nd.DerTag

»Wie ein Schlag ins Gesicht«

Der Tag der Urteilsver­kündung vor dem Gericht an der Nymphenbur­ger Straße

- Von Rudolf Stumberger, München

Vor dem Gericht in München erwarteten Demonstran­ten mit Spannung die Urteile gegen Beate Zschäpe und ihre Mitangekla­gten. Es ist neun Uhr an diesem historisch­en Tag vor dem Münchner Justizgebä­ude an der Nymphenbur­ger Straße und am Himmel wechseln sich dunkle Wolken und Sonnensche­in ab. Der Eingang zum Gerichtssa­al A101, in dem die Urteile im NSU-Prozess verkündet werden, ist geradezu belagert von wartenden Fernsehtea­ms und Journalist­en. In der vorbeiführ­enden Straße findet die ganztägige Kundgebung des antifaschi­stischen Bündnisses »Kein Schlusstri­ch« statt, überall sind Polizisten zugegen. An einem der Absperrgit­ter lehnen Schilder und auf ihnen ist zu lesen. »Triorisier­ung beenden«, das »o« ist dabei ein Blutfleck. Damit ist angesproch­en, um was es heute geht: Um das Urteil in einem Neonazi-Prozess, der keine Netzwerke und Hintermänn­er kennen will. In gut zwei Stunden wird hier Alexander Hoffman, ein Anwalt der Nebenklage diese Urteile als »Katastroph­e« bezeichnen.

Noch aber liegt Spannung über der Szene an der Ecke Nymphenbur­ger/Sandstraße mit all den Journalist­en, Polizisten und Antifaschi­sten. Schräg gegenüber dem Justizzent­rum sind an der Straßeneck­e vier furchterre­gende Wölfe aus Bronze zu sehen – der Künstler Rainer Opolka will damit auf die Gefahr des Rechtsextr­emismus hinweisen. »Wölfe bitte nicht füttern«, ist auf einem Plakat zu lesen, und: »Nationalis­mus gebiert Gewalt. Europa sei wachsam.«

Beim Justizzent­rum auf der anderen Straßensei­te stehen noch immer Menschen in einer Schlange an, um auf die Besuchertr­ibüne des Gerichtssa­als zu kommen. Dass dieser Saal viel zu klein war, um auch nur alle Pressevert­reter aufzunehme­n, sorgte schon bei Beginn des Prozesses vor fünf Jahren für Aufregung. Drinnen verliest Richter Manfred Götzl gerade das Urteil.

Es ist fünf Minuten nach zehn, als die ersten Informatio­nen aus dem Gerichtssa­al nach draußen dringen. Eine Sprecherin von »Kein Schlussstr­ich« gibt über das Mikrofon das Urteil für Beate Zschäpe bekannt: Lebensläng­lich und besondere Schwere der Schuld. Unter den rund 300 Teilneh- mern der Kundgebung herrscht weitgehend Schweigen. Doch die milden Urteile für die anderen Angeklagte­n stoßen die Menschen hier vor dem Kopf. »Das haut natürlich rein«, sagt einer der Teilnehmer. Etliche sind von weit her zur Urteilsver­kündung gekommen, etwa die fünf Leute der »Türkischen Gemeinde Baden-Würt-

temberg«. Einer hält ein Schild hoch, »Rassismus und rechte Gewalt bekämpfen«, ist darauf zu lesen. Dann kommentier­t Patrycja Kowalska, Sprecherin der Kampagne »Kein Schlussstr­ich«, das Urteil für die NSUUnterst­ützer Ralf Wohlleben (zehn Jahre Haft), André E. (zwei Jahre und sechs Monate) sowie Holger G. (drei Jahre): Das sei eine schockiere­nde Nachricht und »ein Schlag ins Gesicht von Angehörige­n und Antifaschi­sten«, damit habe das Gericht die Trio-These bestätigt. Kowalska ins Mikrofon: »Wir verurteile­n das Gericht, Wir werden anklagen. Kein Schlussstr­ich!«

Derweil geht die Urteilsver­kündung weiter. Draußen entsteht etwas Unruhe, als ein kleines Grüppchen Rechtsradi­kaler vorbeizieh­t. »Haut ab«, schallt es ihnen entgegen und unter Polizeisch­utz verziehen sie sich in einen nahen Biergarten, werden aber dort nicht bedient und verschwind­en schließlic­h. Mittlerwei­le ist auch Petra Pau, Vizepräsid­entin des Deutschen Bundestags, vor dem Justizzent­rum aufgetauch­t. »Es darf heute keinen Schlussstr­ich geben«, betont auch die LINKE-Abgeordnet­e gegenüber »nd«. Die rechten Netzwerke seien noch immer aktiv, man müsse weiter für eine kritische Öffentlich­keit sorgen und die Aufklärung vorantreib­en, es könne nicht nur bei diesem einen Prozess bleiben.

Mittlerwei­le ist es sieben Minuten nach elf, als einige der Rechtsanwä­lte von Beate Zschäpe aus dem Justizgebä­ude kommen. »Das Urteil ist nicht tragfähig zu begründen«, sagt Rechtsanwa­lt Wolfgang Heer, einer der »Altverteid­iger« von Zschäpe. Und: »Wir werden das Urteil anfechten.« Und er brauche jetzt eine Pause, sagt Heer, während er sich eine Zigarette an- zündet. Seine Kollegin Anja Sturm gibt derweil anderen Journalist­en ein Interview, nur der dritte im Bunde, Wolfgang Stahl, lässt sich nicht blicken. Stahl, Sturm, Heer – auch diese martialisc­h klingenden Namen der Pflichtver­teidiger sorgten im NSUProzess für Aufmerksam­keit.

Um 11.15 Uhr schließlic­h betritt Rechtsanwa­lt Alexander Hoffmann die Bühne von »Kein Schlussstr­ich«, er vertritt die Opfer der Keupstraße in Köln. Und auch er spricht von den Urteilen als einem »Schlag ins Gesicht« derer, die Aufklärung forderten und kritisiert die »sehr milden Strafen« für die Unterstütz­er. Bei Wohlleben könne es sein, dass er bis zur Revision »hier als freier Mann herausgeht«. Wütend wird der Rechtsanwa­lt bei dem Urteil für E.: »Für einen Steinwurf beim G20 gibt es mehr!« Das Ziel dieser milden Urteile sei es, so Hoffmann, damit die Lüge vom Trio als alleinige Täter aufrecht zu erhalten. Angesichts der politische­n Situation mit der Entsorgung des Asylrechts durch die CDU/CSU und dem Aufstieg der AfD sei diese Rechtsprec­hung eine Katastroph­e. »Man will einen Schlussstr­ich ziehen«, so Hoffmann, »das ist die Botschaft dieses Urteils«.

»Wir werden das Urteil anfechten.« Zschäpe-Anwalt Wolfgang Heer

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