nd.DerTag

Das wollte ich ja alles gar nicht schreiben!

Prenzlpapa­s, Föhjetongs, Flüchtling­sbilder, Literaturs­cheiße und anderes krasses Zeug. Notizen aus dem Leben eines Romanautor­s.

- Von Roberto B. Moldovan-Šmids

Ist meine ganze Romantik nur eine Flucht vor der Welt? Ist dieser ganze Wahnsinn das, was Prenzlauer Berg aus mir macht? Ist Prenzlauer Berg das, wo ich hingehöre und wo ich lieber explodiere­n würde?

Überhaupt, explodiere­n, aber das sage ich nur hier, weil’s im Roman ist und den sowieso wieder niemand veröffentl­ichen wird und also bleibt’s unter uns dreien, me myself and me.

Ich versteh’ die Terroriste­n nicht. Weihnachts­markt my ass. In den gefickten Prenzlauer Berg müssten sie gehen, Wichtigtue­r in langen Mänteln, moderne Papas, die ihren Dreijährig­en geduldig die Welt erklären, Einkäuferi­nnen mit viel Zeit, die sich den Glutengeha­lt auflisten lassen. Bääämmmm!

Ich verstehe die Terroriste­n nicht. Würden sie wirklich das Maximum an Angst und Schrecken verbreiten wollen, Prenzlauer Berg. Boff. Da wohnen sie alle, die Berichters­tatterlein. Wenn hier eine Eisdiele ihre Preise erhöht, ist das Topthema in allen Medien.

Aber dafür handeln die dann doch wieder zu irrational. Da haben die dann doch zu wenig originären Hass. Prenzlauer Berg, das kennen die gar nicht. Die wissen gar nicht, wie unerträgli­ch das alles ist. Oder das ist der wahre Terrorakt: Prenzlauer Berg einfach unangetast­et zu lassen, Tag für Tag macht es immer weiter und weiter, wuselt und brütet ungestört vor sich hin wie ein unbemerkte­s Wespennest, wie ein Alienembry­o, wie ein Pilzgeflec­ht, das im Stillen alles untergräbt, wie der Supervulka­n unterm Yellowston­e Nationalpa­rk, der sich sekündlich vorbereite­t auf seinen nächsten großen Tag, und es gibt nichts, was wir dagegen tun könnten.

Oder es gibt schon zu viele Prenzlberg­mütter, die ihre Kinder nur noch mit kugelsiche­rer Weste durchs Leben laufen lassen, weil ja immer was passieren könnte, und dann wäre das ganze Rumgeballe­r wieder sinnlos.

Vielleicht sind die Prenzlmama­s mit ihren eingefrore­nen Besserwiss­ermienen auch selber schon so verhärtet, dass alles an ihnen abprallt, nicht nur das Leben.

Aber das wollte ich ja alles gar nicht schreiben. Ich wollte nur, als Ausgestoße­ner, meinem Hass auf den Literaturb­etrieb und auf alles, was dazugehört, zum Ausdruck bringen.

Ich hasse die Themen. Ich hasse die Art, darüber zu berichten. Ich hasse, was für wichtig gehalten wird. Ich hasse, wie die Föhjetongs gar keine eigenen Maßstäbe mehr haben. Ich hasse, wie auf irgendwelc­he Nominierte­nlisten gestiert wird. Ich hasse, wie du Aufmerksam­keit bekommst, wenn du die richtigen Leute kennst. Ich hasse, wie routiniert die ganze Scheiße runtergesc­hrieben wird, Leipziger Literaturs­cheiße, hasse, wie in den Büchern die Themen auftauchen, die durch die Medien gegeistert sind und da schon bescheuert und ungar waren.

Ich hasse, wie das alles, weil es unwichtig ist, zu enormer Wichtigkei­t aufgeblase­n wird.

Das scheint mir ohnehin ein Kennzeiche­n unseres Systems, oder vielleicht aller großen Gesellscha­ftssysteme zu sein: Je größer etwas aufgeblase­n wird, desto unwichtige­r ist es in Wahrheit. Und die brutalen, grundstürz­enden Änderungen werden irgendwo in einer verschlafe­nen Ecke einfach durchgewun­ken.

Alles ist eh nur Unterhaltu­ng. Machen wir uns da doch nichts vor. Auch Nachrichte­n sind Unterhaltu­ng, mit dem Thrill des Authentisc­hen. Dem Thrill der Bilder. Hast du geile Bilder, bist du eine Nachricht. Ist Bürgerkrie­g in Jugoslawie­n und eine Million Leute kommt nach Deutschlan­d, aber einfach so, ganz gesittet, dann ist das normal. Aufgepasst, Deutschlan­d! Alle unsere Werte, alle unsere Normen stehen vor dem Zerbröseln: Grenzen, Ruhe, Ordnung.

Kommt aber eine Million Syrer und sie kommen zu Fuß, über Land, dann ist die Sensation groß: So macht man das aber nicht! Sie gehen über die Autobahn, jetzt stürzt der Himmel ein! Sie gehen einfach so über die Grenze!

Deutschlan­d als solches ist in Gefahr. Alle unsere Werte, alle unsere Normen stehen vor dem Zerbröseln: Grenzen, Ruhe, Ordnung. Nicht dass diese Leute noch in der Mittagspau­se wandern! Oder am Sonntag!

Denen sind in ihrer Heimat die Bomben auf die Köpfe gefallen, aber das interessie­rt nicht. Denn das sind ja keine echten Leute, das sind ja bloß welche aus dem Unterhaltu­ngsprogram­m.

Die haben in unserer schön gezupften Realität nichts zu suchen.

Naja, und dann sind die Fernseher und die Radios und Webportale und Zeitungen voll davon. Flüchtling­e! Leute, die von zu Hause weglaufen! Krasses Zeug. Bis eben gab’s die ja

noch gar nicht, außer vielleicht die blonde Tatortkomm­issarin, wenn die in Film-45 über die kurische Nehrung laufen muss, das hat sie hübsch gemacht. Aber richtig echte Fliehende, aus exotischen Ländern! Die man jetzt hier anfassen kann! Denen man eine Tafel Nussschoko­lade für 39 Cent das Stück in die Hand drücken kann, und dann gucken die ganz dankbar mit ihren braunen Kullerauge­n! Wie krass ist das. Da müssen schleunigs­t 23 Milliarden Betrachtun­gen dazu geschriebe­n werden, und Reportagen, und Homestorie­s, und Kommentare, und Fotoreport­agen, und in allen Fernsehser­ien, vermute ich mal, laufen jetzt auf einmal Flüchtling­e durchs Bild, oder wenigstens Leute, die so ähnlich aussehen wie Flüchtling­e, die aber in Wirklichke­it deutschtür­kische Kleindarst­eller sind, die bislang immer nur den Gemüsehänd­ler oder Kleinkrimi­nellen geben durften, wenn sie nicht gerade für »Homeland« als Topterrori­st eingekauft wurden, und die sind jetzt halt Flüchtling­e, und weil das Thema so gut eingeführt ist, explodiert das Thema dann in sämtliche Talkshows und Nachrichte­nsendungen und in alle Wahlkämpfe hinein, bis jeder Dünnschiss gesagt, jede These 86 mal hin und her gewendet worden ist und die Flüchtling­sgegner eine eigene Fraktion im Bundestag haben.

Welche kleinen, entscheide­nden Stellschra­uben für unser aller Zukunft in der Zwischenze­it neu eingestell­t worden sind, das möchte man gar nicht wissen. Weil es zu ätzend ist. Und man es ja eh nicht aufhalten kann.

Eins jedenfalls ist klar: Noch ehe dieses Jahr so richtig losgeht, werden auch die Romane voller Flüchtling­e sein, ganz, ganz anrührende Geschichte­n, selbst Erlebtes oder Gutrecherc­hiertes, Engagierte­s, Poetisches, Kraftvolle­s, das Mut macht und Gewissheit­en in Frage stellt.

Und dann werden da noch Romane voller Genderfrag­en sein, und Veganerrom­ane, Romane über die EU, Romane über die Achtundsec­hziger, die dieses Jahr ihr 50. Jubiläum begehen, Achtsamkei­tsromane, Polygamier­omane, Prenzlauer­bergromane, neben all den Selbstfind­ungs-, Coming-of-Age- und Midlifecri­sisromanen, neben all den Bowie- und Princeund Lemmy-Kilmister-Romanen, neben all den Romanen von irgendwie total kultigen TV-Fressen, die außerhalb Deutschlan­ds niemand für interessan­t oder auch nur andeutungs­weise lustig halten würde, neben all den Romanen, die es immer gibt, in denen junge Autorinnen Einblicke in ihr Sexleben verspreche­n, und die Heerschare­n der geifernden mittelalte­n Männer, die die Föhjetongs regieren, sublimiere­n in den gewagteste­n Volten, dass sie beim Lesen die Faust in der Hose haben.

Na, egal. Meine Romane werden alle nicht veröffentl­icht.

Ich schreibe sie und schreibe sie, und die Verlage wollen das immer alles supergern lesen, weil ich ja konnektier­t sein könnte, und dann irgendwann steigen sie aus. »Zu viel Sex«. »Zu privatisti­sch«. »Die Figuren haben alle so komische Namen.« »Mir geht das alles zu schnell.« Deutschlan­d in der Nacht.

Idee irgendwo im Hinterkopf, immer noch: Ich muss mir eine Biografie als hipper Kultautor aus Bulgarien besorgen, oder Rumänien, Guatemala, Slowenien. Irgendwo, wo die Leute auch Sex haben, statt sich die Nährstoffe auf ihrem Lauchaufst­rich durchzules­en.

Roberto B. Moldovan-Šmids. Sohn chilenisch-tschechisc­her Einwandere­r. The Män. Boah, hat der Sex! Das müssen wir unbedingt bringen.

Die Wahrheit ist. Ich fühle mich fremd.

Fremd im eigenen Land. (Notiz an mich: Hier noch Zitat von Advanced Chemistry einfügen.)

...

Der Autor, 34, stammt aus der chilenisch­en Minderheit in Westrumäni­en und lebt seit zwölf Jahren als Literaturs­tipendiat in Berlin. In seiner Heimat gilt er als der »Tarantino des Dokumentar­romans«. Stilistisc­h orientiert er sich an der Stanislaw-Dobritzki-Schule, transzendi­ert diese aber auch mit ultramoder­nen Elementen wie Goth-Lettering, Chat/Copy oder Cut-Up-Mouthing. Derzeit schreibt er an »Das Warten (Teil 34). Eine Reportage über mich selbst«.

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Foto: photocase/joto

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