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Meeresspie­gel steigt schneller

US-Studie warnt vor Konsequenz­en des Klimawande­ls für Küstenregi­onen

- Von Haidy Damm Mit Agenturen

Der Meeresspie­gel steigt schneller als bisher angenommen. Zu diesem Schluss kommen US-Wissenscha­ftler in einer neuen Studie. Die Forscher warnen vor »ernsthafte­n Konsequenz­en für Küstenorte«. Der Meeresspie­gel steigt nicht wie bisher angenommen stetig um drei Millimeter jährlich, sondern deutlich schneller. Damit könnte der Zuwachs bis zum Ende des Jahrhunder­ts mehr als das Doppelte bisheriger Prognosen erreichen. Zu diesem Schluss kommt eine Forschungs­gruppe um den US-Wissenscha­ftler Steven Nerem von der University of Colorado. Grundlage der Studie sind Satelliten­daten und Messungen von Gezeitenst­ationen der vergangene­n 25 Jahre.

Seit 1993 stieg der Meeresspie­gel im weltweiten Durchschni­tt jährlich um etwa drei Millimeter. Die nun gemessene Beschleuni­gung könne aber dazu führen, dass der Anstieg im Jahr 2100 bei zehn Millimeter liegt – es ergibt sich also eine exponentie­lle Kurve. Bisher gingen Klimaforsc­her auf der Grundlage von Computerbe­rech- nungen von einem Anstieg aus, der Nachweis war aber schwierig – Klimaphäno­mene wie El Niño oder Vulkanausb­rüche können die Pegel beeinfluss­en. Den Forschern ist es gelungen, diese Störfaktor­en weitestgeh­end herauszure­chnen, wie sie im USFachmaga­zin »Proceeding­s of the National Academy of Sciences« berichten. Nerem und Kollegen verwendete­n dafür reale Daten der längsten vorhandene­n Satelliten­messreihe zur globalen Meereshöhe. Sie begann mit dem Start des Erdbeobach­tungssatel­liten »Topex/Poseidon« im August 1992.

Dass der Meeresspie­gel jedes Jahr schneller ansteige, hänge vor allem mit der Eisschmelz­e in Grönland und der Antarktis zusammen, erklärte Nerem. Daneben sorge auch die zunehmende Konzentrat­ion von Treibhausg­asen in der Atmosphäre für einen Anstieg: Dies führt zur Erwärmung des Meerwasser­s, das sich daraufhin ausdehnt. Schon jetzt sei die »thermische Ausdehnung« der Ozeane zur Hälfte für den Anstieg des Meeresspie­gels um sieben Zentimeter im vergangene­n Vierteljah­rhundert verantwort­lich, sagte der Professor für Raumfahrt- technik. Bis zum Ende des Jahrhunder­ts könnte der Durchschni­ttspegel an den Küsten um 65 Zentimeter höher liegen als im Jahr 2005 – bisher waren etwa 30 Zentimeter angenommen worden.

Nerem selbst spricht von einer »vorsichtig­en Schätzung«. Bei ihrer Kalkulatio­n gingen die Forscher davon aus, dass sich die Veränderun­gsrate der vergangene­n 25 Jahre in Zukunft fortsetzt. »Angesichts der großen Veränderun­gen, die wir heute in den Eisschilde­n sehen, ist das unwahrsche­inlich«, so Nerem. Der Anstieg wird also wahrschein­lich noch höher ausfallen als in der neuen Untersuchu­ng prognostiz­iert.

Seine Kollegen vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhave­n bescheinig­ten Nerem und seinem Team, »sehr glaubhaft« darzustell­en, dass es eine Beschleuni­gung des Anstiegs gibt. Die Forscher hätten nicht nur neue Messdaten verwendet, sondern diese auch sehr gründlich ausgewerte­t, sagte Ingo Sasgen vom AWI. So seien zahlreiche Effekte, die nichts mit dem Klimawande­l zu tun haben, herausgere­chnet worden.

Der steigende Meeresspie­gel trifft auch die Bewohner der Küstenregi­onen in Norddeutsc­hland. »Landstrich­e, die man heute als betretbare­n Bereich sieht, werden nicht mehr da sein«, sagte der Vorstand der Stiftung Küstenschu­tz Sylt, Helge Jansen, im Radioprogr­amm SWR Aktuell. Von dieser Entwicklun­g seien neben Sylt und den Halligen im nordfriesi­schen Wattenmeer auch die Niederland­e betroffen. Der Küstenschu­tzexperte begrüßte zwar Sofortmaßn­ahmen wie Deicherhöh­ungen. Doch bei einem weiter steigenden Meeresspie­gel seien Landverlus­te unvermeidl­ich.

Der Verkehrscl­ub Deutschlan­d (VCD) forderte, den hohen Treibhausg­asausstoß durch den Verkehr einzudämme­n. Die Bundesregi­erung habe bisher zu wenig für eine Trendwende getan, sagte VCD-Sprecher Michael Müller-Görnert: »Deutschlan­d ist der sechstgröß­te Treibhausg­asemittent der Welt und trägt damit wesentlich zum Meeressspi­egel-Anstieg bei. Es steht in unserer Verantwort­ung, alles daran zu setzen, die Folgen der Klimakrise abzumilder­n – das sind wir auch den nachfolgen­den Generation­en schuldig.«

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Foto: imago/Joana Kruse

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