nd.DerTag

Von Willkür zur Solidaritä­t

Peter Steudtner über seine Zeit im türkischen Gefängnis.

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Du hast im Gefängnis Türkisch gelernt? Warum? War das der Versuch, der Isolation zu entgehen und nicht ohnmächtig zu sein? Normalerwe­ise arbeite ich nur da, wo ich die Sprache spreche. Ich unterstütz­e Menschenre­chtorganis­ationen in verschiede­nen Ländern, meist in englisch- oder portugiesi­schsprachi­gen. Es sollte nur ein kurzer Workshop von dreieinhal­b Tagen in der Türkei sein – daraus wurden dreieinhal­b Monate. Zu Beginn meiner Haft wollte ich nicht Türkisch lernen. Es erinnerte mich an meine Zeit als Fotojourna­list in Südafrika zu Beginn der 1990er Jahre, als ich es ablehnte, Afrikaans, die Sprache der Unterdrück­enden, zu lernen. In der Türkei war das aber nicht möglich, weil Türkisch auch die Sprache der Unterdrück­ten ist.

Durch meine nur halbwegs erfolgreic­hen Versuche, Türkisch zu lernen, kam ich in Kontakt mit meinen Mitgefange­nen, die mich auch in meinen Bemühungen bestärkten. Darüber hinaus wollte ich keine Belastung für meine Mitgefange­nen sein, weil sie für mich gegenüber den Vollzugsbe­amten übersetzen mussten. Glückliche­rweise bin ich ja entlassen worden, bevor ich mit den Vollzugsbe­amten gut genug Türkisch hätte sprechen können.

Wie haben die Vollzugsbe­amten reagiert?

Überwiegen­d positiv. Einige Vollzugsbe­amte sahen sich durch meine bescheiden­en Lernversuc­he allerdings darin bestätigt, dass ich ein Spion und Unterstütz­er terroristi­scher Organisati­onen sei. Manche Wärter haben mich dreieinhal­b Monate lang einmal in der Woche zu den Anwälten geführt und mich bis zum Schluss nicht mit meinem Namen angeredet, sondern mit »Ajan« (Agent).

Du bist schon seit vielen Jahren als Trainer für gewaltfrei­e Konfliktau­stragung tätig. Hat dir das geholfen, um in einer Situation der vollkommen­en Entrechtun­g und Isolation deine Handlungsm­acht und deinen Optimismus zu bewahren?

Im Gefängnis Silivri riefen die Gefangenen oft »Sohbet, hakkımız, engellenem­ez«, was übersetzt so viel bedeutet wie »Gespräche sind unser Recht, das könnt ihr nicht verhindern«. Kommunikat­ion ist essenziell, und der zweimal tägliche Kontakt mit den Wärtern reicht nicht. Das ist das Furchtbare an Einzelisol­ationshaft: kein Feedback, nur das Selbstgesp­räch in Gedanken, kein Widerspieg­eln seines eigenen Ichs im Gespräch mit anderen und keine Möglichkei­t, dadurch Rückmeldun­g über das psychische und physische Befinden zu erhalten – und wenn man streitet, dann nur mit sich selbst.

Für alle meine Mitgefange­nen war Kommunikat­ion essenziell. Wir riefen über die sieben Meter hohen Gefängnism­auern hinweg und nutzten das »Cell Phone« – den Gullidecke­l im Hof, der die Zellen miteinande­r verband und die Kommunikat­ion bis zu drei Zellen links und rechts des Deckels ermöglicht­e.

Wie hast du mit deiner Familie und deinen Freund*innen kommunizie­rt?

In den ersten zwei Wochen des Gewahrsams hatten wir täglich einmal Kontakt mit unseren Anwält*innen. Das war wunderbar, da Anwält*innen noch viel mehr Rollen einnehmen als die bloße juristisch­e Vertretung: Teilweise lasen sie unter Tränen die Briefe der Liebsten vor oder versorgten Gefangene mit Kleidung.

So habe ich auch von den vielen Solidaritä­tsaktionen erfahren, was mich mental sehr getragen hat. Die Gemeinde hat jeden Abend für mich gebetet und ich habe parallel meine Andacht gehalten. Wenn ich von Postkarten­aktionen erfahren habe, habe ich mich gefreut, auch wenn ich keine Post erhalten durfte. Die Anwält*innen haben mir Nachrichte­n vorgelesen und die Wärter waren genervt. Es war toll zu wissen, dass Leute an mich denken.

Aus meinem Briefwechs­el mit Deniz Yücel weiß ich, wie wichtig auch für ihn solche Aktionen sind.

Hat dir dein Vorwissen als Trainer für gewaltfrei­e Konfliktau­stragung nützliche Strategien an die Hand gegeben, um im Gefängnis Autonomie und Menschlich­keit zu bewahren?

Viele Wochen saß ich mit nur einem Mitgefange­nen in einer Zelle – während dieser Zeit haben wir uns gegenseiti­g zu stärken versucht. Dabei halfen selbst gestaltete Routinen wie ein ausführlic­hes gemeinsame­s Frühstück als Zeit gemeinsame­n Smalltalks und Reflektier­ens.

Ich war aber in vielerlei Hinsicht in einer günstigere­n Position als andere Gefangene: zum einen durch mein Vorwissen aus jahr langer Arbeit mit Menschenre­chts verteidige­r* innen, die mir anwendbare Methoden mitgegeben haben. Zu manderen lernte ich durch meine frühere Tätigkeit als Fotografin Konflikt regionen,Ents pan nungs strategien zu entwickeln. Zudem konnte ich zuvor praktizier­te persönlich­e Routinen (Yoga, viel Lesen, Tagträume etc.) in meinen Gefängnisa­lltag integriere­n, und ich habe versucht, diese an meine Mitgefange­nen weiterzuge­ben. Besonders beim Gangaufsch­luss ergab sich in den ersten zwei Wochen des Gewahrsams die Möglichkei­t, Workshops in größeren Gruppen zu halten,z.B.z um Thema» Weinen «; ein sensibles Thema im männlich dominierte­n Gefängnisa­lltag.

Ich organisier­e viele Workshops in Gebieten, die für Menschenre­chts aktivist* innen gefährlich sind, und wo es daher erprobte Sich er heits mechanisme­n für uns gibt, um schnell in einem Notfall reagieren zu können. Der deutsche Pass gewährte mir ebenfalls Schutz – bis zum Vorfall in der Türkei. Dennoch sind unrechtmäß­ige und willkürlic­he Inhaftieru­ngen alltäglich­e Gefahren für viele Aktivist*innen rund um die Welt – und somit auch schon lange eine potenziell­e Gefahr auch für mich. Daher habe ich mir eine achtsame Lebensführ­ung angewöhnt, die mir im Ernstfall auch erhalten blieb und Kraft schenkte.

Neben Methoden zur Bewältigun­g von Repression und Willkür vermittle ich auch, sich der Gefahr für die eigene Person dauerhaft bewusst zu sein. Es gibt viele Gründe, die einen in eine solche Position bringen können, in manchen Staaten reicht reine Willkür ode rein dummer Zufall. Einer meiner Mitgefange­nen saß wegen einer Namens verwechslu­ng ein Jahr in Abu Ghraib, ein anderer hat- te eine falsche App auf dem Smartphone.

Verläuft Solidaritä­t im Gefängnis eher entlang sozialer Beziehunge­n oder politische­r Identitäte­n?

Mein Einblick in die Beziehungs­muster war durch meine kurze Haftzeit und durch meinen Status als privilegie­rter Ausländer eingeschrä­nkt. In der Gewahrsams­haft wechselten die Insassen oft täglich, trotzdem war die Solidaritä­t sehr groß. Dort wurde ich einer bereits voll belegten Zelle mit drei Betten zugewiesen. Die Insassen boten mir sofort das bequemste Bett und Übersetzun­gshilfe an – solche Solidaritä­t habe ich bei allen Gefangenen erlebt. Die meisten Gefangenen in meinem Gewahrsam wurden des Terrorismu­s beschuldig­t. Sie hatten meist keinen originär politische­n oder bildungspo­litischen Hintergrun­d wie ich. Nur durch die große Solidaritä­t konnten u. a. meine Workshops im Gefängnis stattfinde­n und ich mit meinem Co-Trainer Ali Gharavi kommunizie­ren.

Hat der Staatsappa­rat versucht, Solidaritä­t unter den Insassen zu unterdrück­en?

Ja. Gefängniss­e sind Orte der Gewalt und sollen Kommunikat­ion unterbinde­n. Besonders rau gestaltete sich das Ankommen im Gefängnis Maltepe. Von Beginn an wurde die Hierarchie zwischen Wärtern und Insassen mit Gewalt betont und versucht, jegliche Motivation, Kontakt mit anderen Insassen zu suchen, im Keim zu ersticken. Ali und mir wurde eine »Zellensuit­e« – drei Doppelzell­en mit Gemeinscha­ftsraum – zugewiesen. Dort konnten wir uns nicht mit anderen Insassen austausche­n. Gleichzeit­ig konnten wir so auch nicht bespitzelt werden und waren nicht der Gewalt zwischen den Gefangenen und seitens der Wärter ausgesetzt.

Wie kannst du weiterhin persönlich Solidaritä­t für deine ehemaligen Mitinsasse­n leben?

In Gedanken bin ich viel bei all den Menschen, die mir im Gefängnis begegneten oder mit mir festgenomm­en und ebenfalls freigelass­en wurden. Öffentlich­e Solidaritä­t versuche ich durch das Gespräch mit der interessie­rten Zivilgesel­lschaft und wichtigen politische­n Entscheidu­ngsträger*innen zu zeigen. Dabei themati- siere ich auch mein Privileg, wieder auf freiem Fuße zu sein und zu keiner Gerichtsve­rhandlung erscheinen zu müssen, während andere noch auf ihre Verhandlun­gen warten müssen.

Und es bleibt eine Gratwander­ung: Als noch immer verdächtig­ter ExHäftling wäre es kontraprod­uktiv, persönlich­e Briefe von mir in die Türkei zu schicken. Ich berate mich deshalb mit meiner Familie, Ali Gharavi und meinen ehemaligen Kolleg*innen und auch den Anwält*innen, die mit Menschenre­chts verteidige­r* innen arbeiten, welche Schritte mehr Schaden anrichten als nutzen würden.

Wie gehst du mit Solidaritä­t von Persönlich­keiten wie Angela Merkel oder Sigmar Gabriel um?

Auf menschlich­er Ebene bin ich für ihre Solidaritä­t dankbar. Aber auf politische­r Ebene kritisiere ich diese selektive Solidaritä­t und fordere denselben Einsatz auch für andere Gefangene. Die Glaubwürdi­gkeit ihrer Solidaritä­t würde dadurch gestärkt, wenn sie sich beispielsw­eise auch gegen Waffenexpo­rte in die Türkei einsetzen würden. In Gesprächen mit Politiker*innen bringe ich offen beide Ebenen zum Ausdruck.

Und es bleibt eine »Zuordnungs­lücke«: Es ist nicht auszumache­n, was ausschlagg­ebend für meine Freilassun­g war – der Besuch von Peter Altmaier, die Solidaritä­tsaktion von 60 Menschenre­chtsorgani­sationen vor den UN oder der politische Einfluss der türkischen Zivilgesel­lschaft oder türkischer Entscheidu­ngsträger*innen aus dem Wirtschaft­sministeri­um. Das bewahrt mich vor dem Zwang, einer bestimmten Personengr­uppe Dankbarkei­t zeigen zu müssen.

Wurde Meşale Tolu und Deniz Yücel dasselbe Engagement von deutschen Politiker*innen entgegenge­bracht? Sind eure Fälle politisch und juristisch vergleichb­ar?

Das kann ich nicht beurteilen. Vom Medienecho her gesehen war der Druck auf deutsche Politiker*innen bei Meşale Tolu und Deniz Yücel sicherlich größer als bei mir. Als blonder, blauäugige­r, netter Nachbarsju­nge, der in die Kirche geht, einen deutschen Pass und keine zweite Staatsbürg­erschaft hat und noch nie Asyl beantragen musste, ist der Einsatz der Politiker*innen für mich ver- mutlich leichter. Da spielt Alltagsras­sismus eine Rolle.

Dir wurden 113 Tage Freiheit genommen. Wie weit kannst du wieder an dein Leben davor anschließe­n und welche Erfahrunge­n bleiben?

Die 113 Tage Unfreiheit können weder mir noch meiner Familie wiedergege­ben werden. Die Zeit raubte vor allem meiner Familie, meinen Freund*innen und Kolleg*innen viel Kraft. Der Schock zu Beginn meiner Inhaftieru­ng wandelte sich aber schnell und gab ihnen Kraft für vielfältig­e und effektive Solidaritä­tsaktionen und ein gegenseiti­ges Sorgen und »sich stärken«.

Für das, was mir genommen wurde, habe ich aber auch viel bekommen: die große Solidaritä­t meiner Mitgefange­nen, die unermüdlic­he Kommunikat­ion meiner Anwält*innen, die zu einer neuen Familie für mich wurden, und natürlich die Solidaritä­t vieler, die z.B. Briefe und Postkarten schrieben. Ich weiß nun den Wert und das Wirken von Briefund Postkarten­aktionen, an denen ich früher selber teilgenomm­en habe, viel mehr zu schätzen.

Ob Weinen, Yoga, Meditation oder viel Lesen – vieles, was im Gefängnis oder zur Bewältigun­g von Repression und Willkür nützlich ist, kann man nicht oder kaum im Ernstfall lernen. Daher ist es gut, mit ein paar Methoden und Fähigkeite­n vorbereite­t zu sein. Was mir und anderen im Gefängnis gut getan und Mut gemacht hat, ist die Möglichkei­t, Wohlfühlen zu üben. Wohlfühlen zu üben, heißt, im Alltag energiesch­onend und wohlwollen­d mit Geist und Körper umzugehen.

Schließlic­h bleibt die Erkenntnis, dass die Mehrheit der zuvor in Workshops angewandte­n Methoden im Ernstfall wirkt und damit auch Bestandtei­l zukünftige­r Trainings sein wird. Ich will keine Panik verbreiten, aber: Niemand ist vor Repression, Willkür und Unrechtbeh­andlung sicher. An vielen Orten wird zivilgesel­lschaftlic­hes Engagement immer gefährlich­er.

Und es gibt ein Sprichwort aus Afrika, welches hier für mich passt: »Wenn du schnell sein willst, geh alleine. Wenn du weit kommen willst, geh mit anderen zusammen.« In diesem Sinne lasst uns zusammen solidarisc­h unterwegs sein!

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Foto: dpa/Michael Kappe
 ?? Foto: dpa/Michael Kappeler ?? Hielt in Gefangensc­haft einen Workshop zum Thema »Weinen«: Peter Steudtner
Foto: dpa/Michael Kappeler Hielt in Gefangensc­haft einen Workshop zum Thema »Weinen«: Peter Steudtner

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