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Amazon erfolgreic­h getrotzt

Vernetzung­streffen widmete sich dem Widerstand gegen die Praktiken des Online-Händlers

- Von Hans-Gerd Öfinger

Amazon ist nicht nur ein Albtraum für kleine Händler, sondern auch ein mieser Arbeitgebe­r. Eine Konferenz in Bad Hersfeld beschäftig­te sich mit dem Widerstand gegen den Internet-Giganten. Zeitpunkt und Ort waren nicht zufällig gewählt, als am Wochenende über 80 Gewerkscha­fter und Aktivisten auf Einladung der Linksfrakt­ion im Bundestag in der osthessisc­hen Kreisstadt Bad Hersfeld zu einem Vernetzung­streffen unter dem Motto »Taktgeber des digitalen Kapitalism­us« zusammenka­men. Hier hatte die Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di vor fast genau fünf Jahren den ersten Streik beim Online-Versandhän­dler Amazon für einen Tarifvertr­ag ausgerufen.

2013 war Amazon in das Blickfeld der Öffentlich­keit gerückt, als die ARD-Reportage »Ausgeliefe­rt« die Arbeits- und Lebensbedi­ngungen spanischer Leiharbeit­er dokumentie­rte. Amazon ist der weltgrößte Online-Händler und »macht sich wie eine Krake in unserem Leben breit«, erklärte die Bundestags­abgeordnet­e Sabine Leidig (LINKE), der es gelungen war, engagierte Amazon-Beschäftig­te und Gewerkscha­fter zum Austausch mit Solidaritä­tsgruppen, Attac-Aktivisten, kritischen Wissenscha­ftlern und Parlamenta­riern zusammen zu führen.

Fünf Jahre Streik und immer noch kein Tarifvertr­ag – also alles umsonst? Christian Krähling, der in Bad Hersfeld an den regelmäßig­en Arbeitskäm­pfen von Anfang an mitgewirkt hatte, verneinte diese Frage. So habe der jahrelange Streikdruc­k zusammen mit der Empörung nach kritischen Medienberi­chten immerhin zu einigen kleineren Verbesseru­ngen geführt, auch wenn der große Durchbruch noch ausstehe.

So sei der Anteil der Beschäftig­ten mit befristete­n Arbeitsver­trägen von rund drei Viertel auf etwa ein Drittel zurückgega­ngen. Auch wenn der aktuelle Stundenloh­n noch deutlich unter dem geforderte­n Tariflohn für den Einzel- und Versandhan­del liege, habe es in fünf Jahren ein Lohnplus von 28 Prozent gegeben. Das Management habe früher ein Weihnachts­geld stets kategorisc­h ausgeschlo­ssen und gewähre heute den meisten Beschäftig­ten immerhin 400 Euro Sonderzahl­ung zum Jahresende. Eine Klimaanlag­e sorge vor allem in den Sommermona­ten für bessere Luft in den Hallen und ein hoher Krankensta­nd habe zur Einrichtun­g eines betrieblic­hen Gesundheit­smanage- ments geführt. »Es ist noch nicht gut, aber einiges an unseren Arbeitsbed­ingungen ist besser geworden«, so Krähling. Solche Fortschrit­te seien nicht vom Himmel gefallen, sondern Ergebnis zäher Organisier­ung.

In fünf Jahren habe sich die Zahl der ver.di-Mitglieder im Betrieb von 70 auf über 1000 erhöht. »Das strahlt auch auf andere Amazon-Betriebe bundesweit und in ganz Europa aus«, so Krähling, der vor wenigen Wochen bei einen Streik in Madrid den Schultersc­hluss mit der dortigen AmazonBele­gschaft vollzog. »Jeder in Bad Hersfeld kennt jemanden, der bei Amazon arbeitet oder gearbeitet hat, berichtete die örtliche ehrenamtli­che DGB-Kreisvorsi­tzende Andreja Schmidtkun­z. Die Durchhalte­kraft finde in der Bevölkerun­g Anerkennun­g. Allerdings scheue die Lokalpress­e die Konfrontat­ion mit dem Konzern, so die Gewerkscha­fterin, die selbst bei Amazon arbeitet.

Dass sich das Amazon-Geschäftsm­odell nicht nur auf systematis­che Ausbeutung der Arbeitskrä­fte, sondern auch auf gezielte Steuerverm­eidungstri­cks und Steueroase­n stützt, unterstric­h Attac-Aktivist Alfred Eibl. »Amazon drückt mit seinem Lebensmitt­el-Lieferdien­st die Erzeugerpr­eise und verdrängt kleine bäuerliche Anbieter«, brachte es Jutta Sundermann von der Aktion Agrar auf den Punkt. Diese Kampagne hatte Ende 2017 dazu aufgerufen, beim Weihnachts­einkauf auf Amazon zu verzichten. Der Konzern trete gleichzeit­ig als größter Standbetre­iber und Betreiber des virtuellen Marktplatz­es auf und zerstöre die Vielfalt in der Agrarprodu­ktion. Dass die »Krake Amazon« als Verleger und antiquaris­cher Buchhändle­r auch kleine Buchläden vernichtet, unterstric­h die Buchhändle­rin Andrea Euler aus Wächtersba­ch. »Wenn die Buchpreisb­indung fällt, dann fallen auch kleinere Verlage«, so ihre Warnung vor einer »kulturelle­n Armut«.

Amazon stehe nicht nur für skan- dalöse Arbeitsbed­ingungen, Wildwuchs und Deregulier­ung, sondern auch für eine beispiello­se Datensamml­ung über seine Kundschaft und technologi­sche Kontrolle aller Lebensbere­iche, so Lars Wehring, der sich mit technologi­ekritische­n Aktivisten im Netzwerk capulcu.blackblogs.org zusammenge­schlossen hat. Wenn der Konzern zunehmend als Apotheke und Krankenver­sicherer in Erscheinun­g trete, fördere dies vom Gesundheit­szustand abhängige dynamische Tarifen, die den traditione­llen Solidarged­anken der gesetzlich­en Krankenver­sicherung völlig unterliefe­n, so Wehring.

Bei den derzeit stattfinde­nden Betriebsra­tswahlen versuche das Management gezielt Bewerbern auf ver.di-Listen Steine in den Weg zu werfen, kritisiert­e die für den Konzern zuständige ver.di-Sekretärin Lena Widmann. Sie freute sich darüber, dass die ver.di-Liste aus den jüngsten Betriebsra­tswahlen im nordrheinw­estfälisch­en Standort Rheinberg als Siegerin hervorgega­ngen sein.

Für Christian Krähling hat die Veranstalt­ung am Wochenende wichtige Impulse gebracht. »Ein erster guter Schritt, denn eine solche Vernetzung hat es bisher nicht gegeben«, so sein Fazit.

Amazon steht nicht nur für skandalöse Arbeitsbed­ingungen und Deregulier­ung, sondern auch für eine beispiello­se Datensamml­ung über seine Kundschaft und die technologi­sche Kontrolle aller Lebensbere­iche

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Foto: dpa/Guido Kirchner: Wurde auch schon bestreikt: Amazons Logistik-Zentrum in Nordrhein-Westfalen

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