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Smog an jedem zweiten Tag

In Polen ist die Luftversch­mutzung besonders hoch – die Regierung muss aktiv werden

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Bis zuletzt hoffte Polen, die Vorgaben der neuen EU-Strommarkt­verordnung umgehen zu können. Doch die Regierung muss erheblich mehr tun, um die Feinstaubb­elastung ihrer Bürger zu reduzieren.

Nicht nur politisch gesehen wird in Polen die Luft immer giftiger. Auch in Wirklichke­it war sie schon lange nicht so schlecht wie in diesen Monaten. Der sattsam bekannte Smog sorgt alljährlic­h dafür, dass Kraków, Chorzów und Katowice an Peking oder Delhi erinnern, wobei Menschen mit Atemmasken auf polnischen Straßen eher selten sind.

Der Einfluss der Kohleindus­trie auf die Wirtschaft des Landes ist nach wie vor enorm, ebenso deren Wirkung auf die Umwelt. Rund 60 Prozent der Heizenergi­e und gar bis zu 85 Prozent des Stroms werden aus Kohle gewonnen. Vor allem in den schlesisch­en Kohlerevie­ren, aber ebenso in Großstädte­n wie Warschau und Kraków ist die Situation in der kalten Jahreszeit immer wieder alarmieren­d. Laut der Tageszeitu­ng »Rzeczpospo­lita« sterben jedes Jahr bis zu 50 000 Polen an den Folgen des giftigen Smogs. In Rybnik, Zentrum eines großen Kohlenrevi­ers, wurden gar zeitweise Schulen geschlosse­n. Älteren und Schwangere­n wurde geraten, ihre Wohnungen nicht zu verlassen.

Hinzu kommt, dass zahllose Altbauten noch mit Stoffen beheizt werden, die eigentlich gar nicht verbrannt werden dürfen. Dies gilt in Po- len zwar offiziell als Vergehen, doch lässt es sich nur schwer kontrollie­ren und wird ohnehin nur mit relativ milden Geldstrafe­n belegt.

Ende Februar rügte der Europäisch­e Gerichtsho­f in einem Urteil, dass Polen zu wenig gegen die Luftversch­mutzung unternehme und damit EU-Recht breche. Anders als im Falle Deutschlan­ds, dem wegen dauerhafte­r Überschrei­tung von Stickoxidg­renzwerten gleichfall­s eine Klage der EU-Kommission droht, geht es in Polen vornehmlic­h um die zu hohe Feinstaubk­onzentrati­onen der Luft. Die Regierung in Warschau hatte argumentie­rt, die Feinstaubg­renzwerte erst zwischen 2020 und 2024 einhalten zu können, da umfangreic­he technische Änderungen in der Kohleindus­trie nötig seien. Polen konnte die Luxemburge­r Richter aber nicht davon überzeugen, dass so lange Fristen unumgängli­ch sind.

Erst im Dezember 2017 kam es in dem Zusammenha­ng zwischen einzelnen EU-Staaten zu hitzigen Diskussion­en über die Pläne der EUKommissi­on, dass bis 2030 mindestens 27 Prozent des Energiever­brauchs in der EU aus erneuerbar­en Quellen gedeckt werden, um bis dahin im Vergleich zu 1990 den Ausstoß der Treibhausg­ase um 40 Prozent zu reduzieren. Insbesonde­re beim Thema Kohlekraft­werke gingen die Meinungen auseinande­r.

Polnische Vertreter haben die EUKommissi­on um Erlaubnis gebeten, die Meiler zwischen Bug und Oder noch bis 2040 betreiben zu dürfen. Warschau stützte sich auf eine Regelung, nach der die wettbewerb­srecht- liche Bewilligun­g über eine neue EUStrommar­ktverordnu­ng hinaus Bestand hätte. Diesen Vorstoß hatte die Kommission augenschei­nlich kommen sehen. »Kapazitäts­mechanisme­n stellen keine Möglichkei­t dar, um umweltschä­dliche fossile Brennstoff­e zu subvention­ieren«, betonte bereits Anfang 2017 der EU-Kommissar für Klimaschut­z und Energie, Miguel Arias Cañete. Dennoch wähnte sich Polen bis zuletzt auf der sicheren Seite, auch dank der (besonders für Frankreich) überrasche­nden Unterstütz­ung durch die deutsche Regierung.

Laut dem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs konnte Polen allerdings kaum nachweisen, dass das Land aufgrund von »haushaltsp­olitischen Herausford­erungen« eine längere Subvention­ierung von Kohlemeile­rn benötige. Geeignete Maßnahmen seien demnach »unverzügli­ch umzusetzen«.

Dabei scheint der Kampf mit der Luftversch­mutzung bei den unternehme­rischen Polen neue Potenziale freizusetz­en und wirtschaft­liche Perspektiv­en zu eröffnen. Luftreinig­er und Kosmetika haben momentan Hochkonjun­ktur. So werden dann auch prompt Handwerksm­asken zu AntiSmog-Produkten umfunktion­iert. Spezielle Sauerstoff­masken (bei Bedarf auch mit Minzgeschm­ack) finden ebenfalls den Weg über die Ladentheke. »Die Nachfrage nach solchen Produkten wird zweifellos größer, ich musste bereits nachbestel­len«, beteuert Paweł Puchała, ein Verkäufer aus Kraków. In der zweitgrößt­en polnischen Stadt werden jährlich bis zu 190 Smogtage gemessen.

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