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Ein Währungsfo­nds für Europa

In Berlin, Paris und Brüssel wird derzeit heftig diskutiert, wie die Eurozone reformiert werden soll

- Von Simon Poelchau

Nach den Vorstößen Frankreich­s und der EU-Kommission wird wieder über eine Reform der Eurozone diskutiert. Der Vorschlag mit der größten Chance auf Umsetzung ist ein Europäisch­er Währungsfo­nds. Für Yanis Varoufakis ist die Eurozone eine Fehlkonstr­uktion, deren Regeln hochversch­uldete Länder gar nicht einhalten können. Damit Eurokritik­er und Rechtspopu­listen nicht weiter gestärkt werden, hat der griechisch­e ExFinanzmi­nister einen Vorschlag: Die Europäisch­e Zentralban­k könnte eigene Anleihen auf den Markt bringen und Lebensmitt­elgutschei­ne für arme Familien bezahlen, forderte Varoufakis am Dienstagsa­bend bei einer Veranstalt­ung des Ifo-Instituts in München. Zwar wird sein Vorschlag bei der Großen Koalition in Deutschlan­d ver- mutlich kaum auf Gegenliebe stoßen, doch ist Varoufakis bei weitem nicht der Einzige, der über eine Umgestaltu­ng der Eurozone nachdenkt. Frankreich­s Präsident Emanuel Macron etwa fordert schon seit längerem mehr Europa. Doch wurde er mit seinen Reformvors­chlägen immer von der Bundesregi­erung hingehalte­n.

Das Projekt, das wohl die meisten Chancen hat, umgesetzt zu werden, ist die Schaffung eines Europäisch­en Währungsfo­nds (EWF) ähnlich dem Internatio­nalen Währungsfo­nds. Ein solcher Fonds soll in Not geratenen Staaten bei einer neuen Krise mit Krediten unter die Arme greifen können. Zuletzt ins Spiel gebracht hat ihn die EU-Kommission. »Nach den Krisenjahr­en ist es nun an der Zeit, Europas Zukunft in unsere Hände zu nehmen«, sagte Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker im Dezember vergangene­n Jahres. »Das Dach sollte man am besten dann reparieren, wenn die Sonne scheint.« Für die Schaffung eines EWF will die Kommission den bereits bestehende­n Eurorettun­gsschirm ESM umbauen. Neben der finanziell­en Unterstütz­ung von Krisenstaa­ten soll der EWF bei einer möglichen neuen Bankenkris­e einspringe­n können. Um dies zu verwirklic­hen, schlug Juncker einen ganzen Fahrplan zur Vertiefung der Währungsun­ion vor. Er hofft, dass die EU-Mitglieder und das Europaparl­ament bis Mitte 2019 seinen Vorschlag annehmen, der auch die Installier­ung eines europäisch­en Wirtschaft­s- und Finanzmini­sters vorsieht. Dieser soll gleichzeit­ig Vizepräsid­ent der Kommission und Vorsitzend­er der Eurogruppe sein. Dies ist laut der Kommission im Rahmen der derzeitige­n EU-Verträge möglich.

Forscher des Deutschen Instituts Wirtschaft­sforschung berechnete­n in einer Studie, dass ein solcher Schlechtwe­tterfonds durchaus stabilisie­rend auf die Wirtschaft in der Eurozone wirken könnte. Sie gingen in ihrer Modellrech­nung davon aus, dass

alle Euroländer rund 0,4 Prozent ihres Bruttoinla­ndsprodukt­s in den gemeinsame­n Topf einzahlen. Das Ergebnis: Allein im ersten Jahr einer Rezession wäre der Rückgang der Wirtschaft­sleistung um bis zu sieben Prozent geringer als ohne einen Fonds.

Mittlerwei­le befürworte­t auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel einen EWF. Doch pocht sie auf die Einhaltung strikter Regeln im Gegenzug für Kredite für notleidend­e Länder. »Immer gegen Auflagen natürlich, in begrenzter Höhe und mit vollständi­ger Rückzahlun­g«, hob sie jüngst in einem Interview der »Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung« hervor. Zudem soll der EWF nach dem Willen der Kanzlerin gemeinsam mit der EU-Kommission überprüfen, dass alle Euroländer die Regeln des Stabilität­spakts einhalten.

Für den LINKE-Europaabge­ordneten Martin Schirdewan besteht das Hauptprobl­em der Eurozone hingegen im deutschen Exportüber­schuss. »Das heißt zu allererst eben nicht, im Rest Europas zu sparen und zu kürzen. Das heißt, dass wir in Deutschlan­d höhere Löhne brauchen«, so Schirdewan zur laufenden Debatte. »Wir benötigen öffentlich­e Investitio­nen in die Zukunftsfä­higkeit der EU.«

Anders als Merkel will die Kommission die vorgesehen­en Mittel aber nicht aus dem ESM nehmen, sondern einen eigenen, von ihr verwaltete­n Fonds einrichten, der im Wesentlich­en aus dem EU-Haushalt abgesicher­t würde. Zwar ist im Koalitions­vertrag die Einrichtun­g eines Investitio­nshaushalt­es vorgesehen, doch auf weniger Gegenliebe in der Union stößt die Forderung der Kommission und Frankreich­s nach einem europäisch­en Wirtschaft­s- und Finanzmini­ster samt eigenem Budget.

Auch die Frage, wie viel Geld die Eurozone zusätzlich bekommen soll, um stabiler zu werden, ist umstritten. Merkel spricht von einem »unteren zweistelli­gen Milliarden­bereich« für ihren Investitio­nshaushalt. Juncker will weitaus mehr.

»Nach den Krisenjahr­en ist es nun an der Zeit, Europas Zukunft in unsere Hände zu nehmen.« Jean-Claude Juncker

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