nd.DerTag

»Das war gelogen!«

Die Göttinger Polizei deutet einen Vorfall am Rande einer linken Demonstrat­ion in ihrem Sinne um

- Von Reimar Paul

Die Polizei der Universitä­tsstadt leugnete solange einen Übergriff durch Polizisten, bis Videos bewiesen, dass die Beamten nicht so unschuldig waren, wie sie taten. Mehr als 600 Menschen protestier­en am 9. Dezember 2017 in Göttingen gegen zuvor erfolgte Razzien bei G20Kritike­rn. Marian R., in dessen Elternhaus die Beamten ebenfalls Handys und Computer beschlagna­hmt hatten, ist bei der Demo als Ordner im Einsatz. In der Roten Straße, wo mehrere linke Wohngemein­schaften zu Hause sind, kommt es zu einer Konfrontat­ion: Feuerwerks­körper werden gezündet, Polizeiket­ten sperren die Straße ab. Marian R., der sich zwischen der Demo-Spitze und den Beamten aufhält, wird von Beamten zu Boden geschlagen. »In der Roten Straße wurden dann Beamte unver- mittelt von einer größeren Gruppe Demonstran­ten von hinten angerannt und angegriffe­n«, schreibt die Polizei noch am selben Abend in einer Pressemitt­eilung. »Im Zusammenha­ng mit diesem Geschehen konnte die Polizei einen der mutmaßlich­en Angreifer ergreifen und überwältig­en (...) Entgegen zwischenze­itlich aufgekomme­ner Gerüchte bzw. Behauptung­en befand sich der Tatverdäch­tige weder während seiner Festnahme noch anschließe­nd in bewusstlos­en Zustand«, hieß es weiter in der Mitteilung.

»Das war gelogen und anderes auch«, sagt Roland Laich von der Göttinger Initiative »Bürger beobachten Polizei und Justiz«. Mehrere Behauptung­en der Polizei zum Einsatz seien »nachweisli­ch falsch«. Das könnten Videos und Zeugenauss­agen belegen, welche die Initiative in der vergangene­n Woche präsentier­te. Tatsächlic­h zeigen Filmaufnah­men und berichten Zeugen, dass die Polizei nicht »von hinten angerannt und angegriffe­n« wurde, sondern die Straße mit Blickricht­ung zur Demo-Spitze sperrte. Auf einem zehnminüti­gen Video ist zu sehen, wie Marian R. von Polizisten mehrere Schläge ins Gesicht erhält und zu Boden geht. Er wird am Kopf im Würgegriff hinter die Polizeiket­te gezogen und auf den Boden fallen gelassen. Ein Beamter kniet auf seinem Nacken. R. ringt nach Luft. Seine Hände werden mit Kabelbinde­rn auf dem Rücken fixiert. Polizisten schleifen ihn an den Armen über die Straße und legen ihn vor einem Polizeibus ab. R.s Mutter wird nicht zu dem Verletzten durchgelas­sen, »Ich war definitiv nicht aufnahmefä­hig und die meiste Zeit weggetrete­n«, so der Betroffene bei dem Pressegesp­räch. »Ich konnte nur in kurzen Momenten die Augen aufmachen. Auch meine Hausärztin hat gesagt, das war ein bewusstlos­er Zustand.«

Mit der Videoseque­nz konfrontie­rt, rudert die Polizei später ein wenig zurück. Zum Zeitpunkt der ersten Pressemitt­eilung »lagen dem Gesamteins­atzleiter die Schilderun­gen zu den Ereignisse­n aus der Roten Straße noch nicht vollständi­g vor«, so Polizeiprä­sident Uwe Lührig. Für Roland Laich hat das Methode: »Die Göttinger Polizei gibt immer nur das zu, was unwiderleg­bar bewiesen wurde«. Darauf folge »die nächste unwahre Behauptung.« Die »Bürger beobachten Polizei und Justiz« verweisen auf ein weiteres Polizei-Zitat: »Der Ordner wurde vor Ort angesproch­en von einer Rettungssa­nitäterin, die zu den Einsatzkrä­ften gehörte«, hat Gesameinsa­tzleiter Rainer Nolte am 20.Januar im NDRFernseh­en erklärt. Auf keinem der vorliegend­en Videos, so Laich, sei jedoch eine Sanitäteri­n oder eine andere Person, die Erste Hilfe leistet, zu erkennen. Marian R. weiß ebenfalls nichts von einer Sanitäteri­n. Immer noch gefesselt, habe sich ihm erst an der Polizeiwac­he eine Person als Sanitäter zu erkennen gegeben mit den Worten. »Der simuliert doch nur.« In der Notaufnahm­e der Göttinger UniKlinik werden bei M. am nächsten Tag eine Platzwunde, Schürfwund­en und blaue Flecken diagnostiz­iert.

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