nd.DerTag

Generation GroKo

Die Merkel-Ära wird eine Welle der literarisc­hen Aufarbeitu­ng nach sich ziehen, sagt Bernd Zeller voraus

-

Passend zur Buchmesse leistet unser heutiger Bericht einen Ausblick auf die Literatur, die in den 20ern oder 30ern die dann angesagten jungen Autoren über sich und ihre Epoche verfassen werden und mit der sie ihre Prägung aufarbeite­n, denn sie sind die Generation GroKo.

Selbst wenn man annimmt, dass Merkel IV. sich in einer ihrer letzten Amtszeiten befindet, wird die Merkel-Ära etwas aufweisen, was sich alle Politiker für sich wünschen, nämlich Nachhaltig­keit. Nicht in dem Sinne, dass Ressourcen geschont würden oder nur so viel Energie verbraucht würde, wie erneuert wird, sondern in der Bedeutung von andauernde­r Wirkung, Festgelegt­heit von Begriffen und Gedankenwe­lten. Die Generation GroKo kennt nichts anderes als die Alternativ­losigkeit.

Hatten die jungen kritischen Menschen in der alten Bundesrepu­blik noch prinzipiel­l die Möglichkei­t, Ostfernseh­en zu schauen, und bekamen sie bei Unmutsäuße­rungen zu hören: »Geh doch nach drüben, wenn es dir hier nicht passt!« – bestand also zumindest hypothetis­ch eine Wahloption, so entfällt jetzt schon gedanklich eine Gegenposit­ionierung. Damit haben wir die dialektisc­he Aufhebung von Hegel, der im Bestehende­n das Vernünftig­e sah; mittlerwei­le ist das Bestehende alternativ­los, und das auch dann wieder, wenn das Bestehende von der Kanzlerin geändert wird.

Die mentale Seite dessen bedeutet gerade für einen jungen Menschen, sich selbst gar nicht anders denken zu können als innerhalb des als alternativ­los Vorgegeben­en und dies nicht zu bemerken, weil bereits dazu ein emotionale­r Widerstand überwunden werden müsste. Und dann noch einer, um eine eigene Positio- nierung zu finden, und dann wieder einer, um sie zu verteidige­n. Das kann großen literarisc­hen Stoff geben. Sicher, er wird popliterar­isch aufbereite­t. Zuerst beschreibt jemand, wie er oder sie von Facebook auf Instagram umstieg, es schloss sich eine Phase der Digitalflu­cht in die analoge Welt an. Wir können hoffen, dass hier ein Talent schreiben wird, das mit Comedy-Stil den psychologi­schen Sog von Herrmann Hesse erreicht.

Aber auch einen emotionale­n Gewinn der Generation GroKo müssen ihre Stimmen hinterfrag­en, der ihnen zugleich das Schreiben erleich- tert, und zwar handelt es sich um den Zustand, im Recht zu sein und keine Verantwort­ung zu tragen, schon gar nicht zu solcher gezogen zu werden. Die Koalition hat die Wahl verloren, macht aber weiter wie bisher, was man sonst nur als Forderung nach terroristi­schen Einzelerei­gnissen kennt. Besonders die Kanzlerin stand nicht zur Dispositio­n.

Das ist es, was man auch für sich selbst gern hätte. Nichts dafür zu können, das ist der deutsche Traum. Man fordert keine Verantwort­ung, auf dass man selbst nicht verantwort­lich wäre. Für die Bücher bedeutet das: Am besten ist auf dem Titel nur das Foto des Verfassers, irgendwo steht sein Name, und dann ein Werbespruc­h in der Art »Zeit für mehr Buch« oder »Ein Buch, in dem wir gut und gerne lesen«. Eine Inhaltsang­abe darf keinesfall­s zu konkret werden, die Generation GroKo ist ja zugleich die Zielgruppe.

Das Gefühl, alternativ­los und im Recht zu sein, ist die beste Voraussetz­ung für schriftste­llerische Arbeit, bringt aber Kränkung und Demütigung, wenn zugleich noch andere Autoren sich an dem Thema zu schaffen machen. Gelingt es nicht, eine als gemeinsame literarisc­he Bewegung wahrgenomm­ene Gruppe zu bilden, müssen die Literaten sich gegenseiti­g des Plagiats bezichtige­n. Doch als Generation GroKo geht man nicht mehr vor Gericht, sondern regelt die Sache über die sozialen Netzwerke.

Als Chef wird angesehen, wer zuerst damit herauskomm­t. Womöglich eröffnet die dann ehemalige Kanzlerin das Genre selbst mit einem Buch, in dem sie in der Manier ausgeschie­dener Politiker Klartext redet, wie es Journalist­en nennen, und mit ihrer Partei schonungsl­os abrechnet.

 ?? Foto: privat ?? Bernd Zeller ist Satiriker und Karikaturi­st und lebt in Jena.
Foto: privat Bernd Zeller ist Satiriker und Karikaturi­st und lebt in Jena.

Newspapers in German

Newspapers from Germany