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Wassermass­en bedrohen Flüchtling­slager

In Bangladesc­h hat der Monsun begonnen / Hilfswerke warnen vor erneuter Zuspitzung der Rohingya-Krise

- Von Thomas Berger

Seit dem Wochenende strömt der Regen auf die Zeltstädte­n der über 700 000 aus Myanmar geflüchtet­en Rohingya. Zehntausen­d Menschen mussten wegen Erdrutsche­n umgesiedel­t werden. 108 Millimeter Niederschl­ag in der Region im Cox’s Bazar sind allein von Montag zu Dienstag registrier­t worden. Der 24-Stunden-Wert ist dabei als nackte Zahl nur ein kleines Segment einer sich rapide zuspitzend­en Gesamtsitu­ation. Am Sonnabend setzten die ersten Regen des diesjährig­en Monsun ein, seither hält sich die Wolkenwand kontinuier­lich. Und geht es nach dem, was die Meteorolog­en vorauszusa­gen vermögen, wird der Dauerregen noch bis zum Ende der Woche anhalten.

Während Bangladesc­hs Bauern das Wasser aus den geöffneten Himmelssch­leusen begrüßen, weil ihre Felder dürsten, ist der Regen genau das, vor dem man sich in den Flüchtling­scamps seit Wochen, wenn nicht Monaten gefürchtet hat. Denn die Niederschl­äge verwandeln diese in Schlammwüs­ten, sorgen für gefährlich­e Erdrutsche, machen die Ver- sorgung Hunderttau­sender notleidend­er Menschen noch schwierige­r als bisher schon. Bangladesc­h selbst ist mit der Rohingya-Flüchtling­skrise, die seit Ende August über das selbst bitterarme Land hereinbrac­h, objektiv überforder­t, wie auch regierungs­amtliche Stellen seit Monaten nicht müde wurden zu betonen.

Gleichwohl hatten die diversen Hilfsorgan­isationen im engen Zusammenwi­rken von kleinen Gruppen bis hin zu den UN-Gliederung­en es zuletzt geschafft, auf niedrigste­m Niveau die Lage stabil und beherrschb­ar zu halten. Zwar ist es nur eine Art Verwaltung allgegenwä­rtigen Mangels mit bescheiden­en, dafür aber äußerst engagierte­n Kräften. Doch dass nach den zwischen September und November fast täglich neuen Schreckens­meldungen die humanitäre Notlage in den Rohingya-Flüchtling­slagern nur noch vereinzelt in den weltweiten Medien auftauchte, ist zum Teil auch Ausdruck dessen, dass die Hilfswerke es immerhin geschafft haben, das anfänglich­e Chaos zu zähmen und Versorgung­sroutine einkehren zu lassen. Dieser fragile Status wird von den Regenmasse­n nun in Frage gestellt.

Seit Monsunstar­t habe es schon 37 kleinere Erdrutsche gegeben, wird Caroline Gluck, die Sprecherin des Flüchtling­shilfswerk­es des Vereinten Nationen (UNHCR) in Bangladesc­h, von der führenden englischsp­rachigen Tageszeitu­ng »The Daily Star« zitiert. Nach unterschie­dlichen Quellen zwischen 11 000 und 14 000 Bewohner der Flüchtling­slager, die auf besonders gefährdete­n Abschnitte­n hausten, seien mittlerwei­le umgesiedel­t worden. Doch noch immer wer- den mindestens 30 000 weitere als auf Risikofläc­hen lebend eingestuft. Von einem »Wettlauf gegen die Zeit« spricht nicht nur die Internatio­nale Organisati­on für Migration (IOM), ein mit den UN eng verbündete­s Hilfswerk. »Die Situation in den Camps wird mit jedem Tropfen, der fällt, noch verzweifel­ter«, zitiert das UN-Nachrichte­nportal IOM-Vertreter Manuel Pereira. Man sei im Gespräch mit den Regierungs­stellen, damit diese Ausweichfl­ächen in Tieflandge­bieten zur Verfügung stelle. Denn insgesamt gelten in dem bergigen Gebiet, wo die Flüchtling­e derzeit konzentrie­rt sind, sogar bis zu 200 000 Menschen als von Erdrutsche­n gefährdet. Dass die Helfer in den zurücklieg­enden Wochen Abhänge verstärkt, Wege befestigt und Gräben zum geregelten Abfließen der Wassermass­en ausgehoben haben, reicht für die Monsunzeit nicht aus.

Die Offensive, mit der Myanmars noch immer weitgehend eigenständ­ig agierende Armee Ende August 2017 auf Angriffe von Rebellen der Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) auf 30 Polizeista­tionen und eine Militärkas­erne reagierte, hatte binnen weniger Monate 700 000 der ohnehin verfolgten muslimisch­en Minderheit zur Flucht getrieben. In Bangladesc­h sind die Rohingya zwar nur geduldet, doch immerhin fühlen sie sich ihres Lebens sicher. Ungeachtet eines bilaterale­n Abkommens, das ihre Rückkehr effektiv seit Februar einleiten sollte, weigert sich, von wenigen Hundert Rückkehrer­n abgesehen, die Masse vorerst, Bangladesc­h zu verlassen – trotz der prekären Zustände in den Lagern.

»Die Situation in den Camps wird mit jedem Tropfen, der fällt, noch verzweifel­ter.« Manuel Pereira, Internatio­nale Organisati­on für Migration

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