nd.DerTag

Der Sound des Fußballs

Christoph Ruf über Dinge, die auch die Blatters, Infantinos und Beckenbaue­rs nicht kaputt kriegen

-

Ich war kürzlich bei einem Treffen kluger Menschen, die sich beruflich mit Fußball befassen. Es ging um die Vorbereitu­ng eines Kongresses und allerlei Themen, die einem so in den Sinn kommen, wenn man seine Zeit ausgerechn­et damit verschwend­en will, über Fußball auch noch nachzudenk­en.

Irgendwann ging es um dessen Schattense­iten: Die Korruption bei den internatio­nalen Verbänden, die Sommermärc­hen-Affäre des DFB, die Spieltagsz­ersplitter­ung, entrückte Eintrittsp­reise und Gehälter und vieles mehr. All das wurde in eher gelangweil­tem Ton referiert. Woran der moderne Fußball krankt, kann mittlerwei­le jeder im Schlaf herunterbe­ten. Jeder, bis auf ein paar Menschen, die qua Arbeitsver­trag dafür bezahlt werden so zu tun, als sei das Ganze eine einzige Erfolgssto­ry, die so funktionie­rt wie ein »Sky«-Trailer. Lauter hochemotio­nalisierte Mittelstan­dsmenschen strömen beglückt die Stadiontre­ppen empor und zelebriere­n eine 90minütige Einheit mit den Kickern. Das ist natürlich hochkonzen­trierter PR-Bullshit, weil eine Form der Hingabe, wie sie die Anhänger des Chemnitzer FC am Samstag bewiesen, aus tieferen Tiefen kommt als das Hurratüten­tum, das die Werbewirts­chaft so gerne inszeniert.

Der CFC jedenfalls musste vergangene Woche Insolvenz anmelden, er steht damit neben Rot-Weiß Erfurt als Absteiger aus der dritten Liga fest. Es sind die Folgen von Misswirtsc­haft und strukturel­len Ungerechti­gkeiten, die zu den Missstände­n zählen, die bei Fußball- und Fußballkon­gressveter­anen nur noch zu einem Gähnen führen. Da die dritte Liga insgesamt in etwa zwei Prozent der Fernsehgel­der erhält, die alleine der Branchenpr­imus FC Bayern jedes Jahr einsackt, wollen vor allem Traditions­vereine mit einer großen Fanbasis wie eben Erfurt oder der CFC möglichst schnell in die zweite Liga, wo wenigstens ein bisschen Fernsehgel­d fließt – immerhin mindestens das 15-fache von den Brosamen in der dritten Liga. Im verzweifel­ten Bemühen aufzusteig­en, verschulde­n sie sich so lange, bis ihnen der Insolvenzv­erwalter den Strom abstellt. Beim Chemnit- zer Spiel gegen den SV Meppen am vergangene­n Samstag waren dennoch 5000 Zuschauer im Stadion, obwohl das Spiel nach der Insolvenz komplett irrelevant war. Die 5000 Fans kamen trotzdem. Um Verein und Mannschaft (die sich ab Mai in alle Winde zerstreuen wird) zu zeigen, dass mit ihnen weiter zu rechnen ist.

Zurück zur Vorbereitu­ng des Kongresses und zu den Beiträgen, die darauf hinwiesen, dass der Fußball auch Aspekte hat, die – trotz allem – positiv und erfreulich bleiben. Fußball wird immer ein willkommen­er Anlass sein, um sich mit Freunden zu treffen, um der Gleichförm­igkeit einer Arbeitswoc­he Täler und Erhebungen zuzufügen, um mitten am Nachmittag viel Bier zu trinken. Fußball ist im Idealfall kreativ und anarchisch. Wer miterlebt hat, wie aus dem diffusen Gebrabbel zweier Freunde, dreier Betrunkene­r oder vierer betrunkene­r Freude ein von der ganzen Fankurve skandierte­r Slogan wurde, weiß, was gemeint ist. Und: Fußball wird immer seinen eigenen Sound haben.

Nur komplett Ahnungslos­e wundern sich, dass auch Sehbehinde­rte und Blinde zum Fußball gehen – ein Fehlpass eines beliebten Spielers klingt gespiegelt durch die Reaktion tausender Zuschauer anders als ein Fehlpass eines unbeliebte­n Spielers. Und – wieder ein großer Pluspunkt des unterklass­igen Fußballs – bei Amateurspi­elen hört man jeden Ballkontak­t und jeden Fluch eines Spielers in 40 Metern Entfernung. Und so wie es einen Sound des Fußballs gibt, der alle Blatters und Beckenbaue­rs überleben wird, gibt es auch eine Ästhetik des Fußballs. Stellen Sie sich vor, Sie fahren am späten Nachmittag völlig übermüdet von der Autobahn ab und kommen auf dem Weg zum Hotel an einem Fußballsta­dion vorbei. Das Flutlicht ist eingeschal­tet, Menschen laufen darauf zu. Wenn Sie dann weiter zum Hotel fahren, anstatt rechts ran zu fahren und sich ein Ticket zu kaufen – dann, ja, dann, sind Sie völlig immun gegen Fußball.

Sie haben dann allerdings gleichzeit­ig alle nötigen Qualifikat­ionen, um es in einer der Marketinga­bteilungen des offizielle­n Fußballs weit zu bringen. Bei meinem letzten Zweitligas­piel, in Sandhausen, wurde jedenfalls sogar ein Sponsor dafür präsentier­t, dass das unansehnli­che Gekicke bedauerlic­herweise nicht in kompletter Dunkelheit stattfand: »Das Flutlicht für die heutige Begegnung wird Ihnen präsentier­t von ...«

 ?? Zeichnung: Harald Kretzschma­r ??
Zeichnung: Harald Kretzschma­r
 ?? Foto: privat ?? Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.
Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

Newspapers in German

Newspapers from Germany