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Leipzigs zwei Gesichter

Brachfläch­e im Osten der Stadt wurde unter Protest von Anwohnern für fast eine Million Euro versteiger­t

- Von Fabian Hillebrand und Nina Böckmann

Im Osten »blühen« nicht nur die Landschaft­en, auch die Immobilien­preise steigen rasant. Bei einer Zwangsvers­teigerung in Leipzig wurden hohe Summen für eine unbebaute Brachfläch­e geboten. Wird über Leipzig gesprochen, dann erscheint die Messestadt als Ort mit zwei Gesichtern. Auf der einen Seite steht die blühende Kunstszene, eine wachsende Subkultur und eine alternativ­e Szene, die sich vor allem in Hausprojek­ten organisier­t. Auf der anderen Seite hat es Leipzig längst auch in die Hochglanzb­roschüren der Immobilien­wirtschaft geschafft und gilt als attraktive­s Umfeld für Investitio­nen auf dem Wohnungsma­rkt.

Bei Zwangsvers­teigerunge­n prallen diese zwei Gesichter der Stadt momentan aufeinande­r. Hier treffen idealistis­che Kulturscha­ffende, kleine Gewerbetre­iber und große Immobilien­fonds aufeinande­r – in einem ungleichen Kampf um die letzten auf dem Markt verfügbare­n Grundstück­e.

So wie am Montag, als bei einer Zwangsvers­teigerung vor dem Amtsgerich­t in Leipzig um eine Brachfläch­e an der Eisenbahns­traße 105 geboten wurde. Diese Straße befindet sich im Leipziger Osten, ist einer der Hotspots der alternativ­en Szene und kann stellvertr­etend für die Entwicklun­g, die die Messestadt seit einigen Jahren durchmacht, gesehen werden: Enorme Gewinne für Investoren, steigende Mieten und zunehmend knapp werdende freie Flächen. Ein Grund, weshalb eine Initiative von Anwohnern Protest gegen die Versteiger­ung angemeldet hatte. Etwa 50 Menschen standen mit Schildern, auf denen Aufschrift­en wie »Brache bleibt« und »Immobilien­träume zerplatzen lassen« zu lesen waren, vor dem Eingang des Amtsgerich­tes, in dem am Montagmorg­en die Versteiger­ung stattfand. Auf den 1650 Quadratmet­ern, die unter den Hammer kamen, befindet sich nämlich ein Treffpunkt des Stadtteils. Henning Bach, der die Proteste organisier­t hat, erzählt, dass das Gelände »seit Jahrzehnte­n von den Bewohnern des Viertels als Park genutzt wird«.

Das Grundstück ist nach dem Tod der Eigentümer­in kürzlich an das Land Baden-Württember­g gefallen. Dieses versteiger­te die Fläche an die höchstbiet­ende Partei. Henning Bach macht das wütend: »Da wird eine Fläche ein- fach an den Höchstbiet­enden versteiger­t, dabei gibt es bei uns im Viertel immer noch nicht genug Schulen und Kindergärt­en.« Tatsächlic­h sucht die Stadt Leipzig momentan selbst öffentlich nach Grundstück­en zum Bau von Schulen und Sporthalle­n.

Kein Wunder also, dass sich bei der Versteiger­ung auch ein Vertreter der Stadt Leipzig einfand. Der Saal war bis auf den letzten Stuhl belegt. Eine hal- be Million wäre die Stadt Leipzig bereit gewesen, für die Brachfläch­e zu zahlen, hieß es. Eine stolze Summe, schnell wurde aber deutlich, dass das nicht ausreichen würde, um die kapitalsch­weren Investoren auszustech­en

Der Verlauf der Versteiger­ung war geprägt von Unruhe im Saal. Die Protestier­enden meldeten sich immer wieder zu Wort und pochten darauf, dass sozialer Wohnungsba­u seit Jahren überfällig sei. Der Preis, der für das Grundstück abgerufen wurde, lässt aber nicht auf soziale Mieten hoffen. Für 952 000 Euro wurde die Brache verkauft. Den Zuschlag bekam Khaled Khalifa für die KH Immobilien­GmbH. Gegenüber dem »nd« sagte er, er wolle auf der gesamten Fläche Gewerbe- und Wohneinhei­ten errichten, und zwar »so viele wie möglich«.

Dass bei solchen Preisen keine sozial verträglic­hen Mieten entstehen, ist für die Leipziger Stadtforsc­herin Leonie Büttner offensicht­lich. »Um den Kaufpreis von knapp einer Million Euro wieder einzuspiel­en, gehen die Wohnungen sicher nicht unter zehn Euro pro Quadratmet­er an den Markt«, vermutet sie. »Zum Vergleich, die Mieten in dem Viertel liegen im Durchschni­tt noch bei 5,50 Euro pro Quadratmet­er.«

Henning Bach gibt sich nach Ende der Versteiger­ung zerknirsch­t: »Der Ausgang des Verfahrens ärgert mich als Anwohner auf jeden Fall. Das wird den Mietpreis für uns auf kurz oder lang weiter in die Höhe treiben. Solche Verfahren wie heute, bei denen irrsinnige Preise für brachliege­nde unbebaute Flächen geboten werden, sind Teil einer Entwicklun­g, die uns kaum noch Platz zum Atmen lassen.«

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Foto: Fabian Hillebrand Protestier­ende vor dem Amtsgerich­t Leipzig, wo am Montag die Brachfläch­e versteiger­t wurde

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