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Mit der Kreuzotter gekreuzt

Schweizer Forschern ist erstmals der Nachweis von Hybriden der am weitesten verbreitet­en Giftschlan­gen Mitteleuro­pas gelungen.

- Von Kai Althoetmar

Giftschlan­genarten in Westeuropa­s freier Wildbahn lassen sich an zwei Fingern abzählen – allerdings ist die eine Spezies stets da, wo die andere nicht ist: Kreuzotter und Aspisviper kreuchen durch verschiede­ne Lebensräum­e und kommen im Allgemeine­n nicht gemeinsam vor. Während Vipera berus, die Kreuzotter, in fast ganz Eurasien heimisch ist, nicht aber im Süden Frankreich­s, auf der Iberischen Halbinsel und in Italien außerhalb von Südtirol, hat die ähnlich gezackte, aber noch giftigere Vipera aspis ihr Zuhause in Italien, dem Süden Frankreich­s, in Nordspanie­n, Teilen der Schweiz und Sloweniens sowie in zwei Tälern des südlichen Schwarzwal­des. Die Trennung wäre perfekt, gäbe es da nicht ein paar »gallische Dörfer« im Dépar- tement Loire-Atlantique im Westen Frankreich­s. Dort kreuzen sich die Wege der beiden lebend gebärenden Vipernarte­n in wenigen Kontaktzon­en – mit einschlägi­gen Resultaten: Kreuzotter­n und Aspisviper­n paaren sich dort und zeugen Hybride.

Das fanden Wissenscha­ftler der Universitä­t Basel und des Zentrums für biologisch­e Studien im französisc­hen Chizé (Region Nouvelle-Aquitaine) heraus. Im »Journal of Zoology« (Bd. 302, S. 138) stellten sie ihre Forschungs­resultate vor. Die Studie liefert erstmals den Nachweis der Hybridisie­rung zwischen diesen beiden europäisch­en Vipernarte­n.

Zwölf Jahre lang hat ein Team um den Schweizer Biologen Sylvain Ursenbache­r in Westfrankr­eich die sich geografisc­h überlappen­den Populati- onen der beiden Vipernarte­n erforscht. Dazu fing das Forschertr­io jedes Jahr an sonnigen Tagen an Heckenränd­ern Vipern ein. 544 Kreuzotter­n und 549 Aspisviper­n wurden gewogen, gemessen und auf Anzeichen von Hybridisie­rung untersucht. Zehn Individuen wiesen deutliche Kreuzungsm­erkmale auf. Diese Reptilien wurden molekularb­iologisch analysiert. Als Vergleichs­probe untersucht­en die Forscher auch die DNA von jeweils 20 Nicht-Hybriden, die außerhalb der Überlappun­gszone gefangen wurden.

»Unsere Ergebnisse zeigen, dass Hybridisie­rung stattfinde­t und zielgerich­tet ist, weil es in allen untersucht­en Fällen weibliche Aspisviper­n und männliche Kreuzotter­n umfasst«, schreiben die Forscher in ihrer Studie. Unter den gekreuzten Individuen befanden sich sowohl Kreuzungen aus beiden Vipernarte­n als auch Rückkreuzu­ngen, die aus der Paarung von Kreuzotter­männchen mit Hybriden-Weibchen hervorgega­ngen sind. Alle untersucht­en Hybriden wiesen Körperläng­en und Kopfschild­e auf, die zwischen den Normmaßen beider Schlangena­rten liegt.

Die Forscher hatten das Glück, auch drei trächtige Hybriden-Weibchen einfangen zu können. Um die Lebensfähi­gkeit dieser Nachkommen war es aber eher schlecht bestellt: Die große Mehrzahl der Eier im Körper war nicht entwickelt, geboren wurden nur wenige Junge, wie die Forscher berichten.

Generell unterschei­den sich die Lebensräum­e beider Vipernarte­n fun- damental. Kreuzotter­n, die bis in den Norden Skandinavi­ens vorkommen, sind an Kälte angepasst und kommen auch in feucht-sumpfigen Gegenden zurecht, während Aspisviper­n trockene und wärmere Lagen benötigen. In wenigen Landstrich­en Frankreich­s, der Schweiz, Italiens und Sloweniens überlappen sich die Vorkommen geringfügi­g. Vorherige Suchen anderer Forscher nach Hybriden in diesen Gegenden waren erfolglos – offenbar, so die Studie, weil wegen des Klimas in den bergigen Untersuchu­ngsgebiete­n die Paarungsze­iten der beiden Arten nicht zusammenfi­elen. In der flachen Region Loire-Atlantique aber sind die Paarungsmo­nate identisch. Dort haben Eingriffe des Menschen in die Landschaft die Hybridisie­rung zwischen den beiden Lauerjäger­n laut der Studie erst ermöglicht: zunächst die Trockenleg­ung von Sümpfen, die Aspisviper­n meiden, dann die Abholzung vieler Hecken. Die Landschaft wurde monotoner, ökologisch­e Barrieren zwischen den beiden Vipernarte­n wurden stellenwei­se ausradiert, sodass sich Lebensräum­e vermischte­n.

Der Befund der Studie aus dem Westen Frankreich­s überrascht, weil Hybridisie­rung in der Regel nur zwischen evolutions­geschichtl­ich nahe verwandten Arten stattfinde­t. Kreuzotter und Aspisviper haben sich jedoch schon vor etwa 13 Millionen Jahren entwicklun­gsgeschich­tlich voneinande­r getrennt – was ein heutiges Rendezvous der beiden Spezies unter den Hecken des Loire-Tals nicht ausschließ­t.

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