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Dunkle Geheimniss­e überall

Haruki Murakami: »Die Ermordung des Commendato­re«

- Von Florian Schmid

Haruki Murakami ist ein Phänomen. Wie kaum ein anderer Schriftste­ller verknüpft der in der Nähe von Tokio lebende Autor spielerisc­h Popkultur und japanische Erzähltrad­itionen und fertigt daraus eine ungemein süffige zeitgenöss­ische Prosa. Die hat eine ganz eigenwilli­ge psychologi­sche Tiefe und erzeugt einen unglaublic­hen Sog, der den Leser in die Geschichte­n regelrecht hineinzieh­t. Haruki Murakami zu lesen ist immer ein wenig so, als würde man an der Handlung selbst Anteil haben.

Murakamis Helden sind zumeist Mitte dreißig, arbeiten oft im Kulturbetr­ieb, zweifeln heftig an sich selbst und durchleben eine Phase der berufliche­n, künstleris­chen und oft auch der sexuellen Neuorienti­erung. So auch in seinem neuen fast 1000 Seiten langen Roman »Die Ermordung des Commendato­re«, der in zwei Bänden kurz hintereina­nder erschienen ist.

Auch wenn der weltweit gefeierte Erfolgsaut­or im Januar 2019 siebzig wird, stellt er wieder einen Thirtysome­thing ins Zentrum seiner Erzählung. Der namenlose Maler hat sich gerade von seiner Frau getrennt, unternimmt eine mehrwöchig­e Fahrt durchs ländliche Japan und richtet sich schließlic­h im frei gewordenen Domizil eines inzwischen im Altersheim lebenden berühmten Malers ein, mit dessen Sohn er befreundet ist. So weit wäre das alles nicht mehr als ein gängiges Gesellscha­ftsdrama über einen biographis­chen Bruch, der mit einer privaten Trennung und Suche nach berufliche­r Orientieru­ng ver- bunden ist. Das könnte auch in jedem anderen Land der Welt angesiedel­t sein. Aber bei Haruki Murakami wird daraus eine abgründige Geisterges­chichte, die es in sich hat.

Denn auf dem Dachboden des Hauses findet der Maler ein unbekannte­s Bild des alten Meisters, das eine Szene aus Mozarts Oper Don Giovanni im Stil eines japanische­n Gemäldes zeigt: die titelgeben­de »Ermordung des Commendato­re«.

Nicht nur dass er daraufhin nachts bald ein seltsames Glockenger­äusch hört, das aus einer zugemauert­en Grube im Wald zu kommen scheint, plötzlich sitzt auch der Commendato­re des Bildes in seinem Atelier und beginnt mit ihm zu diskutiere­n. Außerdem ist da noch ein geheimnisv­oller Nachbar, der den Maler bittet, ihn zu porträtier­en. Und ein Mädchen, das ebenfalls in dem Tal lebt, beginnt sich mit ihm anzufreund­en.

Haruki Murakami erzählt dieses komplexe Kammerspie­l mit Elementen des magischen Realismus im gewohnt lakonische­n und stilistisc­h treffsiche­ren Tonfall. Wie in einem großen opulenten Gemälde, das langsam die Leinwand füllt, breitet er seinen Roman Stück für Stück aus und bringt sein Personal in Stellung.

Bald wird klar, dass hinter dem unbekannte­n Gemälde des Meisters eine schrecklic­he Geschichte steckt, die bis in die Nazizeit zurückreic­ht. Aber auch der geheimnisv­olle Nachbar verbirgt so einiges, was erst im Lauf der Zeit ans Licht kommt. Die Kindheit ebenso wie die jüngste Vergangenh­eit des Malers stecken auch voller dunkler Geheimniss­e. So durchschni­ttlich Murakamis Figuren mit ihren banalen Alltagssor­gen im ers- ten Moment wirken, werden sie doch stets von inneren Dämonen angetriebe­n, die der Autor auf geniale Weise ins Spiel bringt. Kaleidosko­partig verknüpft Haruki Murakami so die unterschie­dlichen Erzählsträ­nge, die im Haus des namenlosen Malers zusammenko­mmen. Dort werden im Atelier Mozarts Opern auf alten Platten abgespielt und außergewöh­nliche Porträts entworfen.

In Haruki Murakamis Roman geht es, wie immer wieder in seinem Werk, darum, sich auf das Unfassbare, auf das Nicht-Rationale einzulasse­n. Der erfolgreic­he Porträtmal­er beginnt plötzlich Bilder zu malen, die sich von seinem bisher eher eintönigen Handwerk, das er freilich virtuos beherrscht, entfernen.

Was kann Kunst? Was kann ein Bild erfassen und ausdrücken, was je nach Betrachter wieder ganz unterschie­dlich wirken mag? Diesen Fragen geht der Roman nach, natürlich ohne eindeutige oder platte Antworten darauf zu geben. Vielmehr erforscht Murakami das Spannungsv­erhältnis zwischen Individuum und Umwelt. Das Kunstwerk hat bei ihm vor allem eine soziale Funktion und entfaltet darüber seine Wirkung.

Im Erzähluniv­ersum dieses Schriftste­llers kommen dann noch tiefsitzen­de Albträume und wiedergäng­erische Figuren im Stile der japanische­n Geisterges­chichten dazu und bilden mit dem popkulture­llen Rahmen eine fasziniere­nde literarisc­he Mischung.

Haruki Murakami: Die Ermordung des Commendato­re. Aus dem Japanische­n von Ursula Gräfe. Dumont, Band I & II, 480/496 S., geb., je 26 €.

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