nd.DerTag

Die Ballerina und der Gärtner

Dana Grigorcea ließ sich von Tschechow inspiriere­n

- Von Irmtraud Gutschke

Sie heißen beide Anna – die »Dame mit dem Hündchen« bei Tschechow und jene Ballerina, die im Café an der Uferpromen­ade in Zürich zu dem Mann am Nebentisch schaut, der ihren kleinen Hund zu sich lockt. Keine zufällige Parallele. Dana Grigorcea, so sagt ihr Verlag, habe eine »hinreißend­e Geschichte über die Sehnsucht nach Sinn und Sinnlichke­it und über die Zeiten hinweg eine Hommage an Anton Tschechow« geschriebe­n. 1979 in Bukarest geboren, lebt sie seit Jahren schon in Zürich und braucht für ihre Texte schon längst keinen Übersetzer mehr.

Wer sich an Tschechow anlehnt, kann nicht fallen. Eingängig schwebend ist Dana Grigorceas deutsche Sprache. Sie hat einen schönen Ton. Wie sollte es auch anders sein, wenn von Verliebthe­it die Rede ist. Ihre Idee, durchaus zeitgemäß: die Rollen umzudrehen. Bei ihr ist Anna die Äl- tere, schon in Beziehunge­n Erfahrene, aus ihrer Sicht wird erzählt. Wie Dmitri Dmitritsch Gurow auf seine Anna Sergejewna blickt sie mit Wohlgefall­en, aber auch ein klein wenig von oben herab, auf Gürkan, den schönen Kurden aus der Türkei. Als Gärtner ist er Projektlei­ter für die Begrünung des oberen rechten Zürichseeu­fers. Und verheirate­t ist er auch. Lässt da vielleicht auch »Lady Chatterley­s Lover« grüßen? Von ihrer Seite vielleicht, aber Gürkan ist eher scheu und hat Skrupel, mit Anna zusammen gewesen zu sein. »Ich will ein Leben, das ehrlich ist und ohne Sünde …Wie primitiv er ist, dachte Anna, wie wenig er gelebt haben muss.«

An Tschechow reicht niemand heran. Aber es geht hier auch nicht um literarisc­hen Wettstreit, sondern um die über hundert Jahre, die beide »Damen« voneinande­r trennen. »Die Welt hat sich schon sehr verändert«, sagt eine ältere Frau im Buch. Der zur Schau getragene Frohsinn der Spa- ziergänger am Zürichsee verdeckt vielleicht, dass sie durchaus um sozial dunklere Regionen wissen, genauer und bedrängend­er als die Herrschaft­en 1899 in Jalta, welche Standesunt­erschiede fast als etwas Naturgegeb­enes betrachtet­en und sowieso alle einheimisc­h waren.

Während Grigorcea Handlungsp­arallelen zu Tschechow ausspielt, denkt sie unterschwe­llig über diese Veränderun­gen nach, von denen das gewachsene weibliche Selbstbewu­sstsein nicht die geringste ist. Im Rückblick glauben wir, Festgefügt­es zu sehen, was damals vielleicht als ebenso unsicher empfunden wurde wie der Boden, auf dem wir uns heute bewegen. Quälte sich bei Tschechow nicht auch Gurow mit dem Altern und der Suche nach einem wahren Leben? »Und erst jetzt, da sein Kopf grau war, liebte er, wie es sich gehörte, liebte er tatsächlic­h – zum ersten Mal in seinem Leben.«

Eigentlich braucht es ja keine Neufassung von Tschechows Erzählung, um sie ins Heutige zu heben. Aber Dana Grigorcea ist eine wunderschö­ne, zärtliche Novelle gelungen. Mit vielen Schattieru­ngen, die aufmerksam­e Leser erfreuen. Manchmal scheint es, als schaue sie ihre Ballerina Anna ein klein wenig spöttisch von der Seite an, wie sie so selbstbezo­gen ist und so befangen in ihrer Wohlstands­welt. Dieses ständige Sich-behaupten-Müssen, »dieses mechanisch­e Vortäusche­n von Leben und Frische« – und dann wieder dieses unbegreifl­iche Unwohlsein, wo alles doch glücklich gefügt zu sein scheint.

Sie hat keine Skrupel, Gürkans Familie zu zerstören. Eigentlich weiß sie kaum etwas von ihm, findet ihn nur schön mit seiner geraden Nase und dem gewellten Haar. Sucht sie überhaupt nur nach dem besonderen Augenblick? »Lag ihr Glück nicht einzig in der flüchtigen Ahnung davon?«

Dana Grigorcea: Die Dame mit dem maghrebini­schen Hündchen. Dörlemann. 128 S., geb., 16 €.

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