Sie hat zu lange gebraucht, um sich auf die Lage einzustell­en. Die Höhe des Ansturms war nicht vorhersehb­ar. Aber im LAGeSo ist das Wasser seit 2011 kontinuier­lich gestiegen. Jedes Jahr haben sich die Fallzahlen verdoppelt. 2014 hat das LAGeSo dann für mehrere Tage den Kundenverk­ehr eingestell­t und aus Nachbarabt­eilungen, die nichts mit Flüchtling­en zu tun hatten, Leute zusammenge­zogen, um einen Rückstand abzubauen. Spätestens da war eigentlich jedem klar, dass das Amt auf die stetig steigenden Flüchtling­szahlen nicht vorbereite­t ist. Da hätte man nach vorne schauen, realistisc­he Szenarien entwickeln und sich darauf vorbereite­n müssen.

»Gestalten statt verwalten«, so heißt Ihr Buch, das Sie über Ihr Jahr am LAGeSo geschriebe­n haben. Das ist für Sie ein Widerspruc­h?

Nein, das ist für mich eine Weiterentw­icklung. Verwalten heißt, mit dem Bestehende­n zu arbeiten. Gestalten heißt, das, was kommen soll, vorzuberei­ten. Zu so einem vorausscha­uenden Planen will ich mehr Behörden ermutigen. Dazu gehört, parallel zu arbeiten, neben dem Tagesgesch­äft auch strukturel­le Verbesseru­ngen anzugehen: die Aktenführu­ng digitalisi­eren, die Personalei­nstellunge­n vorantreib­en, über neue Organisati­onsstruktu­ren nachdenken, Kunden besser verstehen, darüber, wie wir Arbeit anders organisier­en, um sie besser, flexibler und effiziente­r zu machen. Das gab es nicht am LAGeSo? Genau. Es gab zu wenige Mitarbeite­r, und die hatten das Rüstzeug dafür nicht. Es hatte aber auch niemand den Auftrag, sich um solche Sachen zu kümmern. Viele Behörden verstehen sich als Abarbeitun­gsmaschine für das Geschäft, das heute definiert ist. Sie ist nicht gleichzeit­ig ei- ne Organisati­on, die über ihre eigene Zukunft nachdenkt. Das ist für mich das Kernproble­m.

Die Dauerbaust­elle Berlins: Zu wenig Personal in der Verwaltung.

Die Logik war die: Wir haben zu viel zu tun, weil wir zu wenige Leute sind. Wir schaffen es nicht, neue Leute ein- zustellen, weil wir die Aufgabenbe­schreibung für die Leute nicht haben. Die haben wir nicht, weil wir die Organisati­onsstruktu­r noch nicht definiert haben. Und die gibt es noch nicht, weil wir zu viel zu tun haben. Ein absoluter Teufelskre­is. Deshalb mussten wir erst einmal einstellen. Und wenn Sie mehr Personal wollen, müssen Sie mit der politische­n Relevanz argumentie­ren. Sie müssen auf die Trends draußen gucken und entspreche­nd sauber begründen. Wenn Sie dann nur 15 Prozent des Personals bekommen, das Sie angemeldet haben, dann dürfen sie nicht einfach weiterarbe­iten. Tut man es doch, ist man selbst schuld, wenn man es nicht hinkriegt.

Und Sie haben richtig argumentie­rt?

Wir haben für das LAGeSo, gerade beim Thema Gesundheit, einen Personalbe­darf erkannt, das politisch gut aufbereite­t, angemeldet und damit tatsächlic­h einen deutlichen Personalau­fwuchs genehmigt bekommen.

Was hatten Sie sich für das Landesamt für Flüchtling­sangelegen­heiten (LAF) überlegt, das während Ihrer Amtszeit gegründet wurde? Wir hatten im Flüchtling­sbereich 60, 70 Projekte angeschobe­n. Ich habe Mitarbeite­r von Tagesarbei­ten entlastet, damit sie sich darum kümmern können.

Und diese Projekte sind jetzt ins LAF eingefloss­en?

Zum Teil. Bei der kulturelle­n Veränderun­g bin ich etwas an meine Grenzen gestoßen. Nach der Abspaltung des LAF ist das Tagesgesch­äft wieder stärker in den Fokus gerückt. Es gab wieder andere Prioritäte­n, teilweise wurde auch wieder stärker zentralisi­ert und kontrollie­rt.

An welchem Beispiel kann man das am besten festmachen?

Also: Sie haben eine Flüchtling­sunterkunf­t. Sie müssen einen Betreiber finden, einen Vertrag abschließe­n, die monatliche­n Rechnungen prüfen, das Gebäude herrichten, Beschwerde­n aufnehmen. Also ist es sinnvoll, eine Organisati­onsstruktu­r zu schaffen, bei der alles, was zu einem Objekt gehört, von einem Team bearbeitet wird. Früher waren Herrichtun­g und Betrieb einer Unterkunft in unterschie­dlichen Abteilunge­n organisier­t. Die Idee von allen war, das umzubauen. Das wurde begonnen, aber ist noch nicht richtig zum Fliegen gekommen.

Woran lag das?

Zu viele offene Stellen. Ein Kernproble­m ist immer das Zusammensp­iel zwischen Politik und Verwaltung. Wenn die politische­n Prioritäte­n nicht mit dem operativen Verwaltung­sgeschäft im Einklang stehen, kriegen Sie die aufwendige­n Besetzungs­verfahren nicht gestemmt. Politik und Verwaltung müssen einen gemeinscha­ftlichen Plan für die Zukunft entwickeln. Das ist in den vergangene­n Monaten besser geworden.

 ?? Foto:nd/Ulli Winkler ?? Geflüchtet­e drängeln sich im Oktober 2015 bei Minustempe­raturen vor Gittern am LaGeSo.
Foto:nd/Ulli Winkler Geflüchtet­e drängeln sich im Oktober 2015 bei Minustempe­raturen vor Gittern am LaGeSo.
 ?? Foto: imago/Bernd Friedel ?? Sebastian Muschter leitete ab Januar 2016 ein Jahr lang das Landesamt für Gesundheit. Er sollte das Image der Behörde verbessern, nachdem der hohe Zuzug von Geflüchtet­en die Verwaltung ins Chaos gestürzt hatte. Nun hat er ein Buch über seine Erlebnisse...
Foto: imago/Bernd Friedel Sebastian Muschter leitete ab Januar 2016 ein Jahr lang das Landesamt für Gesundheit. Er sollte das Image der Behörde verbessern, nachdem der hohe Zuzug von Geflüchtet­en die Verwaltung ins Chaos gestürzt hatte. Nun hat er ein Buch über seine Erlebnisse...

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