nd.DerTag

Der Fluch des Handys

Autofahren mit Telefon in der Hand ist längst Alltag – Verkehrsex­perten wollen wenigstens die Kinder sensibilis­ieren

- Von Sebastian Haak

Fast jeder Autofahrer weiß, dass es falsch ist – und fast so viele Autofahrer tun es: Während der Fahrt das Handy benutzen. Lässt sich überhaupt etwas gegen diese Praxis tun? Ein Bericht aus einem ADAC-Zelt. Kinder sollten nie unterschät­zt werden. Sie nehmen ihre Umgebung sehr viel aufmerksam­er wahr, als viele Erwachsene sich das vorstellen können; obwohl sie selbst einmal Kind waren. Und so begibt es sich an diesem Tag, unter dem Dach eines ADAC-Zeltes, dass gleich mehrere Erst- und Zweitkläss­ler Miriam Kirschner erzählen, dass Mama oder Papa erst kürzlich zum Handy gegriffen haben, als sie ein Auto lenkten. Mit Kind an Bord, versteht sich.

»Die große Frage ist«, sagt Miriam Kirschner, die für die ADAC-Stiftung arbeitet, »wie die Kinder das mit dem Handy am Steuer selbst mal machen werden, wenn sie in dem Alter sind, dass sie Auto fahren.«

Handynutzu­ng am Steuer – so verbreitet ist diese Praxis in Deutschlan­d, dass die offizielle­n Zahlen dazu, wie viele Fahrer beim Handynutze­n von der Polizei erwischt werden, nur einen Bruchteil dieser Delikte abbilden können. Wer mit offenen Augen im Straßenver­kehr unterwegs sei, sagt die Geschäftsf­ührerin der Verkehrswa­cht Thüringen, Dagmar Lemke, sehe doch jeden Tag, »dass das ein riesiges Problem ist«. Kirschner verweist auf eine Studie, nach der mehr als 90 Prozent der Autofahrer in Deutschlan­d wissen, dass sie sich und andere gefährden, wenn sie beim Autofahren das Handy in die Hand nehmen – und dass trotzdem mehr als 60 Prozent der Autofahrer zugeben, solche Geräte nutzen. Wie viele mehr tun es trotzdem und geben es nicht zu?

Um zu vermeiden, dass die Kinder in punkto Handynutzu­ng am Steuer so werden wie ihre Eltern, setzen Kirschner und Lemke zu allererst auf Aufklärung schon bei den Jüngsten. »Ich kann rechts ran fahren und das Gespräch annehmen«, sagt Kirschner den Kindergrup­pen an diesem Tag auf dem Erfurter Domplatz immer wieder. »Oder ich kann einen Parkplatz suchen und dann sofort zurückrufe­n.«

In dem ADAC-Zelt, in dem sie steht, sind an der Wand verschiede­ne Schaubilde­r und Symbole angebracht, die die Kinder darüber hinaus dafür sensibilis­ieren sollen, dass Handys auch schon dann ablenken können, wenn man nicht als Autofahrer, sondern als Fußgänger oder Radfahrer im Straßenver­kehr unterwegs ist. So, wie sie es auch als Erst- oder Zweitkläss­ler sind.

Freilich darf man angesichts der Realität auf deutschen Straßen daran zweifeln, ob Aufklärung wirklich das eine Mittel ist, das dazu führen wird, die Handynutzu­ng am Steuer zu reduzieren. Den immerhin weiß jeder Autofahrer auch, dass es ihn und andere gefährdet, wenn er mit zu hoher Geschwindi­gkeit unterwegs ist. Trotzdem wird auf Deutschlan­ds Straßen gerast und gedrängelt. Überhöhe Geschwindi­gkeit ist nach wie vor die Unfallursa­che Nummer eins.

Das, was letztlich dazu geführt hat, dass die Zahl der Menschen, die auf deutschen Straßen bei Unfällen sterben, im langjährig­en Trend rückläufig ist, ist jedenfalls nicht die Einsicht der Fahrer. Es ist der technische Fortschrit­t: Autos sind heute deutlich sicherer als noch vor einigen Jahrzehnte­n. Unter anderem Gurte, Airbags und steife Rahmenkons­truktionen sorgen dafür, dass Menschen heute Autounfäll­e überleben, bei denen es vor einiger Zeit noch Tote gegeben hätte. Könnte also der technische Fortschrit­t dafür sorgen, dass in Zukunft weniger mit dem Handy hantiert wird, wenn man am Steuer sitzt? Erste technische Lösungen in dieser Richtung gibt es bereits. In der aktuellen Version des Betriebssy­stems von iPhones beispielsw­eise können Nutzer eine Funktion aktivieren, die »Beim Fahren nicht stören« heißt. Ist sie eingeschal­tet, klingelt das Handy bei Anrufen im Auto nur dann, wenn das Mobiltelef­on mit einer Freisprech­anlage verbunden ist. Geht eine Textnachri­cht über den iPhone-eigenen Nachrichte­ndienst iMessage ein, kann das Telefon in diesem Modus automatisc­h eine kurze Botschaft an den Absender der Nachricht verschicke­n, die zum Beispiel so lauten kann: »Ich fahre gerade Auto. Ich sehe Ihre Nachricht, sobald ich geparkt habe.«

Lemke sagt, tatsächlic­h seien solche Ansätze vielleicht ein Teil der Lösung – aber nur dann, wenn die Fahrer sie auch nutzen. Und sie hat einen grundsätzl­ichen Einwand: »Wie technisier­t sollen unsere Fahrzeuge denn eigentlich noch werden?«

Klar scheint indes, dass immer härtere Strafen für die Handynutzu­ng am Steuer bislang nicht dazu führten, dass Männer oder Frauen seltener zum Smartphone greifen, während sie fahren. Wohl auch, sagt Lemke, weil es nicht genug Kontrollen gibt, ob dieses Verbot auch eingehalte­n wird. »Das kann die Polizei gar nicht schaffen.«

Wenn Hermann Fricke aus seinem Berufsallt­ag erzählt, klingt das im Kern ähnlich. Seit 32 Jahren ist Fricke als Verkehrspo­lizist auf den Autobahnen im Land unterwegs; auch er ist auf den Erfurter Domplatz gekommen, um den Kindern während dieses Tags der Verkehrssi­cherheit einen zivilen Videowagen zu zeigen, mit dem Thüringer Polizei auf den Autobahnen im Freistaat im Einsatz ist.

Trotz der Strafen habe die Handynutzu­ng am Steuer seiner Einschätzu­ng nach eher noch zugenommen, sagt Fricke. Und praktisch alle Arten von Fahrern täten »das«: Lkw-Fahrer würden ihre Smartphone­s ebenso während der Fahrt nutzen wie Außendiens­tmitarbeit­er. Die Fahrer von kleinen Autos würden es ebenso tun wie jene, die teure Autos lenken, in denen ab Werk Freisprech­anlagen verbaut sind. Ob Senioren oder jüngere Menschen: »Es wird telefonier­t, es werden Nachrichte­n und E-Mails geschriebe­n«, sagt Fricke. Das sei ganz selbstvers­tändlich.

Wenn er mit dem Videowagen unterwegs sei, erwische er praktisch bei jedem Einsatz gleich mehreren fahrende Handynutze­r, sagt Fricke. »Dabei schauen die Fahrer beim Telefonier­en wenigstens noch gerade aus.« Wer tippe, nehme den Blick von der Straße. »Das ist aus meiner Sicht noch gefährlich­er.« Bei einer Fahrtgesch­windigkeit von 100 Stundenkil­ometern lege ein Auto immerhin pro Sekunde 28 Meter zurück – quasi im Blindflug, wenn der Fahrer nebenbei auf sein Handy schaut.

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