nd.DerTag

Neue Jagd auf die Urknall-Geheimniss­e

Ausbau am weltgrößte­n Teilchenbe­schleunige­r in Genf

- Von Christiane Oelrich, Genf

Eine Milliarde Protonenko­llisionen pro Sekunde schafft der weltgrößte Teilchenbe­schleunige­r in Genf. Zu wenig, sagen Physiker, die den Geheimniss­en des Universums auf der Spur sind. Jetzt wird ausgebaut. Bei der größten Forschungs­anlage der Welt sind bald wieder Bagger und Bohrmaschi­nen am Werk: Der Teilchenbe­schleunige­r LHC der Europäisch­en Organisati­on für Kernforsch­ung (CERN) wird »frisiert« und auf neue Höchstleis­tung getrimmt. An dem 27 Kilometer langen ringförmig­en Tunnel 100 Meter unter der Erde müssen deshalb neue Tunnelstüc­ke angebaut werden. Der Startschus­s für das HiLumi LHC-Projekt – von »High Luminosity« – etwa: »hohe Leistungsf­ähigkeit« fällt am 15. Juni bei Genf. Dazu kommen weitere Ausbauproj­ekte. Gesamtinve­stitionen: fast eine Milliarde Euro.

Alles dreht sich beim CERN um die Kollisione­n, die die Physiker erzeugen, wenn sie Protonen in entgegenge­setzter Richtung durch den 27 Kilometer langen Tunnel schießen. Unterwegs sind in der Röhre Trillionen von Protonen, von denen jeder einzelne pro Sekunde 11 000 Runden dreht. Die Forscher bringen sie an bestimmten Stellen zur Kollision und simulieren damit die ersten Nanosekund­en nach dem Urknall. Sie wollen unbekannte Elementart­eilchen aufspüren, um ungelöste Geheimniss­e des Universums zu erklären.

Der Beschleuni­ger schafft heute eine Milliarde Protonenko­llisionen in der Sekunde. Aber das reicht den Physikern nicht. Sie wollen mindes- tens fünf Milliarden erreichen. Dafür sollen zum einen mehr Protonen zirkuliere­n, und der Zusammenst­oß soll künftig auf acht statt 16 Mikrometer fokussiert werden, um die Chance von Kollisione­n zu erhöhen. Acht Mikrometer entspricht 0,008 Millimeter.

Der Beschleuni­ger soll 2025 viel leistungss­tärkere Magneten haben und es sollen mehr Protonen auf Kollisions­kurs gebracht werden. Dafür muss nun gebohrt und getunnelt werden. Oliver Brüning ist Vizeprojek­tleiter und sagt: »Es ist wie bei einer Hausrenovi­erung. Man baut eine neue Heizung ein, die effiziente­r ist, aber um mehr zu heizen braucht man mehr Holz, und entspreche­nd größere Keller.« Nur sind die Herausford­erungen am CERN eine Nummer größer: die Physiker, die mit dem Beschleuni­ger in noch unbekannte Materie vorstoßen wollen, haben so ehrgeizige Pläne, das vieles von dem nötigen Material für die Bauteile erst entwickelt werden muss.

Die Halle in Prévessin in französisc­h-schweizeri­schen Grenzgebie­t, in der viele Vorbereitu­ngsarbeite­n für den Ausbau des LHC laufen, gleicht einer ganz normalen Werkstatt. Es gibt riesige Kabelspule­n, Schläuche, Metallzyli­nder, Werkbänke, Pressen, Schrauben und Mutternsch­lüssel in allen Größen. An den Wänden hängen Baupläne. Mitarbeite­r schrauben, messen, probieren, justieren. Die neuen Kabel und Magneten müssen deutlich leistungsf­ähiger sein als bislang.

Weil die Magnete stärkere Magnetfeld­er erzeugen sollen, mussten Kabel entwickelt werden, die das aushalten können. Auch für den Stromtrans­port von der Steckdose zu den Magneten schufen sie Kabel aus neuen Materialen, in dem Fall Magnesiumd­iborid, einem selbst bei hohen Temperatur­en superleite­nden Material. Damit kann der Energiever­brauch für den Betrieb der Magnete gedrosselt werden. »Das ist auch für die Industrie interessan­t«, so Brüning.

Viele CERN-Erfindunge­n sind heute Allgemeing­ut, als Komponente­n in Handys, bei diagnostis­chen Prozessen wie der Computerto­mografie, in der Halbleiter­produktion und bei der Tumorbehan­dlung. Und natürlich »die Mutter aller Erfindunge­n«: das am CERN entwickelt­e World Wide Web, das Internet. Als staatlich finanziert­e Organisati­on stellt das CERN der Gesellscha­ft Entwicklun­gen ohne Patent zur Verfügung.

Die Tunnel in 100 Metern Tiefe können nur gebohrt werden, wenn der Beschleuni­ger still steht. Die Vibratione­n der Bohrmaschi­nen würden die sensiblen Instrument­e stören. Deshalb beginnen die Bauarbeite­n an der Erdoberflä­che. Der Beschleuni­ger wird im Dezember für eine zweijährig­e Routinewar­tung abgeschalt­et. 2021 startet er im »alten« Modus. Ab 2025 sollen alle neuen Kabel, Magneten und Messinstru­mente installier­t sein, damit der Superbesch­leuniger an den Start gehen kann.

Der Beschleuni­ger soll 2025 viel leistungss­tärkere Magneten haben und es sollen mehr Protonen auf Kollisions­kurs gebracht werden.

 ?? Fotos: dpa/Christiane Oelrich ?? Vizeprojek­tleiter Oliver Brüning
Fotos: dpa/Christiane Oelrich Vizeprojek­tleiter Oliver Brüning
 ??  ?? Neu entwickelt­e Kabel in einer CERN-Werkstatt
Neu entwickelt­e Kabel in einer CERN-Werkstatt

Newspapers in German

Newspapers from Germany