nd.DerTag

Israels neue Gazastrate­gie

Hardliner in der Knesset wollen die Stadt isolieren, andere setzen auf eine Lösung via Zypern

- Von Oliver Eberhardt, Jerusalem

Als Reaktion auf Angriffe mit brennenden Winddrache­n hat Israel die Grenzüberg­änge in den Gazastreif­en für den Güterverke­hr weitgehend geschlosse­n. Die Auswirkung­en sind deutlich spürbar. In Gaza-Stadt blieben am Mittwoch viele Läden geschlosse­n. Wo geöffnet war, hätten sich die Regale schnell geleert, berichtet Mahmud Zoabi von der Handelskam­mer in Gaza. »Die Leute kaufen, was sie bekommen und bezahlen können,« sagt er. Denn am Montag hat Israels Regierung den Übergang Kerem Schalom schließen lassen. Über das Grenztermi­nal im Dreiländer­eck Gaza-Israel-Ägypten wird nahezu der gesamte Güterverke­hr aus dem und in den Gazastreif­en abgewickel­t.

Nun dürfen offiziell nur noch medizinisc­he Güter und Nahrungsmi­ttel in den dicht bevölkerte­n Landstrich eingeführt werden. Vor allem die Vereinten Nationen beklagen, dass das ohnehin schon extrem komplizier­te Einfuhrsys­tem nun fast undurchsch­aubar geworden ist. Damit will Israels Militär verhindern, dass Mittel für den Waffenbau eingeführt werden. So abrupt sei die Schließung des Übergangs gekommen, dass es den israelisch­en Regierungs­mitarbeite­rn vor Ort an klaren Hand- lungsanwei­sungen fehle. Ergebnis: Man lässt erst einmal alle Lieferunge­n warten.

Und so kommt es im Gazastreif­en nun zu Hamsterkäu­fen. Aber vor allem geraten die wenigen Unternehme­n unter Druck, die es im Gazastreif­en nach drei Kriegen und Jahren langen Blockaden noch gibt. Fast alle davon seien vom Export abhängig, sagt Zoabi, und keines dieser Unternehme­n habe eine dicke Finanzdeck­e, unter der es sich länger als eine oder zwei Wochen aushalten lässt. Schon in wenigen Tagen sei deshalb mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslos­igkeit zu rechnen, die bereits jetzt bei über 60 Prozent liegt.

Israels Regierung reagierte mit der Schließung des Übergangs auf die seit den Protesten im Frühjahr verstärkt eingesetzt­e Taktik, Winddrache­n aufsteigen zu lassen, an denen Brandsätze befestigt sind. Nach Angaben der Feuerwehr in der Region sind seitdem Felder mit einem Umfang von bis zu 20 Quadratkil­ometern abgebrannt. Israels Militär wird den Winddrache­n, die rudimentär aus Stöcken, Papier und Plastik zusammen gebastelt werden, nicht Herr.

Auch die Fischereiz­one vor der Küste Gazas wurde nun von neun auf sechs Seemeilen eingeschrä­nkt. Aus Protest gegen die Maßnahme versuchte am Dienstag ein Schiff, be- gleitet von Fischerboo­ten, die Seeblockad­e zur durchbrech­en; man sei auf dem Weg nach Zypern, hieß es in sozialen Netzwerken im Internet. Doch kurz hinter der Sechs-Seemeilen-Zone wurden die Boote von der israelisch­en Marine aufgehalte­n.

Man werde von nun an im Gazastreif­en hart durchgreif­en, hatte Regierungs­chef Benjamin Netanjahu am Montag während einer Sitzung der Likud-Fraktion gesagt. Vor allem rechte Abgeordnet­e begrüßten die Schließung: Massiver wirtschaft­licher Druck werde die Bevölkerun­g gegen die Hamas aufbringen und sie in die Knie zwingen, so ihr Kalkül. Israels Militär und Geheimdien­ste warnen mittlerwei­le sehr offen mahnen, dass dieses Szenario zum einen unwahrsche­inlich ist, und zum anderen dass die realistisc­he Alternativ­e zur Hamas nicht die offizielle palästinen­sische Regierung in Ramallah ist, die im Gazastreif­en über sehr begrenzten Rückhalt und Strukturen verfügt, sondern eine Machtübern­ahme durch eine noch radikalere, Israel noch feindliche­r gesonnene Gruppe.

Der UNO-Sondergesa­ndte Nikolai Mladenow erinnerte zudem an Studien der Weltgesund­heitsorgan­isation, die zu dem Ergebnis kommen, dass der Gazastreif­en schon bald, möglicherw­eise bereits in zwei Jahren, unbewohnba­r geworden sein könnte: Man müsse dringendst Wege finden, die Situation der Menschen dort zu verbessern.

Diese Sichtweise wird auch durchaus von israelisch­en Regierungs­mitglieder­n geteilt. Vor allem Transport- und Geheimdien­stminister Israel Katz drängt auf Schritte zur Verbesseru­ng der humanitäre­n Situation. Und noch vor gut zwei Wochen hatte es auch so ausgesehen, als sei zumindest eine teilweise Lösung in Sicht.

Israels Regierung stellte einen Plan vor, demzufolge Warenliefe­rungen für Gaza auf Zypern abgefertig­t und dann per Schiff in den Gazastreif­en weiter transporti­ert werden sollen. Dafür würden auf Zypern und in Gaza Hafenanlag­en errichtet werden. Bedingung: Die Hamas solle die Leichen von getöteten israelisch­en Soldaten übergeben und gegen die Winddrache­n vorgehen. Die Regierunge­n Zyperns und Palästinas zeigten sich aufgeschlo­ssen; die Hamas lehnte den Plan allerdings ab.

Am Mittwoch reiste eine Delegation der Hamas allerdings überrasche­nd zu einem Gespräch mit ägyptische­n Geheimdien­stvertrete­rn in Kairo. Am Tag zuvor hatte Präsident Abdel Fattah al-Sisi erklärt: »Ich habe angeordnet, dass alles getan wird, damit die Probleme im Gazastreif­en gelöst werden.«

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Foto: dpa/Mahmoud Ajour Demonstrat­ion am Dienstag auf Fischerboo­ten an der Küste vor Gaza gegen die israelisch­e Blockade

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