Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne
»Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.«
Am heutigen Donnerstag beginnt in Russland die Fußballweltmeisterschaft der Männer, und wieder sind die Deutschen dabei. Die Deutschen aber sind, wie wir seit Friedrich Hölderlin wissen, »Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden … Handwerker siehst du, aber keine Menschen«. Die Tugenden der Deutschen aber, so der Tübinger Dichter in seinem Traktat »Hyperion« weiter, »sind ein glänzend Übel und nichts weiter … Und darum fürchten sie auch den Tod so sehr und leiden, um des Austernlebens willen, alle Schmach, weil Höhers sie nicht kennen, als ihr Machwerk, das sie sich gestoppelt.«
Ja, so ist er, der Deutsche, und wenn er in Gruppen sich zusammenrottet, ist er noch unerträglicher. Dann kennt er nur noch den Fetisch der Ideologie, dem er alles Gefühl unterwirft. Als Einzelner ist er nichts, er will den Gleichschritt in der Masse. Die Leichtigkeit, mit der andere Völker und Nationen ihr Dasein bewältigen, geht ihm ab. Sein Patriotismus will immer nur den Sieg und die Unterwerfung. Der Gegner muss niedergerungen, niedergestampft werden.
Seine höchste Stufe erlangt der Deutsche aber in der Ausprägung des Antinationalisten. Auch bei dieser Fußballweltmeisterschaft wird der Antideutsche stolzbewusst wieder Jagd auf schwarz-rot-goldene FanUtensilien machen und den Nationalismus der anderen Deutschen bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit heiligem Furor verdammen. Was aber, wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft frühzeitig aus dem Turnier ausscheiden sollte? Es wäre – wie immer in der Geschichte – den anderen Nationen zum Nachteil. Dann werden, so ist zu befürchten, der Antideutsche wie der Deutsche andere Ziele finden – die Flaggen und in die Nationalfarben getränkten Utensilien der anderen Mannschaften gar. Da die WM in Russland stattfindet, wäre das, wie schon früher in der Geschichte, mindestens eine Bedrohung für den Weltfrieden. Im Sinne des Weltfriedens sind Mesut Özil, Ilkay Gündogan, Sami Khedira, Jerome Boateng, Mario Gómez, Antonio Rüdiger und die anderen deutschen Spieler also verpflichtet, mindestens das Halbfinale zu erreichen. Acht nd-Redakteurinnen und -Redakteure, ergänzt um vier Gastautorinnen und -autoren, werden bis zum Ende das Geschehen aus feuilletonistischer Sicht kommentieren. Warum 12 und nicht 11? Ganz einfach: Der linke Fußballfan weiß, dass es immer auf den 12. Mann (oder die 12. Frau) ankommt!
Allen seien abschließend diese Zeilen aus Hölderlins »Hyperion« in Erinnerung gerufen, in denen er darüber nachdenkt, wie dem Leiden zu entkommen ist: »Ich wollte nun aus Deutschland wieder fort. Ich suchte unter diesem Volke nichts mehr, ich war genug gekränkt, von unerbittlichen Beleidigungen, wollte nicht, daß meine Seele vollends unter solchen Menschen sich verblute. Aber der himmlische Frühling hielt mich auf; er war die einzige Freude, die mir übrig war, er war ja meine letzte Liebe, wie konnt’ ich noch an andre Dinge denken und das Land verlassen, wo auch er war?« Man ersetze bitte den »Frühling« durch »Fußball« und weiß, was der Dichter meinte.
Alle WM-Kolumnen können Sie nachlesen unter: dasND.de/abseits