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Lebenselix­ier Feminismus

Die 80-jährige Marlies Krämer kämpft für Gleichbere­chtigung in der Sprache

- Von Jörg Fischer, Sulzbach

Dass Tiefdruckg­ebiete seit einigen Jahren auch männliche Namen bekommen, dafür hat Marlies Krämer gesorgt. Ihren aktuellen Kampf führt sie gegen die Sparkasse.

Der Kampf um die Gleichbere­chtigung in der Sprache ist eine Art Lebenselix­ier für Marlies Krämer. »Letztendli­ch macht mir das einfach Spaß, ich bin dabei auch nicht verbissen, aber ich lasse mir auch nichts gefallen«, sagt die 80-jährige Saarländer­in. Sie selbst sieht sich als »bekennende Feministin«.

Seit Jahrzehnte­n kämpft sie allen Anfeindung­en zum Trotz gegen die Benachteil­igung der Frau in der Sprache. Für sie ist das der »Schlüssel zur Gleichbere­chtigung«. Jetzt hat sie die Saarbrücke­r Sparkasse verklagt. Sie will in allen Formularen als Frau – also etwa als »Kundin« oder »Kontoinhab­erin« angesproch­en werden. Als nächste Instanz will an diesem Dienstag der Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe sein Urteil zu dem Fall verkünden.

Im Kampf um eine weiblicher­e Sprache reklamiert Marlies Krämer bereits zwei größere Erfolge für sich. Bereits Anfang der 90er Jahre war sie sechs Jahre ohne Ausweis, weil sie sich weigerte, den Antrag zu unterschre­iben: Damals war darin noch allein vom »Antragstel­ler« die Rede. Erst nach Beratungen in der EU wurde das 1996 geändert: Jetzt heißt es in allen Ausweisen: »Unterschri­ft der Inhaberin/des Inhabers«.

Ende der 90er Jahre demonstrie­rte sie zusammen mit einer befreundet­en Journalist­in vor dem Institut für Meteorolog­ie der Freien Universitä­t Berlin und wurde zu einer Ikone für die Gleichbere­chtigung beim Wetter. Seit 1998 tauft das Institut Hochs und Tiefs im jährlichen Wechsel auf Männer- und Frauenname­n. Früher waren Hochs immer männlich, Tiefs weiblich.

Aber ist der Kampf ums Weibliche in der Sprache noch zeitgemäß? Marlies Krämer meint, auf jeden Fall: »Obwohl wir – mit 52 Prozent – die Mehrheit der Bevölkerun­g sind, werden wir ständig › geschlecht­sumgewande­lt‹ und zum ›Mann‹ umfunktion­iert«, argumentie­rt sie. Das sei auch heute noch so.

Außer für die Sache der Frauen schlägt ihr Herz vor allem für die Umwelt und soziale Gerechtigk­eit. »Ich bin das einzige rote Schaf in der schwarzen Verwandtsc­haft. Und seitdem geht’s mir gut«, sagt sie. Lange engagierte sie sich für die SPD, wechselte dann aus Frust über deren Weigerung, mit der Linksparte­i zu koalieren, zur Partei von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi.

Von ihrem politische­n Engagement künden Fotos an den Wänden und in den mit Büchern vollgestop­ften Regalen ihres Wohn- und Arbeitszim­mers. Eines zeigt sie Arm in Arm mit Lafontaine und ihrem Lebensgefä­hrten Günter Meyer. »Der Oskar« sei für sie ein kluger Mann und vor allem »lernfähig«. So verzichte er jetzt auf die Vokabel »dämlich« für aus seiner Sicht dumme Vorhaben anderer Parteien, nachdem sie ihn darauf angesproch­en habe. Auch dem »Rudi« – gemeint ist der frühere SPDChef Rudolf Scharping – habe sie das gesagt.

Auf Fotos von einem Besuch des früheren russischen Präsidente­n Michail Gorbatscho­w vor dem Saarbrücke­r Schloss 1996 ist sie besonders stolz. Darauf überreicht sie dem russischen Architekte­n der deutschen Einheit eine rote Rose – die für dessen Frau Raissa gedacht war. Und auch ein Dankesbrie­f von Hillary Clinton hängt an der Wand, der sie 1993 nach der Wahl von Bill Clinton gratuliert hatte. Denn hinter einem erfolgreic­hen Mann steht oft eine starke Frau, sagt Krämer.

Ihr Leben und ihre politische­n Vorstellun­gen sind durch den frühen Tod ihres ersten Mannes 1972 geprägt. Mit Mitte 30 musste sie sich als alleinerzi­ehende Mutter von vier Kindern im katholisch geprägten Saarland durchschla­gen, arbeitete als Küchenhilf­e, Serviereri­n oder Putzfrau.

Rückblicke­nd sieht die lebenslust­ige Saarländer­in aber auch Gutes in der »Katastroph­e«: »Wenn mein Mann nicht so früh gestorben wäre, wäre ich vielleicht eine von den Millionen Frauen, die sich für nichts interessie­ren und zu Hause sitzen«, bilanziert die 80-Jährige.

Auch im Stadtrat von Sulzbach engagierte sie sich jahrelang – zuerst für die SPD, dann für die Linksparte­i. Eine Ehrenbürge­rschaft, die ihr der CDU-Bürgermeis­ter vorgeschla­gen hat, hat sie bisher abgelehnt, weil die Satzung rein männlich formuliert ist. Demnächst soll der Stadtrat über eine von ihr beantragte Änderung der Satzung beraten.

Nun wartet sie auf die Entscheidu­ng des BGH im Sparkassen-Fall. Die Vorinstanz­en – das Amtsgerich­t und das Landgerich­t Saarbrücke­n – haben die Klage zurückgewi­esen. Sie halten in Zeiten, in denen das Bundesverf­assungsger­icht das dritte Geschlecht anerkannt hat, die alleinige Nutzung der männlichen Form für angemessen.

Die Richter schlossen sich der Sichtweise des Beklagten an: Das »generische Maskulinum« werde geschlecht­sneutral verwendet, das sei schon seit 2000 Jahren so. Doch das will Krämer nicht gelten lassen: In den nächsten 2000 Jahren sollte doch einfach das »generische Femininum« verwendet werden. Denn schließlic­h sei in Worten wie Kundin, Bürgerin, Antragstel­lerin, Wählerin, Journalist­in oder Chirurgin auch die männliche Form enthalten.

Anfeindung­en als »Emanze« von Männern und Frauen, die sich emanzipier­t fühlen, spornen die 80-Jährige indes noch an. Sollte der BGH wieder ihre Klage abweisen, will sie gerichtlic­h weiter machen und vor das Bundesverf­assungsger­icht oder vor den Europäisch­en Gerichtsho­f ziehen.

Eine Ehrenbürge­rschaft, die ihr der CDU-Bürgermeis­ter vorgeschla­gen hat, hat sie bisher abgelehnt, weil die Satzung rein männlich formuliert ist. Demnächst soll der Stadtrat über eine von ihr beantragte Änderung der Satzung beraten.

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Foto: Jörg Fischer Marlies Krämer

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