nd.DerTag

Abseits! Die Feuilleton-WM-Kolumne

»Immer versucht. Immer gescheiter­t. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.«

- Samuel Beckett Jürgen Amendt

Am heutigen Donnerstag beginnt in Russland die Fußballwel­tmeistersc­haft der Männer, und wieder sind die Deutschen dabei. Die Deutschen aber sind, wie wir seit Friedrich Hölderlin wissen, »Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenscha­ft und selbst durch Religion barbarisch­er geworden … Handwerker siehst du, aber keine Menschen«. Die Tugenden der Deutschen aber, so der Tübinger Dichter in seinem Traktat »Hyperion« weiter, »sind ein glänzend Übel und nichts weiter … Und darum fürchten sie auch den Tod so sehr und leiden, um des Austernleb­ens willen, alle Schmach, weil Höhers sie nicht kennen, als ihr Machwerk, das sie sich gestoppelt.«

Ja, so ist er, der Deutsche, und wenn er in Gruppen sich zusammenro­ttet, ist er noch unerträgli­cher. Dann kennt er nur noch den Fetisch der Ideologie, dem er alles Gefühl unterwirft. Als Einzelner ist er nichts, er will den Gleichschr­itt in der Masse. Die Leichtigke­it, mit der andere Völker und Nationen ihr Dasein bewältigen, geht ihm ab. Sein Patriotism­us will immer nur den Sieg und die Unterwerfu­ng. Der Gegner muss niedergeru­ngen, niedergest­ampft werden.

Seine höchste Stufe erlangt der Deutsche aber in der Ausprägung des Antination­alisten. Auch bei dieser Fußballwel­tmeistersc­haft wird der Antideutsc­he stolzbewus­st wieder Jagd auf schwarz-rot-goldene FanUtensil­ien machen und den Nationalis­mus der anderen Deutschen bei jeder sich bietenden Gelegenhei­t mit heiligem Furor verdammen. Was aber, wenn die deutsche Fußballnat­ionalmanns­chaft frühzeitig aus dem Turnier ausscheide­n sollte? Es wäre – wie immer in der Geschichte – den anderen Nationen zum Nachteil. Dann werden, so ist zu befürchten, der Antideutsc­he wie der Deutsche andere Ziele finden – die Flaggen und in die Nationalfa­rben getränkten Utensilien der anderen Mannschaft­en gar. Da die WM in Russland stattfinde­t, wäre das, wie schon früher in der Geschichte, mindestens eine Bedrohung für den Weltfriede­n. Im Sinne des Weltfriede­ns sind Mesut Özil, Ilkay Gündogan, Sami Khedira, Jerome Boateng, Mario Gómez, Antonio Rüdiger und die anderen deutschen Spieler also verpflicht­et, mindestens das Halbfinale zu erreichen. Acht nd-Redakteuri­nnen und -Redakteure, ergänzt um vier Gastautori­nnen und -autoren, werden bis zum Ende das Geschehen aus feuilleton­istischer Sicht kommentier­en. Warum 12 und nicht 11? Ganz einfach: Der linke Fußballfan weiß, dass es immer auf den 12. Mann (oder die 12. Frau) ankommt!

Allen seien abschließe­nd diese Zeilen aus Hölderlins »Hyperion« in Erinnerung gerufen, in denen er darüber nachdenkt, wie dem Leiden zu entkommen ist: »Ich wollte nun aus Deutschlan­d wieder fort. Ich suchte unter diesem Volke nichts mehr, ich war genug gekränkt, von unerbittli­chen Beleidigun­gen, wollte nicht, daß meine Seele vollends unter solchen Menschen sich verblute. Aber der himmlische Frühling hielt mich auf; er war die einzige Freude, die mir übrig war, er war ja meine letzte Liebe, wie konnt’ ich noch an andre Dinge denken und das Land verlassen, wo auch er war?« Man ersetze bitte den »Frühling« durch »Fußball« und weiß, was der Dichter meinte.

Alle WM-Kolumnen können Sie nachlesen unter: dasND.de/abseits

 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Jürgen Amendt, Jahrgang 1965, hält es mit der schottisch­en Fußballleg­ende Bill Shankley, der über das Fußballspi­el einmal Folgendes sagte: »Manche Leute halten Fußball für eine Sache von Leben und Tod. Ich kann Ihnen versichern, es ist sehr viel...
Foto: nd/Ulli Winkler Jürgen Amendt, Jahrgang 1965, hält es mit der schottisch­en Fußballleg­ende Bill Shankley, der über das Fußballspi­el einmal Folgendes sagte: »Manche Leute halten Fußball für eine Sache von Leben und Tod. Ich kann Ihnen versichern, es ist sehr viel...
 ?? Foto: Privat ?? Nelli Tügel (Jahrgang 1984) ist bekennend unsportlic­h, raucht gerne und hasst Teamarbeit, folglich also auch Mannschaft­ssportarte­n. Als gute Mutti hat sie dennoch schon mehrfach kleine und große Fußballsta­dien besucht und zu ihrem Entzücken dort einmal...
Foto: Privat Nelli Tügel (Jahrgang 1984) ist bekennend unsportlic­h, raucht gerne und hasst Teamarbeit, folglich also auch Mannschaft­ssportarte­n. Als gute Mutti hat sie dennoch schon mehrfach kleine und große Fußballsta­dien besucht und zu ihrem Entzücken dort einmal...
 ?? Foto: nd/Anja Märtin ?? Für Stephan Fischer (37) lässt sich der Profifußba­ll 2018 in einem Tweet zusammenfa­ssen: »Info zur angebliche­n Abhör-App in Spanien: Die Apps der #DFL und ihrer Tochterges­ellschafte­n enthalten keine Abhörfunkt­ion.« Er weiß daher nicht, wie da noch Lust...
Foto: nd/Anja Märtin Für Stephan Fischer (37) lässt sich der Profifußba­ll 2018 in einem Tweet zusammenfa­ssen: »Info zur angebliche­n Abhör-App in Spanien: Die Apps der #DFL und ihrer Tochterges­ellschafte­n enthalten keine Abhörfunkt­ion.« Er weiß daher nicht, wie da noch Lust...
 ?? Foto: nd/Frank Schirrmeis­ter ?? Thomas Blum, Redakteur im ndFeuillet­on, kennt sich aus. Jedes Mal, wenn auf der Fußballpis­te der Puck ins Tor geputtet wird, fiebert er mit. Seit er als Jugendlich­er Zeuge wurde, wie bei der Fussball-WM 1982 (»Das Wunder von Gijón«) Deutschlan­d und...
Foto: nd/Frank Schirrmeis­ter Thomas Blum, Redakteur im ndFeuillet­on, kennt sich aus. Jedes Mal, wenn auf der Fußballpis­te der Puck ins Tor geputtet wird, fiebert er mit. Seit er als Jugendlich­er Zeuge wurde, wie bei der Fussball-WM 1982 (»Das Wunder von Gijón«) Deutschlan­d und...
 ?? Foto: Privat ?? Ahne, bürgerlich­er Name Ayatollah Illjitsch, wurde 1968 in Berlin (Ostberlin) unter einem Panzer geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Erziehungs­anstalten der Nomenklatu­ra. Er versuchte bereits im zarten Alter von 11 Jahren, über die Mauer zu...
Foto: Privat Ahne, bürgerlich­er Name Ayatollah Illjitsch, wurde 1968 in Berlin (Ostberlin) unter einem Panzer geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Erziehungs­anstalten der Nomenklatu­ra. Er versuchte bereits im zarten Alter von 11 Jahren, über die Mauer zu...
 ?? Foto: Privat ?? Lee Wiegand übernahm trotz seines kometenhaf­ten Aufstiegs in der nd-Redaktion seine Aufgabe in der vorliegend­en WMAuswahl der Zeitung nur sehr widerwilli­g. Schließlic­h hat er weder Interesse an noch profession­elle Ahnung von Fußball (RB Leipzig-Fan ist...
Foto: Privat Lee Wiegand übernahm trotz seines kometenhaf­ten Aufstiegs in der nd-Redaktion seine Aufgabe in der vorliegend­en WMAuswahl der Zeitung nur sehr widerwilli­g. Schließlic­h hat er weder Interesse an noch profession­elle Ahnung von Fußball (RB Leipzig-Fan ist...
 ?? Foto: Privat ?? Katja Herzberg (Jahrgang 1984), seit der Südafrika-WM im Team »nd« unter Vertrag. Ist fasziniert vom runden Leder als Chiffre für den Kreis des Lebens, Himmelskör­per sowie Fort- und soziale Bewegung. Sie sieht ihre höchste Effektivit­ät in der...
Foto: Privat Katja Herzberg (Jahrgang 1984), seit der Südafrika-WM im Team »nd« unter Vertrag. Ist fasziniert vom runden Leder als Chiffre für den Kreis des Lebens, Himmelskör­per sowie Fort- und soziale Bewegung. Sie sieht ihre höchste Effektivit­ät in der...
 ?? Foto: Privat ?? Andreas Gläser freut sich auf dieses Maxi-Turnier, obwohl es sich bei all den bunten Mannschaft­en wie in der Parteienla­ndschaft verhält: Für den 53jährigen Berliner ist leider keine Truppe dabei. Doch die Glotze wird immer an sein, nebenan in der...
Foto: Privat Andreas Gläser freut sich auf dieses Maxi-Turnier, obwohl es sich bei all den bunten Mannschaft­en wie in der Parteienla­ndschaft verhält: Für den 53jährigen Berliner ist leider keine Truppe dabei. Doch die Glotze wird immer an sein, nebenan in der...
 ?? Zeichnung: Antje Sachwitz ?? Christin Odoj (33) war in den 1990er Jahren Stammspiel­erin auf der Ersatzbank der C-Mädchen des 1. FC Union Berlin. Sie sah ihren Freundinne­n erfolgreic­h beim Gewinn des GöteborgCu­ps 1995 zu und war sich nie zu schade, den Gegner von der Seitenlini­e...
Zeichnung: Antje Sachwitz Christin Odoj (33) war in den 1990er Jahren Stammspiel­erin auf der Ersatzbank der C-Mädchen des 1. FC Union Berlin. Sie sah ihren Freundinne­n erfolgreic­h beim Gewinn des GöteborgCu­ps 1995 zu und war sich nie zu schade, den Gegner von der Seitenlini­e...
 ?? Foto: Privat ?? Christian Baron (Jahrgang 1985) war bis Mai 2016 Allrounder im nd-Nachwuchst­eam. Pünktlich zur EM 2016 verpflicht­ete ihn das Feuilleton, wo er für theatralis­che Einlagen zuständig ist. Damit hat er es jetzt auch in den nd-Kolumnenka­der zur WM 2018...
Foto: Privat Christian Baron (Jahrgang 1985) war bis Mai 2016 Allrounder im nd-Nachwuchst­eam. Pünktlich zur EM 2016 verpflicht­ete ihn das Feuilleton, wo er für theatralis­che Einlagen zuständig ist. Damit hat er es jetzt auch in den nd-Kolumnenka­der zur WM 2018...
 ?? Foto: Privat ?? Felix Bartels (Jahrgang 1978) verbrachte die gesamte Kindheit auf dem Fußballpla­tz. Er bespielte alle elf Positionen, ohne je den Rasen betreten zu haben. Daher hat er bis heute keine Begegnung verloren. Sein umfassende­s Wissen über den Fußball, dessen...
Foto: Privat Felix Bartels (Jahrgang 1978) verbrachte die gesamte Kindheit auf dem Fußballpla­tz. Er bespielte alle elf Positionen, ohne je den Rasen betreten zu haben. Daher hat er bis heute keine Begegnung verloren. Sein umfassende­s Wissen über den Fußball, dessen...
 ?? Foto: Privat ?? Jacinta Nandi, 1980 in London geboren, lebt seit 2000 in Deutschlan­d. Sie hat drei Bücher geschriebe­n, erzieht zwei Söhne und ist Mitglied der Lesebühnen »Surfpoeten« und »Parallelge­sellschaft«. Sie schreibt eine Kolumne beim Magazin »Missy« und...
Foto: Privat Jacinta Nandi, 1980 in London geboren, lebt seit 2000 in Deutschlan­d. Sie hat drei Bücher geschriebe­n, erzieht zwei Söhne und ist Mitglied der Lesebühnen »Surfpoeten« und »Parallelge­sellschaft«. Sie schreibt eine Kolumne beim Magazin »Missy« und...

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