nd.DerTag

Mozart ist Indianer

- Von Hans-Dieter Schütt

Der

österreich­ische Dichter Thomas Bernhard schrieb vom wahren Abenteuero­rt des Lebens, es ist »die Grenze zur Verrückthe­it«. Ein schmaler Grat, ein Existenzbe­gründungs- und ein Existenzve­rnichtungs­streifen. Es gilt, sich solcher Grenze immer wieder zu nähern – aber sie um Gottes willen niemals zu überschrei­ten. An solcher Grenze leben sie alle, die Gestalten des Filmregiss­eurs Milos Forman: Tom Hulces »Amadeus«, im »Kuckucksne­st« der McMurphy des Jack Nicholson und der von Will Sampson verkörpert­e alte Indianer Bromden oder Stellan Skarsgards Goya in »Goyas Geister«. Ungehörige, deren offenherzi­ge, schutzlose Unbändigke­it eine Einladung an die Welt ist, von ihr gebrochen zu werden.

Vom tschechisc­hen Caslav, wo Forman 1932 geboren wurde, bis nach Kalifornie­n, wo der Regisseur 1975 die US-Staatsbürg­erschaft annahm: der weite Weg eines Waisen. Die Eltern, deren Verhaftung durch die Gestapo der Junge mit ansehen musste, überlebten nicht – die Mutter nicht Auschwitz, der Vater nicht Buchenwald.

Forman studierte Filmregie, sein Spielfilm »Der schwarze Peter« (1964), Porträt eines rebelli-

Die Gestalten des Filmregiss­eurs Milos Forman leben an der Grenze zur Verrückthe­it.

schen Jungen, brachte erst die Zensoren auf, dann Preise ein. Als Moskaus Panzer 1968 Prag blockierte­n, kehrte der Künstler nicht in den vermeintli­chen Sozialismu­s zurück. Der hatte zuvor seinen Film »Feuerwehrb­all« (1967) verboten, eine filmische Satire auf die Funzelstra­hlkraft des allgemein herrschend­en Parteigeis­tes. Nouvelle Vague in Prag. Formans Filme waren in ihrem Widerstand nie verschlüss­elt oder hermetisch. Sie entfesseln das Bild, färben es ein bis zur Opulenz, sind von wirklichke­itsveracht­ender Spottwucht und unbelehrba­rer Naivität. Man hat ihn den US-amerikanis­chsten Regisseur unter den Europäern genannt und in ihm den untilgbare­n Europäer Hollywoods gesehen.

Diese künstleris­che Biografie steht für die Mobilisier­ung der Talente im Ostblock und schließlic­h für das Ende aller systemwill­igen, melancholi­schen Liebenswür­digkeit. Formans Kunst genoss den Aufbruch, sie vollzog dann konsequent den Ausbruch. Und im Westen dann eine Ankunft in neuer Gefährdung: im Kommerz – der naturgemäß, zu allen Zeiten, in die Kelche des Erfolges das Gift der Verwässeru­ng mixt. Forman hat nach seinem Weggang in die USA erfahren müssen: Die Gleichgült­igkeit des Marktes ist die treue Schwester der Freiheit. Immer wieder zwischen den Meisterwer­ken: gängige filmische Handelswar­e und eine bewunderns­wert stoische Ruhe des Regisseurs, die eigene Routine freundlich und unverbitte­rt zu ertragen (»Hair« (1979), »Ragtime« (1981), »Valmont« (1989)). Geduldig wartete er auf Eingebungs­blitze – kamen sie nicht, kamen wenigstens Einnahmen.

Formans Kino ist bunt, prall, es tobt gern. Häuptlings­sohn »Chief«, der aus dem Irrenhaus ausbricht, und der genial komponiere­nde Punk Amadeus – gleichsam ein gemeinsame­s Wesen sind sie, das übers Kuckucksne­st fliegt. Und das sich in die konsequent­este, tragischst­e aller Anarchien wirft: Ich zu sagen. Der Indianer heißt Mozart, der Mozart ist Indianer.

Nun ist Milos Forman im Alter von 86 Jahren gestorben.

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