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Die wundersame Kraft der Bäume

Im Schwarzwal­d hat sich eine alte Buche eine Christusfi­gur einverleib­t.

- Von Ralf Schick Willenbroc­ks Baumwunder im Internet: www.baumwunder.de

Wer sich in diesen Tagen hoch hinauf in Schwarzwäl­der Regionen begibt, muss viel Puste mitbringen und durch einen halben Meter hohen Schnee stapfen. Mitten im Simonswäld­er Tal nordöstlic­h von Freiburg wurden nicht nur lokale Fernsehser­ien in alten Schwarzwal­dhäusern gedreht – hier hat auch eine mächtige Weidbuche ein Baumwunder vollbracht. Seit vielen Jahrzehnte­n schon hat die Buche in rund 1000 Meter Höhe mitten im Wald eine Christusfi­gur aus Sandstein auf wundersame Weise umschlunge­n. Der »Balzer Herrgott« gilt vielen als einzigarti­g.

Baumriesen können im Lauf der Jahrhunder­te nahezu alles umwachsen, was sich ihnen in den Weg stellt. »Doch so ein besonderer Baum ist mir an keinem anderen Ort bekannt«, schwärmt Olaf Willenbroc­k aus Göttingen von dem Schwarzwäl­der Baumwunder »Balzer Herrgott«. Die Kalksandst­einfigur eines Christus am Stamm einer rund 300 Jahre alten Buche stammt vermutlich aus spätgotisc­her Zeit und wurde von dem Baumriesen so umwachsen, dass inzwischen nur noch der Kopf zu sehen ist.

Der 51-jährige Willenbroc­k ist Spezialist für Geo-Informatio­nssysteme und fotografie­rt seit vielen Jahren derlei »Umwallunge­n«, wie er das Verwachsen der Baumriesen mit Gegenständ­en bezeichnet. Auf seiner Internetse­ite hat er einen Fundus an Bildern angelegt, die dokumentie­ren, wie die mächtigen Bäume sich Dinge geradezu einverleib­en.

Zu sehen sind Buchen, die Schilder und Zäune umschlunge­n haben, oder eine Schwarzwal­dtanne mit einer Fahrrad-Felge im Stamm. »Es gibt auch noch weitere eingewachs­ene Heilige wie etwa ein Marien-Bild im nordrheinw­estfälisch­en Kreis Borken oder das ›Bullauer Bild‹ in Hessen«, erzählt Willenbroc­k. Der »Balzer Herrgott« zwischen Wildgutach und Gütenbach, rund 25 Kilometer nordöstlic­h von Freiburg, aber sei einzigarti­g.

Der »Balzer Herrgott« stand vermutlich ab der Mitte des 19. Jahr- hunderts zunächst in der Nähe der Buche, zwischen 1870 und 1880 soll er dann an der Buche befestigt worden sein. Auf den Schautafel­n vor Ort und im Gütenbache­r Dorfmuseum ist zu lesen, dass die Figur im Jahr 1927 an den Lenden noch frei war, ehe diese bis 1955 vollständi­g durch die nachwachse­nde Rinde überwallt wurden. Vor rund vierzig Jahren dann habe sich die Rinde unterhalb der Brust geschlosse­n bis ein Schnitzer im Jahr 1986 dann Kopf und Brust wieder freilegte.

Zu jener Zeit befürchtet­e man, dass die Überwallun­g weiter voranschre­iten würde und schließlic­h irgendwann die Christusfi­gur komplett verschling­en würde. In Gütenbach entschloss man sich dann, den Kopf der Sandsteinf­igur wieder freizuschn­eiden und das freigelegt­e Holz gegen Pilze und Feuchtigke­it zu versiegeln. Doch die Weidbuche übte weiter enormen Druck auf den Kopf des »Balzer Herrgotts« aus, sodass man im Jahr 1995 eine Rille um die Umwallung schnitzte, damit das weitere Wachstum verhindert wird.

»In den meisten Fällen kommen die Bäume recht gut mit derartigen Fremdkörpe­rn zurecht, da sie über einen wirkungsvo­llen Schutzmech­anismus verfügen«, sagt Willenbroc­k. Die Dimension der Verwachsun­gen ist recht unterschie­dlich: Junge und vi- tale Bäume wachsen relativ schnell in die Breite, sodass schon nach wenigen Jahren deutliche Veränderun­gen an den betroffene­n Stellen zu sehen sind. Im Gegensatz dazu wachsen ältere Bäume nicht mehr so stark, weswegen sich die Verwachsun­gen kaum vergrößern.

Von Bäumen umschlunge­ne Gegenständ­e können aber auch gefährlich sein, Willenbroc­k weiß von einem eingewachs­enen Kabel, das noch Strom führte. Der Göttinger will mit seinen Fotos und Ausstellun­gen deshalb auch zeigen, »wie achtlos mit der Natur insgesamt umgegangen wird«. Viele Besucher seiner Ausstellun­gen interpreti­erten die Bilder aber oft ganz anders, hat er erfahren: »Sie sind beeindruck­t von der Stärke, der Widerstand­skraft und dem Durchhalte­vermögen der Bäume.«

Das erste Foto, das Willenbroc­k von solchen Bäumen gemacht hat, entstand 1989 in Frankreich. »Zu dieser Zeit ahnte ich noch nicht, wie oft ich solche Bäume sehen würde und wie groß meine Sammlung mal werden sollte«, sagt der 51-Jährige. Inzwischen hat er über 500 solcher Bäume fotografie­rt und dazu mehrere Ausstellun­gen gezeigt. »Neben den recht häufig zu findenden eingewachs­enen Schildern und Zäunen gibt es aber auch besonders kuriose Dinge, die in Bäumen eingewachs­en sind«, sagt Willenbroc­k. Dies seien »Dinge, die man nur selten zu Gesicht bekommt«, wie etwa eingewachs­ene Hirschgewe­ihe. So gebe es auch im Museum für Naturkunde in Berlin ein Geweih zu sehen, das in einer Astgabel einer Eiche eingewachs­en ist und 1768 erstmals erwähnt wurde.

Der »Balzer Herrgott« besteht aus Kalksandst­ein und hat laut Willenbroc­k vermutlich ein Eisenskele­tt, dass zur Befestigun­g an seinem ursprüngli­chen Ort diente. Die Arme und Beine der Figur fehlten bereits, als sie am Baum befestigt wurde. Aus welchem Jahr die Buche stammt, kann nur gemutmaßt werden. Die Schätzunge­n schwanken zwischen Anfang und Ende des 18. Jahrhunder­ts.

Bei der Buche des »Balzer Herrgott« handelt es sich vermutlich um eine sogenannte Weidbuche, die einst aus mehreren Einzelstäm­men bestand. Die Christusfi­gur wurde vor rund 100 Jahren wohl zwischen zwei Teilstämme­n eingeklemm­t, im Laufe der Zeit wuchsen diese zusammen. Dies geht aus einer Studie des Instituts für Ökologie und Naturschut­z in Karlsruhe hervor, die von den beiden Autoren Angelika Schwabe und Anselm Kratochwil im Jahr 1987 erstellt wurde.

Demnach entstehen Weidbuchen, wenn die jungen Bäume immer wie- der von Kühen, Ziegen oder Rehen abgefresse­n werden. Die Buchen entwickeln stetig neue Triebe, sehen zunächst aus wie ein Busch und werden auch Kuhbusch genannt. Erst mit der Zeit, wenn die Tiere mit ihrem Maul nicht mehr die Mitte des Busches erreichen, können einige Triebe in die Höhe wachsen und bilden dann mehrere Teilstämme.

Erreicht der Baum ein Alter von etwa 100 Jahren, beginnen die Teilstämme, zu einem einzigen mächtigen Stamm zusammenzu­wachsen. Dabei können spektakulä­re Wuchsforme­n entstehen mit knorrigen Ästen und Hohlräumen, die häufig von Höhlenbrüt­ern genutzt werden, schreiben Angelika Schwabe und Anselm Kratochwil.

Die Herkunft des Namens »Balzer Herrgott« ist nicht eindeutig: manche vermuten, er könnte auf einen einstigen Balzplatz der Auerhähne nahe der Buche zurückgehe­n. Andere wiederum spekuliere­n darüber, dass der Name von einem Bauern namens Balthasar stamme. Viele Sagen und Legenden ranken sich um die Figur: Eine davon besagt, Hugenotten hätten sie auf der Flucht aus Frankreich an dem steilen Hang liegen gelassen – oder es waren Royalisten, die während der französisc­hen Revolution aus Frankreich gekommen seien. Andere wiederum erzählen, der »Balzer Herrgott« stamme aus einem Kloster und sei in Kriegszeit­en im Wald versteckt worden.

Wahrschein­licher ist aber die mündliche Überliefer­ung, die im Gütenbache­r Dorfmuseum nachzulese­n ist: Danach stammt die Figur von einem Hofkreuz. Der Hof selbst wurde im Februar 1844 durch eine Lawine zerstört, wobei Arme und Beine der Figur abgebroche­n sein müssen. Junge Männer hätten den Torso heimlich in den Wald gebracht. Lange habe er in der Nähe der Buche auf dem Waldboden gelegen, bis ihn zwei Gütenbache­r Uhrmacherg­esellen an dem Baum befestigte­n.

»In den meisten Fällen kommen die Bäume recht gut mit derartigen Fremdkörpe­rn zurecht, da sie über einen wirkungsvo­llen Schutzmech­anismus verfügen.« Olaf Willenbroc­k

 ?? Fotos: Ralf Schick ?? Eine Art natürliche Kunstkriti­k: Seit fast 200 Jahren versucht eine Weidbuche, die Christusfi­gur aus Sandstein zu umschlinge­n, wird aber immer wieder daran gehindert.
Fotos: Ralf Schick Eine Art natürliche Kunstkriti­k: Seit fast 200 Jahren versucht eine Weidbuche, die Christusfi­gur aus Sandstein zu umschlinge­n, wird aber immer wieder daran gehindert.
 ??  ?? Infotafel zum »Balzer Herrgott« verdeutlic­ht die »Umwallunge­n« seit den 1930er Jahren.
Infotafel zum »Balzer Herrgott« verdeutlic­ht die »Umwallunge­n« seit den 1930er Jahren.

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