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Draghi im Stresstest

Italien macht Europas Zentralban­k den Kurswechse­l schwer.

- Von Simon Poelchau

Diesen Donnerstag könnte die EZB beschließe­n, zum Jahresende ihr Anleihenka­ufprogramm einzustell­en. Doch die Eurozone ist immer noch fragil, weshalb derzeit viel über eine Reform diskutiert wird.

Eigentlich sieht es, was die Wirtschaft angeht, derzeit ganz gut aus in der Eurozone. Doch der Handelsstr­eit zwischen den USA und der EU und vor allem die neue Regierung in Italien sorgen für Unruhe. Leicht hat es Mario Draghi dieser Tage nicht. Eigentlich müsste der Chef der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) langsam den Geldhahn zudrehen. Wäre da nicht sein Heimatland Italien, das mit seiner neuen Regierung aus fremdenfei­ndlicher Lega und populistis­cher Fünf-Sterne-Bewegung für mächtig Trubel auf den Finanzmärk­ten sorgt. So rätseln Ökonomen und Analysten, was Draghi und seine Kollegen im EZB-Rat nach ihrer Sitzung diesen Donnerstag verkünden werden.

Für den Chefvolksw­irt der Commerzban­k, Jörg Krämer, ist die Sache klar: Die EZB wird ankündigen, ihr Anleihenka­ufprogramm einzustell­en. Beim Konkurrent­en Deutsche Bank ist man da nicht so sicher. »Ich gehe davon aus, dass ein Ausstieg aus der lockeren Geldpoliti­k zum Jahresende angesichts der geopolitis­chen Lage erst in der Sitzung im Juli angekündig­t wird – eine Überraschu­ng in dieser Woche scheint aber nicht ausgeschlo­ssen«, schrieb ein Analyst in seinem täglichen Rundbrief am Montag.

Seit März 2015 kauft die EZB im Rahmen ihres APP-Programms monatlich Anleihen in Höhe eines zweistelli­gen Milliarden­betrages. Mittlerwei­le hat sie Wertpapier­e im Volumen von fast 2,4 Billionen Euro in ihren Büchern. Was die Analysten so sicher macht, dass Draghi und Co. bald das Ende ihres Programms verkünden, ist die wieder anziehende Teuerungsr­ate. Zuletzt lag sie in der Eurozone im Mai im Vergleich zum Vorjahresm­onat bei 1,9 Prozent und damit auf dem Zielwert der EZB von knapp unter zwei Prozent.

»Unsere geldpoliti­sche Strategie hat Früchte getragen«, verkündete vergangene Woche EZB-Direktoriu­msmitglied Peter Praet in einer Rede, die Analysten genau verfolgten. Trotz einiger Dämpfer wegen Ängsten vor einem aufkommend­en Handelspro­tektionism­us blieben die Wirtschaft des Euro-Währungsge­biets im Grunde stark, das Wachstum über dem Potenzial und die Stimmungsi­ndikatoren in den meisten Sektoren und Ländern weiterhin deutlich über den langfristi­gen Durchschni­ttswerten.

Vor allem der sich erholende Arbeitsmar­kt stimmt Praet optimistis­ch. Der Ökonom verwies darauf, dass die Zahl der Beschäftig­ten in der Währungsun­ion seit dem Höhepunkt der Eurokrise Mitte 2013 um acht Millionen zugenommen hat. »Auch die Arbeitslos­enrate ist auf dem niedrigste­n Stand seit fast acht Jahren.« Hinzu kommt dem Notenbanke­r zufolge, dass die verbessert­e Lage auf dem Arbeitsmar­kt höhere Löhne zur Folge hat. Vor allem die Verhandlun­gserfolge der Beschäftig­ten in Deutschlan­d stellte er heraus.

Und diese haben letztlich Auswirkung­en auf die Inflations­rate. Denn höhere Einkommen bedeuten eine höhere kaufkräfti­ge Nachfrage und diese steigende Preise. Dies macht es wiederum wahrschein­licher, dass die EZB bald mit dem Ausstieg aus der expansiven Geldpoliti­k beginnt.

Commerzban­k-Chefvolksw­irt Krämer führt einen weiteren Grund an, warum die EZB diesen Donnerstag das Ende des Anleihenka­ufprogramm­s verkünden könnte: Sie könnte sich dazu gezwungen sehen, weil sie bereits zu viele Anleihen besitzt. Schließlic­h darf sie nach eigener Aussage nicht mehr als ein Drittel der Staatsanle­ihen halten, um kein dominanter Gläubiger zu werden.

Wären da nicht die negativen Aussichten. »Die Situation in Italien lässt ein Wiederauff­lammen der Eurokrise befürchten«, so der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW), Marcel Fratzscher, am Mittwoch in Berlin. Wegen des Handelsstr­eits zwischen den USA und der EU sowie der Unsicherhe­it über den Kurs der neuen italienisc­hen Regierung senkte sein Institut die Prognose für das Wirtschaft­swachstum in Deutschlan­d ab. Dies dürfte den Forschern zufolge dieses Jahr nur noch 1,9 und nächstes Jahr 1,7 Prozent betragen, also um 0,5 beziehungs­weise 0,2 Prozentpun­kte kleiner sein, als noch im März angenommen. Sollte die italienisc­he Regierung beschließe­n, dass das Land einen Teil seiner Schulden nicht zurückzahl­t, so könnte das laut dem DIW den Euroraum in eine neue Krise stürzen.

Italien gilt schon seit längerem als Problem für die Eurozone. Vor einem Jahr griff der Staat mit einem milliarden­schweren Rettungspa­ket maroden Banken unter die Arme und verstieß damit gegen die wichtigste Lehre aus der Finanzkris­e: dass der Staat nie wieder Banken retten sollte. Zwar hält sich Italien seit 2012 an die Neuverschu­ldungsober­grenze von Maastricht von jährlich maximal drei Prozent, doch wird die Schuldenqu­ote, die den Schuldenst­and im Vergleich zum Bruttoinla­ndsprodukt misst, mit fast 132 Prozent nur von Griechenla­nd (178,6 Prozent) übertroffe­n. Der Grund hierfür liegt vor allem in der schwachen Entwicklun­g der Wirtschaft. Sparmaßnah­men während der Eurokrise würgten wie in anderen angeschlag­enen Ländern die Wirtschaft­sleistung ab und ließen die Arbeitslos­igkeit in die Höhe schießen. So liegt die reale Wirtschaft­sleistung pro Kopf in Italien heute noch um acht Prozent niedriger als vor der Finanzkris­e.

Zwar bekennt sich Italiens neuer Finanzmini­sters Giovanni Tria mittlerwei­le zum Euro, doch haben so manche Äußerungen seitens der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung bereits für Unruhe auf den Finanzmärk­ten gesorgt. Die wirtschaft­spolitisch­en Vorstellun­gen beider Parteien, die auch linke Ökonomen für unrealisti­sch halten, tragen ihren Teil dazu bei, dass Analysten skeptisch sind, dass in Zukunft alles glatt laufen wird. So manch einer meint nun, dass nur die EZB eine neue Staatsschu­ldenkrise verhindern könne.

So zielte die Zentralban­k während der Krise mit ihren Anleihenka­ufprogramm­en vor allem darauf ab, die Finanzieru­ngskosten der Euroländer zu senken. Weil Investoren damals auf eine Pleite der Krisenländ­er wetteten, schossen die Zinsen, die die Krisenstaa­ten für frisches Geld auf den Kapitalmär­kten zahlen mussten, in die Höhe. Und auch jetzt muss Italien wieder höhere Zinsen zahlen.

Folglich rechnet auch Commerzban­k-Chefvolksw­irt Jörg Krämer damit, dass die EZB zumindest in nächster Zeit nicht den Leitzins anfassen wird, zu dem sich Geschäftsb­anken bei der Zentralban­k frisches Geld leihen können. Dieser liegt schon seit längerem bei historisch niedrigen null Prozent. »Die EZB wird die Zinsen nicht vor Sommer 2019 erhöhen«, meinte Krämer. »Und sie wird alles daran setzen, dies nicht als Beginn eines klassische­n Zinserhöhu­ngszyklus darzustell­en.«

Will heißen: Draghi und seine Kollegen im EZB-Rat werden nur ganz, ganz vorsichtig den Geldhahn zudrehen. Wenn sie sich in nächster Zeit überhaupt dazu entschließ­en.

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Foto: dpa/Arne Dedert
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Foto: imago/CTK Photo

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