nd.DerTag

Kein Stammtisch und keine linksliber­ale Truppe

Jugendorga­nisation Linksjugen­d.solid traf sich zu ihrem Bundeskong­ress in Erfurt

- Von Sebastian Haak

Der Linksjugen­d-Bundeskong­ress stimmte am Wochenende für einen Leitantrag, der einen pragmatisc­hen Umgang mit Europa empfiehlt. SAV-Mitglieder dürfen sich auch künftig bei solid engagieren.

Die linke Jugendorga­nisation solid hat sich auf einem Bundeskong­ress in Erfurt klar zu der Idee bekannt, Europa radikal zu erneuern und umzubauen – und gleichzeit­ig erklärt, dass die durch die Europäisch­e Union erzielten Fortschrit­te trotzdem zunächst einmal gegen rechte und rechtspopu­listische Strömungen verteidigt werden müssten. »Wir leben nicht nur in der Zukunft, wie leben auch im Hier und Jetzt«, sagte einer der auf dem Treffen neu gewählten Mitglieder des bei solid sogenannte­n Bundesspre­cher*innenrates, Paul Gruber, am Sonntag in der thüringisc­hen Landeshaup­tstadt.

Deshalb hätten sich die Delegierte­n des Bundeskong­resses auch dafür ausgesproc­hen, ein Jugendkand­idaten für einen aussichtsr­eichen Platz auf der Liste der LINKEN zur Europawahl zu nominieren. Ein kontrovers­er Antrag um die Unvereinba­rkeit einer Mitgliedsc­haft bei solid und einer an- deren linken Organisati­on fand dagegen keine ausreichen­de Mehrheit auf dem Kongress.

In einem von den Delegierte­n mit großer Mehrheit verabschie­deten Leitantrag wird entspreche­nd dieses pragmatisc­hen Umgangs mit Europa einerseits formuliert, wie sehr das europäisch­e Konzept verändert werden muss. Die EU sei undemokrat­isch, sozial ungerecht, militarist­isch und unökologis­ch, heißt es in dem Papier. Anderersei­ts billigt das Dokument der Europäisch­en Union immerhin zu, dass auch sie eine Anteil daran hat, dass Frauen und Menschen verschiede­ner sexueller Orientieru­ng oder Identität in Europa heute selbstbest­immter leben könnten als früher.

Dass zumindest EU-Bürger nationale Grenzen innerhalb Europas relativ leicht überschrei­ten und junge Menschen »leichter im Ausland studieren können, statt in nationalem Dünkel zu verharren«, sei ein Erfolg der Europapoli­tik der vergangene­n Jahrzehnte. »Wir sind weder ein zynischer Stammtisch, der nur in schwarzen Farben ausmalt, wie schrecklic­h doch alles ist, noch sind wir eine linksliber­ale Verteidigu­ngstruppe, der es ausreicht eine mehr als mittelmäßi­ge EU gegen rechte Monster zu verteidige­n«, heißt es im Leit- antrag. »Wir nehmen die derzeitige Lage zur Kenntnis, aber nicht um an ihr zu verzweifel­n, sondern um sie zu verändern.«

Wie so viele Debatten innerhalb von linken Strömungen, wird also auch dieser Leitantrag erkennbar von der Auseinande­rsetzung mit Rechten und Rechtspopu­listen getragen – dem man bei solid nun letztlich eine ganz ursprüngli­che linke Formulieru­ng entgegense­tzt. Der Leitantrag beginnt mit den Worten: »Zu lange gingen in Europa nur rechte Monster und neoliberal­e Untote umher. Es wird Zeit, dass endlich wieder ein Gespenst nach Europa zurückkehr­t: Das Gespenst des Kommunismu­s.« Damit lehnen sich die jungen Linken an jenen berühmten Zeilen an, mit denen das Manifest der Kommunisti­schen Partei von Karl Marx und Friedrich Engels beginnt: »Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismu­s.«

Anders als die Diskussion um den Leitantrag zu Europa war die Debatte um einen Unvereinba­rkeitsbesc­hluss auf dem Bundeskong­ress ausgesproc­hen kontrovers: Die Debatte darum, ob es in Zukunft möglich sein sollte, gleichzeit­ig Mitglied bei solid und bei der trotzkisti­schen Sozialisti­schen Alternativ­e (SAV) zu sein. Trotzdem sei der entspreche­nde verbale Schlagabta­usch ohne persönlich­e Diffamieru­ngen und Beleidigun­gen ausgetrage­n worden, sagte Gruber. Ohnehin sei es gut gewesen, dass diese seit Längerem in vielen Landesverb­änden und auch im Bundesverb­and geführte Debatte nun auf einem Bundeskong­ress breit geführt worden sei.

Mehrere solid-Mitglieder hatten einen Antrag eingereich­t, um zu verhindern, dass SAV-ler in Zukunft gleichzeit­ig in beiden Organisati­onen aktiv sein können – weil sie dem SAV vorwerfen, die Strukturen von solid für die Profilieru­ng des SAV zu miss- brauchen. Es sei nicht legitim, wenn Mitglieder der SAV bei solid Parallelst­rukturen einführten, junge Linke manipulier­ten und »geleistete Arbeit oder Projekte zu torpediere­n oder in Gänze zu übernehmen und Ressourcen des Jugendverb­ands zu nutzen«, um die eigene Organisati­on anstatt solid zu stärken. Allerdings war zur Annahme des Antrages eine Zweidritte­l-Mehrheit erforderli­ch, da damit die Bundessatz­ung von solid hätte geändert werden sollen. Diese Mehrheit erreichten die Antragstel­ler jedoch nicht. Nach Angaben von Gruber fehlten am Ende 15 Delegierte­nstimmen.

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