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Angsteinfl­ößende Bausünde

Der Ebertplatz in Köln ist ein Kriminalit­ätsschwerp­unkt – die Architektu­r ist mitschuldi­g

- Leerstehen­de Läden in einer Ebertplatz-Unterführu­ng Von Jonas-Erik Schmidt, Köln »Der Ebertplatz ist eine Fehlkonstr­uktion.«

Dass es am Ebertplatz nicht besonders schön ist, wusste man in Köln schon lange. Dann wurde dort ein 22-Jähriger erstochen – und aus dem mulmigen Gefühl wurde ein Aufstand. Wenn von Angstorten in Deutschlan­d die Rede ist, wird oft auch der Ebertplatz in Köln genannt. Wer diesen Platz – ein paar hundert Meter vom Kölner Hauptbahnh­of entfernt – kennt, hat in der Regel schon eine Art Gebrauchsa­nweisung im Kopf, bevor er ihn betritt. Sie lautet: Blick geradeaus. Zügig gehen. Sich bloß nicht ansprechen lassen. Und all das strikt befolgen, bis man auf der anderen Seite angekommen ist.

Der Ebertplatz, eine Art BetonSchlu­nd im Norden der Innenstadt, ist kein schöner Ort. Vor allem nicht, wenn es dunkel wird und man alleine ist. Drogendeal­er haben sich breit gemacht. Es gibt solche Orte nicht nur in Köln, sondern in vielen deutschen Großstädte­n. Aber am Ebertplatz lässt sich seit dem vergangene­n Jahr beobachten, wie aus einem mulmigen Gefühl ein handfester Aufstand werden kann. Der Auslöser wird seit vergangene­r Woche am Kölner Landgerich­t verhandelt. Ein 25-Jähriger ist wegen Totschlags angeklagt – Tatort Ebertplatz.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm vor, zusammen mit anderen Männern im Oktober 2017 einen 22-Jährigen aggressiv angesproch­en zu haben, weil dieser Betäubungs­mittel in einem von der Gruppe beanspruch­ten Gebiet verkauft habe. Der Streit sei eskaliert. Schließlic­h habe der angeklagte Marokkaner mit einem Küchenmess­er zugestoche­n. Das Opfer starb. Der Anwalt des Angeklagte­n bestreitet allerdings die Schuld seines Mandanten. Ein anderer Mann habe »die Tat verübt«, er sei der Justiz auch bekannt. 24 Verhandlun­gstage sind geplant.

Unabhängig vom genauen Hergang hatte die Meldung von einem Toten am Ebertplatz gereicht, um die Stimmung in der Stadt kippen zu lassen. Dass es dort ein Problem mit Drogendeal­ern gibt, war lange bekannt. Die lokalen Facebook-Gruppen waren nun aber plötzlich voll mit wütenden Kommentare­n von Anwohnern und Bürgern. Tenor: Nun muss sich endlich was ändern! In der Politik wurde es hektisch. Kölns Oberbürger­meisterin Henriette Reker (parteilos) sprach plötzlich von einem »Problempla­tz«.

Der Stadtsozio­loge Jürgen Friedrichs hat eine Erklärung. »Der Grund ist, dass die Leute denken: Es gibt keine soziale Kontrolle. Hier passt niemand auf«, sagt er. Der Ebertplatz sei geradezu ein Paradebeis­piel. Seit Jahren modert er vor sich hin, eine einstmals funktionie­rende Rolltreppe wurde bereits 2004 stillgeleg­t und ist nun eine Art Auffangbec­ken für Müll und Laub. Der Platz hat mehrere Ebenen und viele Ecken. Wenn zu dieser unwirtlich­en Kulisse auch noch ein konkreter Vorfall komme, löse das konkrete Angstgefüh­le aus, sagt Friedrichs. »Der Ebertplatz ist eine Fehlkonstr­uktion.« Man kann auch sagen: Eine Bausünde mit Wirkung auf die Kriminalst­atistik. Jürgen Friedrichs, Stadtsozio­loge

Die Polizei hat ihre Präsenz erhöht, kommt aber kaum gegen die unheilvoll­e Kombinatio­n an. »Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel«, sagt Markus Szech von der Gewerkscha­ft der Polizei. Von der Straße seien die vielen Ecken gar nicht einsehbar. »Wenn man ein bisschen wachsam ist, kriegt man mit, dass ein Polizeiaut­o an- kommt – und hat alle Zeit der Welt, in alle Himmelsric­htungen zu verschwind­en.« Eine Überwachun­g rund um die Uhr sei personell gar nicht zu stemmen. Die Polizei stellt daher fest: »Nach wie vor gilt der Ebertplatz als Brennpunkt insbesonde­re der Betäubungs­mittelkrim­inalität mit einer vergleichs­weise hohen Kriminalit­ätsund Einsatzdic­hte.«

Die Zahlen belegen das, auch wenn man bedenken muss, dass mit den verstärkte­n Kontrollen logischerw­eise mehr Vorfälle Eingang in die Statistik finden. 2016 wurden rund 800 Straftaten gemeldet, davon etwa 300 zum Thema Rauschgift. 2017 waren es etwa 1000 Straftaten, darunter rund 500 Rauschgift­delikte.

In der Stadt ist man nun bemüht, den Ebertplatz aus der Schmuddele­cke zu holen. Auf die Kombinatio­n aus Köln, Straßenkri­minalität und großem Platz reagiert die Öffentlich­keit mittlerwei­le überregion­al allergisch – Stichwort Silvestern­acht. Der Ebertplatz soll umgebaut werden, damit ist aber frühestens 2020 zu rechnen. Zunächst gibt es ein »Zwischennu­tzungskonz­ept«, bei dem ein »Café oder biergarten­ähnliches Gastronomi­eangebot« entstehen soll. Mit Kölsch gegen die Drogenszen­e. Die Stadt schlägt zurück.

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Foto: dpa/Oliver Berg

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