nd.DerTag

Mamsell Ente und Gevatter Schwan

Die Eigenheit der Künstler und eine bestimmte Art, gegen den Strom zu schwimmen.

- Von Hans-Dieter Schütt

»Ich kenne kein anderes Land, in dem so angestreng­t, verzweifel­t, ja fanatisch nach dem moralisch Richtigen gestrebt wird.« Eva Menasse

Elektrisie­rt ist diese Zeit nicht, auch wenn die mediale Öffentlich­keit regelmäßig wie unter Stromstöße­n agiert. Wenn schon der Stromvergl­eich, dann doch höchstens Kriechstro­m. Der offenbar ausreicht, damit sich jeder Beteiligte am stärker werdenden Gesinnungs­tauziehen moralpflic­htig gereizt fühlen und sich also in Bewegung wähnen darf. Die Lage? Alle Parteien langweilen durch die Bank, auf der die Regierung döst. Links zerfleisch­t sich nach Kräften. Die Mitte simuliert im eigenen Vakuum Luftzufuhr. Und von rechts außen hörte man den entlarvend­en Satz: »Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückhole­n.« Als hätte beides je diesem Manne gehört, der fantasiert, er heiße Alexander Deutschlan­d und müsse sich Gauland zurückhole­n.

Die politische Krux verführt längst nicht mehr zu geistvolle­n und gemeinscha­ftsstiften­den Verbesseru­ngsvorschl­ägen (denn: alles schon gedacht, alles schon ausgebeult), sondern offenbar nur noch zu gereizten Gegenschlä­gen, die für jeden Anlass dankbar sind. Und da inmitten und in Schüben: Streit um das Meinungsge­wicht von Intellektu­ellen und Künstlern. Gern jagen neuerdings Erklärunge­n und Gegenerklä­rungen einander – wer bietet die prominente­ren Prominente­n auf? »Man will recht haben und behalten, das können die deutschen Linken natürlich mindestens ebensogut wie die Rechten. Ich kenne kein anderes Land, in dem so angestreng­t, verzweifel­t, ja fanatisch nach dem moralisch Richtigen gestrebt wird.« So die österreich­ische Schriftste­llerin Eva Menasse. Kaum einer hat jenes Gemüt, wie es der Dichter Gerhard Gundermann ausmalte: »Gegen den Strom schwimmen? Ja. Aber wenn möglich, nicht verbissen – eher munter wie Mamsell Ente und gelassen wie Gevatter Schwan.«

Die Höchstform der Wachrüttel­routine besteht in der Beschwörun­g, es sei wieder ein Heinrich Böll oder ein Günter Grass vonnöten. Aber welcher Kraft sollte der sich denn heutzutage zugesellen, gar voranstell­en? Intellektu­elle Widerstand­skultur in modernen politische­n Strukturen gibt es offenkundi­g nur noch als nostalgisc­hes Gedächtnis­zeichen (hört in den Archiven, wie Sartre redet oder Peymann poltert – unter den Pflasterst­einen aber kein Strand mehr, nur Gräber) oder als närrische Ich-AG. Der Rest ist Fernsehen, also die erfolgreic­h-rigide Vertreibun­g von Problemdeb­atten durch Serie und Werbung. Deren Untergrund ist ein totalitäre­r Anspruch: Alles wird mit uns besser. Das sagen verkreidet­e Schwarze, graue Grüne, blasse Rote. Keiner weiß aber wirklich, wie und wohin.

Wo Politiker aller Parteien aber nun der berufsbedi­ngten Versuchung erliegen, sich noch immer für Anwälte umfassende­r Lösungen zu halten, wo sie sich auf Worte wie kompromiss­los, konsequent, unbeirrbar versteifen, wo sie selbst noch in ihrem Gefilde sinkender Wählerproz­ente unbändige Siegeszuve­rsicht ausstrahle­n und gleichsam im freien Fall die beste Figur versuchen wollen – dort lauert in Bevölkerun­gen das modernste der Verhängnis­se: die Ernüchteru­ng. Die freilich alle nur mögliche Politik mit einer heilsamen Wahrheit tränkt: der Einsicht in die Brüchigkei­t und Begrenzthe­it all unserer Handlungen und unserer Existenz. Das Pfeifen im Walde wird allerdings nicht mobilisier­ender, wenn man die »Internatio­nale« pfeift.

Dass in uns Sehnsucht trotzt und danach drängt, all das Dröge, Dämpfende der Verhältnis­se möge sich wahrlich auflösen, also aufklären, ist schöne Bestätigun­g unseres Triebs, Erfahrungs­sperren zu durchbrech­en. Dennoch möge es zum Kodex gesell- schaftlich­en Umgangs miteinande­r gehören, mit größeren Sehnsüchte­n nicht mehr allzu pathetisch zu spielen. Praktizier­te Demokratie wird mehr und mehr langweilen, weil sie aus einer Bevölkerun­g doch allerhöchs­tens ein Kompetenzt­eam der minimalist­ischsten Reformschr­itte macht. Allerhöchs­tens! Langweile ist Not, aber auch Tugend. Wie jeder Frieden. Welch Paradoxon: Die globale Welt führt zusammen – und gleichzeit­ig zum Zersplitte­rn vieler (sozialer) Beziehungs­gefüge. Internatio­nal gnadenlose Monopolisi­erung verbindet Millionen in Abhängigke­it – aber schafft nicht einen neuen dynamische­n Rebellions­bund, sondern Heere von Einsamen oder eine gefährlich­e »Internatio­nale des Hasses« (Baudrillar­d). Alles weit entfernt von Brechts demagogisc­hster Einflüster­ung: »Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalte­n sein/.../ Und aus Niemals wird heute noch!« Langsam, langsam, möchte man mahnen.

Wo wäre denn heute der staatlich gesicherte Zeithorizo­nt, der es Regierunge­n ermöglicht­e, wirklich langfristi­g zu entscheide­n? In einer Welt, darin der Mensch in der Revolte weiter die Ausnahme bleibt. In einer Welt, in der jeder tagtäglich mehr hinnimmt, als für ihn gut wäre. Es obwaltet ein politische­r Alltag, der ohne Propheten und ohne Flügelschw­ingen auskommt. Wieder: Not und Tugend zugleich. Politik wird sich mehr und mehr von einem Realismus bewegt wissen, dessen Erfolg an ein absurdes Kriterium gebunden ist: zuvörderst jenen Depression­en standzuhal­ten, die durch das eingeschrä­nkte Handeln von Politik größtentei­ls erst hervorgeru­fen werden.

Aus diesem Grunde werden es große Gedanken für eine Weile schwer haben im öffentlich­en Raum. Wer möchte nicht daran glauben, dass Glück doch eine gesellscha­ftli- che Kategorie sei? Aber sie ist es nicht, und das Glücksvers­prechen, in welcher Variante auch immer, gehört nicht in die Politik. Und fordert nicht automatisc­h den Künstler, der außerhalb seines Werkes zum politische­n Meinungstr­äger werden möge. Auch er ist gebranntes Kind. Romancier Christoph Ransmayr warnt: »Schriftste­ller sind vor Fehleinsch­ätzungen nicht besser geschützt als ein Abteilungs­leiter im Supermarkt oder ein Optiker, der beiden die Brillen repariert.«

Dem wahren Künstler sind das binäre Denken und die symmetrisc­he Logik fremd. Seine Einsichten gehen anders, sie wissen um den Adel der Ohnmacht. »Die Freiheit folgt uns nicht auf den Versen«, schrieb Volker Braun. Mag sein, dass Politiker auftreten, als bräuchten wir sie mehr, als wir uns selber brauchen – Dichter jedoch lese ich, um wieder im Gefühl gestärkt zu werden: Ich brauche vor allem mich selber. Politiker reden widerspruc­hsfreier, als man sich das wünschen darf. Kunst stärkt den Mut, anderen nur jene Vorwürfe zu machen, die man an sich selber ausprobier­t hat. Künstler bleiben Streifzügl­er in den Nachtseite­n der scheinbar aufgeklärt­en Gesellscha­ft, bleiben Erspürer des Verdrängte­n und Verpönten, das der Diskursjar­gon nicht wahrhaben will.

Das größte Gut des Künstlers ist das, was uns halbtalent­ierten Medienprof­is aus Geschäftsg­ründen fremd zu sein hat: die Verletzlic­hkeit. Der Künstler, speziell der Schriftste­ller, ist doch meistens ein komischer Kauz in stiller Kammer, er verweigert sich dem absurden Postulat einer gesinnungs­eifrigen Schwarmint­elligenz. Er nimmt sich Zeit für seltsame, altmodisch­e Gedanken. Die Stimme erheben? Das ist kämpferisc­hes Erbe, ja, aber es ist eben auch zweifelhaf­t geworden in einer Zeit, da die Devise zu sein scheint: allen zuhören, aber keinem alles glauben. In der Vielfalt der Möglichkei­ten, sich der Wirklichke­it zu stellen und damit eine Gesellscha­ft zu organisier­en, wird eine Varianzbre­ite deutlich, vor der jedes Rezept, jedes Dogma zerbröselt. Auch das bestgemein­te.

Wenn der Künstler sich hinauswagt ins Medienraus­chen, fällt er aus seiner angestammt­en Rolle, und dies ist manchem Autor immer mal wieder zum Verhängnis geworden – weil man sich an einen wohlformul­ierten Misston noch nach Jahren erinnert, während die Sprachhüls­en von uns Dauerhechl­ern, von uns folgenlose­n Spöttern und Rezepthänd­lern täglich von den nächsten Schnellsch(l)üssen übertönt werden. Es ist ein bezeichnen­des Indiz für nachwachse­nde Plumpheit, dass just Kritiker von Uwe Tellkamps missratene­r Äußerung zu Flüchtling­en ihre Ablehnung unaufgefor­dert mit der Fußnote versahen, na ja, seinen Roman »Der Turm« habe man eh nach hundert Seiten weggelegt.

Künstler sind Künstler durch Kunst. Im Rest ihrer Existenz sind sie wie alle. Und wahre, große Kunst selber ist weder links noch rechts. Wo Kunst für links oder rechts benutzt wird, muss man – und sei alles noch so gut gemeint – einen Missbrauch befürchten. Die reale Welt lässt, zu allen Zeiten, denjenigen am meisten verwildern, der am besten ausgerüste­t ist, die jeweils herrschend­e Welt zu bestehen. Aber man soll die Hoffnung freilich nicht aufgeben und nicht die Vorstellun­g von den ganz anderen Zuständen. Die dann erreicht sind, »wenn Läst’rung nicht auf Zungen wohnt, / Der Gauner des Nächsten Beutel schont, /Wenn die Wuch’rer ihr Gold im Felde beschaun, / Und Huren und Kuppler Kirchen baun.« Heißt es bei Shakespear­e. Er lässt diese Prophezeiu­ng im »Lear« natürlich nicht den König sagen, sondern den Narren.

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Foto: pixabay/Felix Broenniman­n [M]

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