nd.DerTag

Der Mitbewohne­r

- Von Paula Irmschler

Der Mitbewohne­r ist untragbar. Er ist der Geist, den wir mittels WG-Gesucht-Anzeige riefen. Der Mitbewohne­r will mit uns wohnen. »Bitte keine Zweckgemei­nschaft« ist der Vorbote des absoluten Sozialwahn­sinns. Er will von unserem Joghurt essen, unsere Couch vollaschen, unsere Schuhe von links nach rechts räumen, unser Bettchen verleihen, sich mit uns eine Gemüsekist­e teilen und über das Anschaffen einer Spülmaschi­ne abstimmen. Der Mitbewohne­r will Putzpläne erstellen, er will, dass Putzpläne eingehalte­n werden und er will »einmal die Woche gern auch miteinande­r kochen«. Der Mitbewohne­r sagt Dinge, wie »Hey, nur zur Info: Ich bekomme heute von zwölf Kontrabass­spielenden Stinkehipp­ies Besuch, die dann mindestens eine Woche bleiben«, »Warst du diese Woche nicht mit dem Klo dran!« (kein Fragezeich­en), oder auch »Wir sollten hier mal wieder frischen Schwung rein bringen und was bei Ikea bestellen«, aber meistens: »Kann ich was von deiner Milch haben?«

Milch ist alles. Es ist die Währung in Wohngemein­schaften, das Pendant zu Zigaretten im Knast, das Schmiermit­tel für soziale Beziehunge­n. Gäbe es keine Milch, müsste man mit dem Mitbewohne­r vielleicht niemals reden.

Jetzt sagt ihr: Na, dann trink doch keine Milch! Das Problem ist: Milch ist gut und wichtig. Milch bedeutet Kaffee. Kaffee kills the »Zweck-WG«. An ihm kann sich jedoch festhalten, wenn etwas »WG-Internes beredet« werden soll. Man kann ihn im Mund aufbewahre­n, wenn man nichts bereden will. Man kann ihn als Ausrede benutzen, wenn man ihn nur mal schnell zubereiten und dann »leider wieder an die Arbeit« muss. Der Mitbewohne­r ist immer aktiver als man selbst. Er geht zum Sport. Er stellt Smoothies in den Kühlschran­k. Er liest tatsächlic­h das Zeug, das auf dem Klo rumliegt (klassisch linke Literatur, damit Besuch denkt: Ach, was für Superhirne hier wohnen, die Marx als Klolektüre haben, mit denen will ich direkt schlafen).

Wenn der Mitbewohne­r gerade nicht aktiv ist, scheint es, als sei er nur da, um einem beizuwohne­n. Er taucht aus allen Ecken auf, um in dem Moment, in dem du auf Toilette musst, duschen zu gehen, die Couch zu belegen, wenn du gerade liegen willst, sich etwas in den Ofen zu schieben, wenn das Haltbarkei­tsdatum deiner Lasagne gerade abläuft.

Der Mitbewohne­r läuft ständig in agilen Mitbewohne­rSchritten vor deiner Tür auf und ab, um irgendwelc­hes Zeug rumzuschle­ppen oder sich. Du liegst in deinem Bett und wartest, bis es verhallt. Es verhallt nie. Du wirst dein Zimmer nie verlassen. Der Mitbewohne­r ist das Gegenteil vom Schweinehu­nd. Er ist der Hund. Er hechelt und höckert und will mit dir raus. Du liegst umgedreht darnieder. Ich denke, ich habe endlich Kafka verstanden.

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Paula Irmschler ist freie Autorin und kümmert sich an dieser Stelle alle 14 Tage um Dinge, denen man nur mit Heißdampf begegnen kann. Die Kolumne unter: dasND.de/abgebuegel­t Grafik: 123rf/shadowalic­e
Abgebügelt Paula Irmschler ist freie Autorin und kümmert sich an dieser Stelle alle 14 Tage um Dinge, denen man nur mit Heißdampf begegnen kann. Die Kolumne unter: dasND.de/abgebuegel­t Grafik: 123rf/shadowalic­e

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