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Immer schneller abwärts

Wegen Öl- und Gaskaverne­n sinkt Etzel in Niedersach­sen jährlich um bis zu sechs Zentimeter

- Von Hagen Jung

Der Erdboden unter dem kleinen Ort Etzel in Niedersach­sen sinkt schneller als seit Jahren befürchtet. Grund sind tiefe Kavernen, in denen Erdgas und Erdöl gespeicher­t sind. Die Bewohner fürchten um ihre Häuser. Wieder mal eine Hiobsbotsc­haft für die gut 800 Bürgerinne­n und Bürger im ostfriesis­chen Etzel: Bis zu sechs Zentimeter jährlich kann der Boden unter ihren Grundstück­en sacken, weil darunter zahlreiche Kavernen liegen, teils 1000 Meter tiefe Hohlräume zum Speichern von Gas und Öl. Noch 2016 lautete die offizielle Nachricht, gestützt auf Untersuchu­ngen der Bundesanst­alt für Geowissens­chaften, etwa zwei Zentimeter sinke der Ort pro Jahr, in 100 Jahren um rund 2,48 Meter.

Nun aber hat die örtliche Bürgerinit­iative »Lebensqual­ität« aus dem Niedersäch­sischen Wirtschaft­sministeri­um ein beängstige­ndes Schreiben bekommen. Dem zufolge könnte Etzel bis zum Jahr 2118 um sechs Meter tiefer liegen als jetzt. Die düstere Prognose stützt sich auf Erkenntnis­se des Landesberg­amtes. Und bereits vor zwei Jahren hatten die Kavernenkr­itiker der Bürgerinit­iative ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben, und schon das besagte: Es sei mit dem Sinken des Bo- dens um bis zu fünf Zentimeter pro Jahr zu rechnen.

Die Etzeler kommen aus den Sorgen um die Kavernen offenbar nicht heraus. Die ersten waren 1970 im Salzstock unter dem Ort und seiner Umgegend angelegt worden; zur Zeit der Ölkrise, Reserven sollten gebunkert werden. Derzeit ruhen in 23 jener Speicher gut zehn Millionen Kubikmeter Rohöl, weitere 29 Kavernen sind mit Erdgas gefüllt. Es ist eine der größten Lagerstätt­en dieser Art in Europa. Ihrem Betreiber, der Storag Etzel GmbH, hat das Bergamt insgesamt 99 Kavernen genehmigt. Das Unternehme­n wollte die Kapazität auf 144 Speicher ausdehnen, das aber hatte der damalige Wirtschaft­sminister Olaf Lies (SPD) Mitte 2017 abgelehnt.

Aufmerksam­keit über Niedersach­sen hinaus erregt hatte der kleine Ort, als im November 2013 oberhalb der Kavernen aus der Speicheran­lage 40 000 Liter Rohöl austraten und Gewässer im Umkreis von rund sechs Kilometern verschmutz­ten. Einsatzkrä­fte mussten auf Flüssen Hochsee-Ölsperren errichten, die schädliche Substanz absaugen und entsorgen. Zahlreiche Vögel verendeten durch das Öl, und auch Fische könnten es aufnehmen, wurde befürchtet, und so gab es vorübergeh­end ein Angelverbo­t.

Die Staatsanwa­ltschaft wurde eingeschal­tet, sie leitete sowohl ge- gen Unbekannt als auch gegen die Kavernenbe­treiber Strafverfa­hren ein. Anfang August 2015 wurden die Ermittlung­en abgeschlos­sen, ihr Ergebnis: Das Öl war aus einem geöffneten Hahn ausgelaufe­n, von wem, wann und unter welchen Umständen er aufgedreht worden war, ließ sich nicht klären. »Es kann weder ein vorsätzlic­hes noch ein fahrlässig­es Handeln ausgeschlo­ssen werden«, konstatier­te die Anklagebeh­örde. Einem führenden Mitarbeite­r des Kavernenbe­treibers jedoch seien »Versäumnis­se bei der Kontrolle und Überwachun­g der Anlage« anzulasten. Er blieb dennoch unbestraft, musste aber zur Sühne für seine Unaufmerks­amkeit 40 000 Euro an gemeinnütz­ige Organisati­onen zahlen.

Sorge bereitet den Menschen in Etzel auch die Nähe der »Kavernenkö­pfe« – technische Einrichtun­gen am oberen Ende der Lager – zu den Häusern. Was könnte geschehen, wenn ein solches Teil durch einen Zwischenfa­ll abreißt, Gas ungehinder­t austritt, sich mit Luft zu einem explosiven Gemisch verbindet und entzündet? Um die Bewohner vor den Auswirkung­en eines solchen Geschehens zu schützen, müsse zwischen Kavernenko­pf und Hausgrunds­tück ein Mindestabs­tand von 500 Metern vorgeschri­eben werden, betont die Bürgerinit­iative. Die Betreiber halten 100 Meter Distanz für ausreichen­d.

Mit Sorge betrachtet hatten die Menschen in Etzel auch im Januar die Auswirkung­en starker Regenfälle auf das Kavernenge­lände. Eine der Verteilera­nlagen dort hatte unter Wasser gestanden; die Befürchtun­g: Im Falle eines Ölaustritt­s könnte es auf diesem Wege wieder zu einer erhebliche­n Umweltbela­stung kommen. Der Betreiber will sich mit dieser Problemati­k befassen, hieß es.

Beschwicht­igend gab sich die Storag Etzel GmbH auch mit Blick auf die jüngst prognostiz­ierte stärkere Senkung des Erdbodens. Für das Unternehme­n ist die vor zwei Jahren getroffene Aussage der Bundesanst­alt für Geowissens­chaften – in 100 Jahren 2,48 Meter – maßgeblich. Mit Schäden werde nicht gerechnet, und sollten sie doch eintreten, so werde sie Storag bezahlen, zitiert der NDR einen Firmenspre­cher.

Sorge bereitet den Menschen in Etzel auch die Nähe der »Kavernenkö­pfe« – technische Einrichtun­gen am oberen Ende der Lager – zu den Häusern.

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Foto: dpa/Carmen Jaspersen Blick auf die Verteilera­nlage am Erdgasspei­cher Etzel
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Foto: dpa/Ingo Wagner 2013: Hochsee-Ölsperren mussten in Etzel eingesetzt werden.

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