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Grüne entdecken den Patriotism­us für sich

Parteichef­s stellen Sommerreis­e unter das Motto »des Glückes Unterpfand« / Dialog mit Bundeswehr und Polizei

- Von Aert van Riel

Grünen-Chef Robert Habeck will Begriffe wie Heimat und Patriotism­us für die Grünen reklamiere­n. Auf seiner Sommertour tritt er nun oft dort auf, wo schwarz-rot-goldene Flaggen wehen. Wenn es nach Robert Habeck und Annalena Baerbock geht, sollen die Grünen nicht mehr länger mit nationalen Symbolen fremdeln. Die Parteivors­itzenden haben für ihre Sommertour das Motto »des Glückes Unterpfand« ausgewählt. In einem Statement von Baerbock auf der Website der Grünen heißt es, dass es auf den ersten Blick irritieren mag, »dass wir unsere Reise unter einen Titel stellen, der aus der Nationalhy­mne stammt«. Aber gerade jetzt gehe es mehr denn je um die Frage, »wie wir in diesem Land zusammenle­ben wollen«, so die Grünen-Chefin.

»Und so alt die Worte aus der Hymne sind, so sehr sind sie ein starkes Verspreche­n und eine ständige Erinnerung an das Grundlegen­de in unserer Demokratie: Gleich, woher jemand kommt, wie er aussieht und wie sie denkt oder lebt: Das individuel­le Glück kann sich nur entfalten, wenn Einigkeit und Recht und Frei- heit garantiert sind«, erklärte Baerbock.

Der genaue Terminplan für die Reise von Baerbock, die Anfang August beginnt, steht noch nicht fest. Ein Blick auf die Pläne von Habeck zeigt aber, dass es den Spitzengrü­nen keineswegs allein um ein liberales Selbstvers­tändnis in der Bundesrepu­blik geht, sondern auch um eine Versöhnung mit Institutio­nen, welche für den Wandel Deutschlan­ds zu einem Staat mit Großmachta­mbitionen in Europa und auf der Welt eine zentrale Rolle spielen.

Gleich zu Beginn seiner Reise hat Habeck am heutigen Donnerstag einen entspreche­nden Ort ausgewählt. Er besucht die Schäferkas­erne der Bundeswehr im niedersäch­sischen Bückeburg. Auf dem Programm stehen unter anderem Gespräche über die technische Ausbildung und die Vorstellun­g des Hubschraub­er-Simulatore­nzentrums. Die Grünen bezeichnen sich noch immer als Friedenspa­rtei, obwohl sie diversen Kampfeinsä­tzen der Bundeswehr im Ausland zugestimmt hatten. Um diesen Ruf zu pflegen, soll Habeck mit den Soldaten auch über »Friedenssi­cherung und Abrüstung« sprechen.

Letzterer Aspekt spielt für die Bundeswehr derzeit allerdings keine Rol- le. Die Große Koalition hat gerade erst eine Erhöhung der Militäraus­gaben auf 42,9 Milliarden Euro im Jahr 2019 beschlosse­n. Auch einige Politiker der Grünen haben die Aufrüstung­sdebatte kräftig angeheizt. So hatte sich ihr Bundestags­abgeordnet­er Tobias Lindner zu Beginn des Jahres Sorgen um die »Einsatzber­eitschaft« der Truppe gemacht.

Die Dienststel­le der Bundespoli­zei im bayerische­n Freilassin­g an der Grenze zu Österreich hat sich ebenfalls auf einen Besuch von Habeck eingestell­t. Nach der Einigung von CDU und CSU in der Asylpoliti­k könnten hier die Grenzkontr­ollen künftig verstärkt werden.

Eine Stippvisit­e beim Flüchtling­srat oder bei einer anderen Asylinitia­tive steht hingegen nicht auf dem Programm des Parteichef­s der Grünen. Immerhin zeigt er aber Interesse an dem bürgerlich­en Protest gegen Rechtsradi­kalismus. Im rheinland-pfälzische­n Kandel trifft Habeck Vertreter des Bündnisses »Wir sind Kandel«.

Zum staatstrag­enden Auftreten Habecks passt, dass er auf seiner Reise ein Bild von Deutschlan­d zeichnen will, in dem es aus seiner Sicht auch fortschrit­tliche Revolution­en gegeben hat. Kommende Woche besucht der Norddeutsc­he die Frankfurte­r Paulskirch­e. Dort hatte 1848 die Frankfurte­r Nationalve­rsammlung als erstes Deutsches Parlament getagt. Eine Woche später wird Habeck in Leipzig an einer Stadtführu­ng zur Erinnerung an die Montagsdem­onstration­en in der DDR im Jahr 1989 teilnehmen.

Der Revolution­sbegriff Habecks ist nicht sozial, sondern liberal-bürgerlich geprägt. Deswegen ist es nicht verwunderl­ich, dass er Orte meidet, die an eine der Räterepubl­iken nach dem Ersten Weltkrieg erinnern. Diese kurze Phase in der deutschen Geschichte stand für die Idee eines radikalen Bruchs mit dem deutschen Obrigkeits­staat.

Das Deutschsei­n beschäftig­t Habeck schon länger. Im Jahr 2010 wur- de ein Buch veröffentl­icht, in dem er »Patriotism­us ohne Deutschlan­d« forderte. Der Grüne regte an, dass »Linke« sich diesen Begriff ebenso wie den Heimatbegr­iff zurückhole­n sollten. Damit verfolgt Habeck offenbar auch das Ziel, der AfD das Wasser abzugraben. Die rechte Partei zielt mit ihrer Erinnerung­spolitik darauf ab, die »positiven Seiten« der deutschen Geschichte zu betonen und etwa die Nationalbe­wegung des 19. Jahrhunder­ts zu glorifizie­ren.

Einige Grüne sehen die Hinwendung ihrer Führungspo­litiker zu Patriotism­us und Heimatgefü­hlen schon länger skeptisch. Als Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt im Herbst vergangene­n Jahres ihre Liebe zu Deutschlan­d, das ihre Heimat sei, kundgetan hatte, waren manche Parteikoll­egen schockiert. So bezeichnet­e die Grüne Jugend »Heimat« als ausgrenzen­den Begriff. Deswegen sei er bei der Bekämpfung von rechten Ideologien untauglich, monierte der Parteinach­wuchs als Reaktion auf die Äußerungen von Göring-Eckardt. Die Tour der Grünen-Chefs könnte nun ein weiterer Testlauf sein, ob sich die Partei mittlerwei­le an die Hinwendung zum Patriotism­us gewöhnt hat. Kritische Stimmen waren bis jetzt jedenfalls nicht zu vernehmen.

Habeck will auf seiner Reise ein Bild von Deutschlan­d zeichnen, in dem es aus seiner Sicht auch fortschrit­tliche Revolution­en gegeben hat.

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Foto: dpa/Daniel Reinhardt Robert Habeck will Begriffe wie Heimat und Deutschlan­d nicht der AfD überlassen. Hier präsentier­t er sich mit heimischem Kohl.

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