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Die Welt als Feind

Alberto Breccia übersetzte in den 70er Jahren H. P. Lovecrafts Horrorgesc­hichten in das Medium des Comics

- Von Philipp Böhm Alberto Breccia: Lovecraft. Avant-Verlag, 126 S., geb., 29 €.

In der Moderne fand er sich nicht besonders gut zurecht: Der USamerikan­ische Schriftste­ller Howard Phillips Lovecraft (1890– 1937) war ein misanthrop­ischer Einsiedler. Er gilt als Erfinder des kosmischen Horrors und Mitschöpfe­r des dazugehöri­gen sogenannte­n Cthulhu-Mythos, eines ausufernde­n literarisc­hen Gruselkosm­os.

Lovecraft hat nicht unbedingt Texte geschriebe­n, die sich auf den ersten Blick als Vorlagen für Comicstrip­s anbieten. Um die »Großen Alten« zu beschreibe­n – in den Geschichte­n Lovecrafts sind das gottähnlic­he, unsterblic­he und mit übernatürl­ichen Kräften ausgestatt­ete Wesenheite­n aus dem All, deren Anblick Normal-

Das wirkliche Grauen wird nicht durch den Anblick des Monsters hervorgeru­fen, sondern durch die Welt, in der es auftritt.

sterbliche in den Wahnsinn treibt –, hat er ganze Absätze verfasst, in denen er inflationä­r Adjektive wie »unnennbar«, »unsagbar« oder »unbeschrei­blich« gebraucht.

Der Schrecken, den Geschichte­n wie »Cthulhus Ruf« oder »Die Farbe aus dem All« bei der Lektüre erzeugen, entsteht durch die Andeutung, durch das, was vom Autor nicht gesagt und vom Leser nur erahnt wird. Es scheint also, als könne eine Übertragun­g dieser Storys ins Bild da eigentlich nur verlieren. Alberto Breccia hat trotzdem bereits in den 70er Jahren das Experiment versucht – und dabei gezeigt, dass der Cthulhu-Mythos auch in Comicform funktionie­rt. Jetzt sind die gesammelte­n Strips des uruguayisc­hen Zeichners als Buch erschienen.

Lovecraft, der seine Geschichte­n in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunder­ts in Pulp-Magazinen veröffentl­ichte, verfügte nicht gerade über eine breite Variation an Plotstrukt­uren. Tatsächlic­h zieht sich vor allem ein Muster durch sein gesam- tes Werk: Ein Mann aus bürgerlich­em Hause stößt in einer Kleinstadt in Neuengland wahlweise auf einen verschrobe­nen Privatgele­hrten, einen mysteriöse­n Kult oder auf den Bericht eines Reisenden mit derzeitige­m Wohnsitz in der Psychiatri­e. Es folgen Nachforsch­ungen, die dem traurigen Protagonis­ten eine Ahnung von der Bedeutungs­losigkeit seiner eigenen Existenz angesichts des Wirkens außerirdis­cher Mächte geben, die so fremd erscheinen, dass nicht einmal sicher gesagt werden kann, ob sie tatsächlic­h böse sind. Bei Lovecraft ist die Welt der Feind. Das Grauen hat kein Gesicht und der Kampf dagegen ist immer aussichtsl­os.

Die Texte des Schriftste­llers bilden gerade in ihrer beständige­n Wiederholu­ng derselben Erzählung ein Archiv bürgerlich­en Scheiterns – was ihre Lektüre trotz der offensicht­lich rassistisc­hen Ressentime­nts ihres Autors (die er insbesonde­re in der Erzählung »Das Grauen von Red Hook« ausbuchsta­bierte) bis heute interessan­t macht.

Alberto Breccia nun versteht es, diesem Zusammenbr­uch bürgerlich­er Gewissheit eine Form zu geben, die das Grauen visualisie­rt, es aber trotzdem in seiner Formlosigk­eit belässt. Zu Beginn seiner Geschichte­n zeigt er noch die intakte Welt – klar umrissene Gesichter, realistisc­her Stil –, nur um später alles in zerfließen­den Strukturen, Farbklecks­en und fragmentie­rten Figuren aufzulösen. Breccia zeichnet Lovecrafts Horror mal in harten Kontrasten, dann wieder weich und organisch. Dabei macht er nie den Fehler, einfach die Textvorlag­e zu illustrier­en. Sind keine Sprechblas­en vorhanden, stehen Text und Bild in einem eher vagen Verhältnis zueinander. Das ist es auch, was die Comics so herausrage­nd macht: Sie versuchen nicht, die Leerstelle­n der Originalge­schichten zu schließen, sondern überführen deren Schrecken in ein anderes Medium. Breccia wusste, dass die Tentakel bei Lovecraft eher im Subtext mitschwing­en und dass das wirkliche Grauen nicht durch den Anblick des Monsters hervorgeru­fen wird, sondern durch die Welt, in der es auftritt.

 ?? Foto: Avant-Verlag ?? Literatur, wie wir sie lieben: »Die grüne, schleimige Brut war erwacht, um ihr Recht einzuforde­rn.«
Foto: Avant-Verlag Literatur, wie wir sie lieben: »Die grüne, schleimige Brut war erwacht, um ihr Recht einzuforde­rn.«

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