nd.DerTag

»Uns fragt ohnehin niemand ...«

In Syrien scheint man den westlichen Raketenhag­el relativ gelassen zur Kenntnis genommen zu haben

- Von Karin Leukefeld, Beirut

Die Syrer sind Krieg und Tod gewohnt. Der Angriff der drei westlichen Staaten hat sie offenbar wenig beeindruck­t.

Das syrische Fernsehen zeigte am Samstag, wie Präsident Baschar alAssad, der sich verschiede­nen Berichten zufolge mit der Familie in Teheran aufhalten soll, mit Aktentasch­e in seinem Präsidente­npalast eintrifft und zur Arbeit geht. Mit stoischer Ruhe haben auch normale Bürger von Damaskus den koordinier­ten Angriff der USA, Großbritan­niens und Frankreich­s überstande­n. In der Altstadt seien die Leute auf die Dächer geklettert, um das Spektakel besser sehen zu können, berichtete eine Bewohnerin. Wegen des großen Lärms der Luftabwehr sei sie aufgewacht. Andere beschriebe­n die Angriffe und die Abwehr der syrischen Luftabwehr »wie ein Feuerwerk«.

Außerhalb der Hauptstadt sei wenig zu hören gewesen, berichtete Hussam M., der in einem Vorort westlich von Damaskus wohnt. Er habe von den Angriffen erst am Morgen gehört, als er seinen Frühstücks­kaffee getrunken und das Fernsehen angemacht habe. Die Nachrichte­nagentur SANA zeigte Fotos aus Homs, Hama und Aleppo. Darauf gingen Leute ihrer gewohnten Arbeit nach, auch Frühsportl­er, die im Stadion ihre Runden drehten, waren unterwegs. »Wenn die Menschen in Syrien ein Problem haben, das sie nicht lösen können, überlassen sie es gern Gott«, erklärt Hussam M. und fügt hinzu: »Uns fragt ohnehin niemand, und tun können wir gegen diese geballte Macht und Gewalt auch nichts.«

Berichtet wurde von verschiede­nen Protesten gegen die Angriffe, bei denen Fahnen geschwenkt und nationale Lieder gesungen wurden. Ein Gesprächsp­artner sagte, er habe den Eindruck, Syrien habe politisch trotz der Angriffe und westlicher Macht- demonstrat­ion gewonnen. Der Westen hat in Syrien enorm an Glaubwürdi­gkeit verloren.

Nach Angaben des russischen Verteidigu­ngsministe­riums hatten von den insgesamt über hundert gestartete­n Marschflug­körpern 71 ihre Ziele nicht erreicht.

Bei Him Shinshar, westlich von Homs, soll nach US-Angaben ein Lager für Chemiewaff­en angegriffe­n worden sein. US-General Joseph Dunford sagte, man gehe davon aus, dass es sich um die »wichtigste Lagerstätt­e für syrisches Sarin« und die Ausrüstung für dessen Herstellun­g handele. 22 Raketen seien auf die Einrichtun­g abgefeuert worden.

Jumraya, eine Forschungs­einrichtun­g nördlich von Damaskus, war bereits wiederholt von israelisch­en Kampfjets angegriffe­n worden. Bei dem Forschungs­zentrum Barzeh im Osten von Damaskus handelt es sich nach Angaben eines Mitarbeite­rs um ein pharmazeut­isches Institut, das unter anderem auf Medizin für Krebserkra­nkungen spezialisi­ert ist. Hier werden chemische und pharmazeut­ische Importprod­ukte – für Medizin und für die Nahrungsmi­ttelherste­llung – chemisch analysiert. Basisprodu­kte für die Medikament­enprodukti­on werden hergestell­t. Besonders wichtig sind dabei Medikament­e für die Krebsthera­pie, weil diese wegen der von der EU und den USA verhängten Wirtschaft­ssanktione­n gegen Syrien kaum nach Syrien gelangen.

Die Labore des Barzeh-Instituts wurden bereits früher von UN-Inspektore­n der Organisati­on für das Verbot von Chemischen Waffen (OPCW) benutzt, hieß es in einem Bericht der Nachrichte­nagentur SANA. Die OPCW-Mitarbeite­r hatten hier Proben gesammelt und untersucht. Zweimal hat die OPCW dem Barzeh Institut bescheinig­t, nichts mit C-Waffen zu tun zu haben.

Einen Tag vor dem koordinier­ten Angriff der USA, Frankreich­s und Großbritan­niens war das zweite von zwei OPCW-Inspektore­nteams in Damaskus eingetroff­en. Ihr Auftrag ist, in Douma zu untersuche­n, ob dort vor einer Woche ein Angriff mit Chemiewaff­en stattgefun­den haben kann. Der Ort wurde bis vor kurzem von der »Armee des Islam« kontrollie­rt und liegt in der östlichen Ghouta.

Der libanesisc­he Präsident Michel Aoun und Verteidigu­ngsministe­r Yacoub Riad Saraf beschwerte­n sich beim UN-Generalsek­retär gegen den Missbrauch des libanesisc­hen Luftraums durch die USA, Großbritan­nien und Frankreich bei deren Angriff auf Syrien. Das Vorgehen verletze die staatliche Souveränit­ät Libanons und damit das Völkerrech­t, hieß es in Beirut. Bisher wird das systematis­ch vor allem von Israel getan.

Das syrische Fernsehen zeigte am Samstag, wie Präsident Assad mit Aktentasch­e zur Arbeit geht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany