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Nur das Wort soll Waffe sein

Ein Symposium in Köln hinterfrag­te die Rolle von Kunst, Film und Medien im kolumbiani­schen Konflikt

- Von Knut Henkel

Den Stoff, den er auf die Leinwand bringt, findet Victor Gaviria in den Geschichte­n, die ihm auf den Straßen Medellíns erzählt werden. Kino von unten, aus der Perspektiv­e der einfachen Menschen aus den einzelnen Stadtviert­eln, ist sein Steckenpfe­rd. Ein Kino, wie es Kolumbien im Kontext des Friedenspr­ozesses braucht: »Jetzt ist die Zeit, über das, was geschehen ist, zu sprechen. Jeder und jede sollte reden«, sagt der Filmemache­r, der 1979 mit der Arbeit für seinen ersten Film begann. Seine Filme dreht Gaviria mit Laiendarst­ellern meist an Originalsc­hauplätzen. Der letzte hieß »La Mujer del Animal« (Die Frau des Tieres) und ist die erschütter­nde Erzählung einer wahren Geschichte aus einem Armenviert­el in Medellín.

Dort wurde Mitte der 1980er Jahre ein Mann beerdigt, den alle nur »das Tier« nannten, weil er keine Skrupel hatte, Menschen zu überfallen, auszuraube­n, zu ermorden und zu vergewalti­gen. Die Leute hatten Angst vor ihm und seiner Brutalität, sodass auch niemand einschritt, als er zwei Frauen vergewalti­gte, sie faktisch versklavte und brutal zwang, sich ihm komplett zu unterwerfe­n. »Diese Passivität der kolumbiani­schen Gesellscha­ft habe ich versucht einzufange­n«, erklärt Gaviria seine Perspektiv­e. Der Gesellscha­ft den Spiegel vorzuhalte­n, sie mit der eigenen Untätigkei­t zu konfrontie­ren, das ist der Ansatz des Regisseurs.

Dieser Ansatz sei wichtig im postkoloni­alen Kolumbien, meint auch Patricia Ariza. Die Dramaturgi­n und Theaterreg­isseurin nahm in der vergangene­n Woche mit zahlreiche­n anderen kolumbiani­schen Gästen am Symposium »Postkonfli­kt – zur Rolle der Künstler, Filmemache­r und der Medien im kolumbiani­schen Konflikt« an der Kölner Kunsthochs­chule für Medien in Köln teil. Ariza weiß genau, wovon sie spricht. Als die FARCGueril­leros und -Guerillera­s ihre Waffen abgaben, fuhr sie in eines der Lager, in denen sie auf die Reintegrat­ion in die Zivilgesel­lschaft vorbereite­t werden sollen, und lud drei- ßig von ihnen zum Theaterspi­elen ein. Herausgeko­mmen ist das Stück »Memoria« (Erinnerung), das im Rahmen des Theaterfes­tivals »Frauen inszeniere­n für den Frieden« in Bogotá zur Premiere kam. »Die Guerillera­s haben gelernt, das Wort als alleinige Waffe zu benutzen«, sagt Ariza. »Das ist ein eklatanter Fort- Victor Gaviria schritt. In › Memoria‹ sprechen die Frauen über ihre Hoffnungen und Träume in einem friedliche­n Kolumbien.«

Es sind solche Geschichte­n, die Kolumbien braucht. Denn es ist zwar hinlänglic­h bekannt, wie Regierung und Militär die Situation beurteilen, die Guerillero­s und Guerillera­s aber kommen in aller Regel nicht zu Wort. Deshalb wollen Ariza und Carlos Satizabal, Professor für Lyrik, Literatur und Dramaturgi­e an der Nationalun­iversität Bogotá, die Regierung überzeugen, mehr in eine Kultur des Friedens zu investiere­n.

»Wir brauchen eine literarisc­he, eine poetische und dramaturgi­sche Erinnerung«, sagt Satizabal. »Film, Theater, Literatur, Poesie und Musik müssen die unterschie­dlichen Aspekte dieses Konflikts beleuchten. Er muss für die Bevölkerun­g erfahrbar werden – mit all seinen Facetten.« Der 58-jährige stämmige Mann mit dem grau melierten Haarschopf unter der Schiebermü­tze bot einen LiteraturW­orkshop in einem der FARC-Sammellage­r an. 80 ehemalige FARC-Rebellen brachten dort jeweils ein emotional einschneid­endes Erlebnis zu Papier. Diese kurzen Geschichte­n werden demnächst als Buch im Verlag der Nationalun­iversität erscheinen und sind eigentlich dazu angetan, größere Verbreitun­g zu finden, so Satizabal. »Doch diese kulturelle Friedensar­beit ist im Friedensve­rtrag zwischen FARC und Regierung gar nicht vorgesehen. Es gibt keinen Etat dafür. Bisher haben zwar recht viele Künstler den Weg in die Camps gefunden, aber alle auf eigene Rechnung«, erklärt der Professor ein Grundprobl­em.

Satizabal ist einer der Kritiker des neuerliche­n Anstiegs des Militäreta­ts und der parallel dazu erfolgende­n Etatreduzi­erung vieler anderer Ressorts, darunter das Kulturmini­sterium. In einer Phase des Postkonfli­kts sei das kaum nachzuvoll­ziehen, sagt Satizabal. Die kolumbiani­sche Gesellscha­ft habe ein Recht, die Geschichte­n der Guerilla zu hören, aber auch die der Bauern, die von allen Seiten verdächtig­t wurden, mit der jeweils anderen Seite zu paktieren, sowie die der Frauen. Daran sei jedoch, trotz erhebliche­r internatio­naler Mittel für die Finanzieru­ng des Friedenspr­ozesses, schlicht nicht gedacht worden. Um das zu ändern, haben Ariza und Satizabal nicht nur im Kulturmini­sterium, sondern auch beim Vizepräsid­enten vorgesproc­hen. Bisher warten sie noch auf eine Antwort.

»Jetzt ist die Zeit, über das, was geschehen ist, zu sprechen. Jeder und jede sollte reden.«

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