Frieden in der Krise
Die linke Zivilgesellschaft Kolumbiens ruft Staat und Guerilla zu Gesprächen auf
Die Lage in Kolumbien spitzt sich wieder zu. Zwei linke Initiativen versuchen, Druck auf die Konfliktparteien auszuüben. Eine Delegation außerparlamentarischer linker Gruppen hat jüngst die Vertretung der Guerilla-Bewegung ELN in Quito besucht, um gemeinsam die Möglichkeit eines Waffenstillstands zu besprechen. Vorher hatten sich die zehn Organisationen mit dem Präsidenten Juan Manuel Santos getroffen, um ihn ebenfalls zu bitten, die Gespräche wieder aufzunehmen. Santos jedoch gab zu Bedenken, dass die letzten Angriffe der ELN auf öffentliche Infrastruktur wie Straßen, Brücken und Ölpipelines dem Dialog entgegenstehen.
Seit Ablauf der Waffenruhe im Januar spitzt sich die Lage in Kolumbien wieder zu. Dieses erneute Aufflammen des Konflikts wirkt sich besonders drastisch auf soziale Bewegungen aus. Das gefährlichste Land für Aktivisten weltweit ist Kolumbien. Im Jahr 2017 wurden rund 150 Morde im Zusammenhang mit dem Einsatz für Menschenrechte gezählt. Entgegen der ursprünglichen Erwartungen stieg die Zahl der Verbrechen nach Abschluss des Friedensabkommens zwischen Regierung und FarcGuerilla im vergangenen Jahr damit sogar erheblich an. Alleine der »Enero trágico«, der »tragische Januar«, hat 27 Menschen das Leben gekostet.
Deswegen haben linke kolumbianische Organisationen einen »permanenten Prozess für den Frieden« initiiert. Die sozialen Bewegungen rufen damit zu einem dauerhaften Protest auf, den sie erst dann beenden wollen, wenn in Kolumbien Frieden, Gerechtigkeit und Gleichheit herrschen. In ihrem Aufruf heißt es: »Der unverändert weitergeführte Krieg erfüllt uns mit Trauer; die Morde an Aktivisten und die willkürlichen Verhaftungen, die Drohungen gegen soziale Bewegungen, die Vertreibungen und Bombardierungen ganzer Territorien, die steigenden Feminizide. Wir fordern vom Staat reale und effektive Garantien für ihr Leben.« Weiterhin erwähnt der Aufruf die Trauer über die getöteten Polizisten und Soldaten ebenso, wie über die er- mordeten Guerilleros, die inhumanen Bedingungen für inhaftierte politische Gefangene und ermordete Farc-Mitglieder.
Die linken Organisationen rufen weiter beide Parteien auf, wieder Gespräche aufzunehmen und verpflichten sich dazu, eine Mobilisierung zur Beteiligung der Zivilbevölkerung an den Friedensverhandlungen in Quito anzustreben. Um diese Partizipation verwirklichen zu können, fordern die unterzeichnenden Organisationen eine direkte Vertretung der sozialen Bewegungen in Quito, um direkt auf die Regierung, die ELN und die Garanten der Verhandlung Einfluss nehmen zu können. Die Delegation in Quito hat dem obersten Kommandanten der ELN, Pablo Beltrán, diese Initiative vorgestellt. Der Kommandeur versicherte, alles für eine verbesserte Waffenruhe tun zu wollen.
Davon unabhängig hatten kürzlich weltweit 300 Intellektuelle, darunter Judith Bulter und Silvia Rivera Cusi- canqui, einen Offenen Brief publiziert. Der internationale Appell fordert von der Regierung die Umsetzung der beschlossenen Zusagen an die Farc, darunter die Wiedereingliederung als politische Partei und die Maßnahmen der Resozialisierung für ehemalige Kombattanten. Das Papier richtet die Kritik zudem konkret an die Europäische Union und wirft ihr vor, dem »Kollaps des Friedensprozesses« ohne ernsthafte Reaktion zuzusehen.
Dieser Appell ist wichtig, aber letztlich nicht weitreichend genug. Das Ziel ist allerdings in beiden Initiativen dasselbe: International Druck auf die Regierung ausüben. Denn ohne eine wirkliche und radikale Veränderung der Politik wird es in Kolumbien niemals Frieden geben können.
Nach einer kurzen Euphorie bei der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Farc und Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos und dem kurz darauf an das Staatsoberhaupt überreichten Friedensno- belpreis steckt der Frieden derzeit nämlich in der Krise. Der vielgelobte Postkonflikt ist tödlich: Seit dem Abschluss des Friedensprozesses sind bereits 36 Farc-Mitglieder und 13 von ihren Angehörigen ermordet worden, gegen 123 Mitglieder der unter demselben Namen neugegründeten Partei bestehen Morddrohungen. Die Farc zersplittert daran: Zahlreiche Mitglieder haben sich abgespalten, Teile der Einheiten haben sich kriminellen Banden und nach eigenen Angaben sogar Paramilitärs angeschlossen. Einige versuchen von der ELN aufgenommen zu werden. Andere Einheiten wiederum hatten sich der Demobilisierung von Beginn an verweigert.
Es würde nicht wundern, wenn dieser Druck die Verhandlungsbereitschaft der ELN trübe. Die zweitgrößte Guerilla des Landes allerdings verkündet weiterhin die ungebrochene Verfügbarkeit für den Dialog und befindet sich nach eigener Aussage permanent in Bereitschaft, die Gesprä- che wieder aufzunehmen. Die Guerilla gibt der Regierung die Schuld für die Krise, so einer ihrer Kommandanten Antonio García: »Wir haben uns an die Abmachung während der Waffenpause gehalten, die Regierung nicht. Sie hat weiter Angriffe gegen uns geführt und ebenso den niederschwelligen Krieg gegen die außerparlamentarische Linke ungebremst weiter gehen lassen.«
Während des von der ELN eingehaltenen Waffenstillstands haben Regierung und ihnen nahestehende paramilitärische Kräfte zahlreiche Menschen aus der Linken ermordet. Auch die ELN war weiterhin Ziel von Militäraktionen. Die Guerilla hielt an der Abmachung trotzdem fest. Die ELN stehe geschlossen hinter den Verhandlungen und werde diese in keinem Fall abrechen, hieß es von der Organisation. Jedoch gab Antonio García bekannt: »Wir haben keine Eile, ein schlechtes Abkommen zu unterzeichnen.«