nd.DerTag

Sieben Tage, sieben Nächte

- Wolfgang Hübner

Beginnen wir mit Heinrich Heine. »Heldentum und Schönheit«, schrieb er, »müssen zwar frühzeitig untergehen, zur Freude des Pöbels und der Mittelmäßi­gkeit, aber großmütige Dichter entreißen sie der Gruft und bringen sie rettend nach irgend einer glückselig­en Insel, wo weder Blumen noch Herzen welken.« Wir haben jetzt die 16. Woche nach der Bundestags­wahl, und noch immer wird eine Regierung gesucht. Helden waren dabei nicht zu entdecken, abgesehen davon, dass Christian Lindner sich für einen hält. Und schön ist das Ganze erst recht nicht, weshalb sich mit Sicherheit kein Poet davon zu irgendetwa­s wird animieren lassen.

Wahrschein­lich ist es kein Zufall, dass ausgerechn­et an der Heinrich-Heine-Universitä­t in Düsseldorf jemand eine Studie ausknobelt­e, in der die Begriffe Politik und Schönheit zusammentr­effen. Bei der Gelegenhei­t war zu erfahren, dass es staatlich bezahlte Attraktivi­tätsforsch­er gibt. Ein solcher leitete die Studie, ein ansehnlich­er Soziologie­professor. Übrigens gab es mal eine Schnulze mit der Textzeile »Mein lieber Herr Professor, Sie küssen ja viel bessor, als man vermuten kann.« Aber wir schweifen ab.

Also, der Professor fand heraus, dass die Attraktivi­tät der Wahlkandid­aten eine immer wichtigere Rolle spielt, ja, dass sie nach dem Bekannthei­tsgrad an zweiter Stelle unter den Entscheidu­ngskriteri­en kommt. Es wäre kein Wunder, wenn ein Teil des privatfern­sehgeschul­ten Publikums Wahlen für ein Remake erfolgreic­her Formate wie »Bauer sucht Frau« oder »Adam sucht Eva« hält. »Kopf sucht Hirn« wurde noch nicht erfunden. Aber wir schweifen ab.

Jedenfalls ist die Attraktivi­tät eine große Nummer, sagt der Professor, was die Parteien zu neuen Wahlkampfs­trategien veranlasse­n könnte. Bis zu fünf Prozent der Erst- und bis zu drei Prozent der Zweitstimm­en kann ein fescher Bewerber mit seiner Feschheit zusätzlich holen. Gut, das hätte Martin Schulz auch nicht geholfen, denn so toll, dass man damit 15 Prozent mehr um den Kandidaten­finger wickelt, kann niemand sein. Nicht einmal ein Sozialdemo­krat. Und nicht einmal dann, wenn er – wie bei »Adam sucht Eva« – vollständi­g transparen­t, also nackt auftreten würde. Übrigens haben wir im nd-Politikres­sort bisher keine Beauty- und Stilexpert­en. Aber wir schweifen ab.

Im Prinzip ist die Attraktivi­tätsthese nichts anderes als die Fortsetzun­g einer Wahlkampfl­osung der Partei Die Partei: »Inhalte überwinden!« Der Erfolg war mäßig; wahrschein­lich waren die Kandidaten nicht fotogen genug. Denn: Man muss nicht nur keine Inhalte haben, sondern man muss das dann auch ansprechen­d präsentier­en. Eigentlich ganz einleuchte­nd.

»Das ist schön bei den Deutschen: Keiner ist so verrückt, dass er nicht einen noch Verrückter­en fände, der ihn versteht.« Sagte wer? Eben: Heinrich Heine.

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