Große Koalition in den Startlöchern
Regierungsvertrag unterzeichnet
Berlin. Am Montag haben CDU, CSU und SPD das Regierungsprogramm zur Neuauflage ihrer Großen Koalition unterzeichnet. In den Vordergrund rückten die Koalitionspartner den Einsatz für mehr soziale Sicherheit. »Der Wohlstand des Landes muss bei allen Menschen ankommen«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin. Union und SPD hätten in der 177-seitigen Vereinbarung versucht, Antworten auf Fragen zu finden, die die Menschen bewegten. So müssten die Lebensbedingungen in allen Teilen Deutschlands gleichwertig sein und die Aufgaben bei der sozialen wie bei der inneren Sicherheit erledigt werden. Flüchtlinge müssten integriert werden, der Staat müsse jedoch auch dort handlungsfähig sein, wo Menschen kein Recht auf Aufenthalt hätten. Merkel stellt sich am Mittwoch im Bundestag zur Wiederwahl.
Der kommissarische SPD-Chef Olaf Scholz betonte, die Beteiligung der SPD an der Regierung begründe sich aus dem Willen, das Leben der Menschen besser zu machen und dafür zu sorgen, dass es in Deutschland sozial gerechter werde.
Am Mittwoch ist es soweit. Dann wird die Kanzlerin im Bundestag gewählt, und die neue Bundesregierung wird vereidigt. Am Montag wurde die neue Große Koalition besiegelt – mit dem Koalitionsvertrag.
Seit einigen Wochen liegt der Koalitionsvertrag vor, die SPD-Basis hat ihn bestätigt und damit die Koalition mit CDU und CSU ermöglicht, die Gremien der Union haben ihn beschlossen. Wohlfahrts- und andere Fachverbände gaben ihre Bewertungen ab, und die künftige Opposition im Bundestag nahm mit kritischen Stellungnahmen die Position ein, die ihr für die verbleibenden dreieinhalb Jahre zugedacht ist. Der Montag bot nochmals Gelegenheit zur grundsätzlichen Wertung, denn an diesem Tag unterzeichneten die Vorsitzenden der drei Koalitionsparteien das künftige Regierungsprogramm.
Zuvor traten die Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und der kommissarische Vorsitzende der SPD, Olaf Scholz, vor die Presse. Alle drei bemühten sich dabei, den Nutzen ihres Regierungsprogramms für die Mehrzahl der Menschen in Deutschland glaubhaft zu machen. Es handele sich um ein »Wohlstandsversprechen«, das in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung erneuert werde, sagte Merkel. »Der Wohlstand unseres Lan- des muss bei allen Menschen ankommen.« Auch CSU-Chef Seehofer war bemüht, den Koalitionsvertrag als Verabredung zu sozialen Wohltaten zu preisen. Es handele sich um eine Große Koalition für die kleinen Leute. Diese bildeten den Großteil der Bevölkerung. Er könne sich nicht erinnern, dass ein Koalitionsvertrag die soziale Dimension derart abgebildet habe, sagte Seehofer.
Der CSU-Vorsitzende machte deutlich, dass dies die Antwort der beteiligten Parteien auf die Wahlschlappe am 24. September sei. Und Olaf Scholz beteuerte für die SPD, dass Regieren kein Selbstzweck sei. Es sei der ausdrückliche Wille der beteiligten Regierungspartner, das Leben der Bürgerinnen und Bürger besser zu machen. Zwar habe es sich nicht um eine Liebesheirat der Koalitionspartner gehandelt, jedoch sei man in der Lage, konstruktiv zusammenzuarbeiten.
Scholz geht nach eigenem Bekunden als künftiger Bundesfinanzminister und Vizekanzler mit der notwendigen Ernsthaftigkeit, aber auch mit dem nötigen Optimismus an die Arbeit. Von seinem SPD-Genossen Ralf Stegner, Stellvertretender Vorsitzender, ging am selben Tag eine weniger harmonieorientierte Botschaft aus. Stegner sprach sich für eine harte Gangart seiner Partei in dem neuen Bündnis aus. »Wir sind nicht braver Juniorpartner. Wir müssen von Beginn an klares Gegengewicht zur Union sein, in der täglichen Regierungsarbeit und darüber hinaus«, sagte Stegner dem Berliner »Tagesspiegel«. Es gehe darum, von Anfang an klares Profil zu zeigen, damit die SPD gestärkt aus der Neuauflage der großen Koalition herauskomme.
»Zuspitzung und klare Abgrenzung gegen die Konservativen«, die
Stegner seiner Partei empfahl, dürfte eine Handlungsorientierung sein, die im Regierungsalltag schwer durchzuhalten ist, zumal, wenn die Opposition die Koalition als Ganzes in Haftung nimmt. Wenig Bereitschaft zur Milde war bereits am Montag in deren Stellungnahmen zu erkennen.
Eine Koalition aus geschwächter SPD und einer ermatteten Union werde kein einziges der sozialen Probleme in Deutschland lösen, sagte Bernd Riexinger, der gemeinsam mit seiner Kovorsitzenden die Bewertung der Linkspartei vor der Bundespressekonferenz deutlich machte. Die LIN- KE werde die Rolle der sozialen Opposition übernehmen, die Regierung von links angreifen und gesellschaftliche Bündnisse schmieden. Katja Kipping prophezeite eine Vergrößerung der sozialen Schieflage im Land. Die neue Regierung stehe für das Treten nach unten, meinte Kipping und machte dies an den jüngsten Äußerungen des designierten Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) fest, der davon gesprochen hatte, dass Hartz IV für die soziale Mindestsicherung ausreichend sei.
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock bescheinigte der Koalition »große Lücken gerade bei den großen Zukunftsherausforderungen« wie Klimaschutz, Digitalisierung und Armutsbekämpfung. Scharfe Kritik äußerte sie an Horst Seehofer. Der designierte Innenminister hatte die Absicht bekundet, die Asylverfahren zu beschleunigen und verstärkt abzuschieben. Seehofer solle sich in die Materie einarbeiten, statt als »bayerisches Rumpelstilzchen« aufzutreten, meinte Baerbock.
Als erstes will die neue Regierung den Haushalt für das laufende Jahr verabschieden, wie Angela Merkel deutlich machte. Eigentlich habe beinahe alles im Koalitionsvertrag höchste Dringlichkeit, jedoch stehen auch Besuche des neuen Finanzministers sowie der Kanzlerin in Paris ganz oben auf der Prioritätenliste, um den Stillstand in der Europapolitik zu beenden.
»Es reicht auch nicht allein reinzuschreiben, man hätte ein Recht auf Internet, wenn diese Kabel dann nicht verlegt sind.« Grünen-Chefin Annalena Baerbock