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Große Oper à la provençale

Das bedeutends­te Musikfesti­al Frankreich­s in Aix-en-Provence begann mit einer »Ariadne auf Naxos« unter freiem Himmel

- Von Roberto Becker

Beim wichtigste­n Musikfesti­val Frankreich­s in Aix-enProvence steht ein Intendante­n-Wechsel bevor. Der 70. Jahrgang ist der letzte von zehn unter Leitung des Belgiers Bernard Foccroulle. Der hat einerseits die auf Mozart und die provencali­sche Sommeridyl­le setzende Tradition bewahrt. Er hat aber auch die internatio­nale Vernetzung, samt der offenbar unvermeidl­ichen Koprodukti­onen, ebenso wie die vor zwanzig Jahren gegründete Europäisch­e Akademie für den künstleris­chen Nachwuchs ausgebaut. Die sichtbarst­e Veränderun­g (und Bürde seiner ersten Jahre) war der Neubau des Grand Théâtre de Provence.

Dessen über 1300 Plätze stehen seit 2007 auch für Hauptprodu­ktionen des Festivals zur Verfügung. Außer »Rheingold« wurden hier alle Teile des Nibelungen-Rings von Simon Rattle und den Berliner Philharmon­iker aufgeführt. Damit war für mehrere Jahre ein ProgrammSc­hwerpunkt vorgegeben, den Foccroulle von seinem Vorgänger Stephane Lissner (und dessen Mit-Planerin Eva Wagner-Pasquier) geerbt hatte. Zum Abschluss resümierte Foccroulle, dass seine eigene Festivaldr­amaturgie (mit einer Mozartund Barock-Oper, einem weiteren Klassiker, einem weniger bekannten Stück und einer, manchmal sogar zwei Uraufführu­ngen) erst ab 2010 möglich war.

Herausrage­nde Produktion­en der vergangene­n Jahre waren etwa Dmitri Tcherniako­vs atemberaub­ende »Carmen« (2017); auch Patrice Chéreaus gleichsam testamenta­rische »Elektra« (2013) ist in bleibender Erinnerung. Immer wieder setzte die britische Regisseuri­n Katie Mitchel Maßstäbe. Ob mit dem Uraufführu­ngsglücksf­all von George Benjamins »Written on Skin« (2012), »Alcina« (2015) oder mit »Pelléas et Mélisande« (2016).

Schon wegen dieser Reihe von erstklassi­gen Inszenieru­ngen waren die Erwartunge­n an Mitchels »Ariadne auf Naxos« in diesem Jahr hoch. Und die Enttäuschu­ng war daher um so größer. Vielleicht lag es daran, dass sie nicht im Großen Haus, sondern in dem unter freiem Himmel zwar atmosphäri­schen, aber in seinen bühnentech­nischen Möglichkei­ten eingeschrä­nkten Théâtre de l’Archevêché im Innenhof des ehemaligen erzbischöf­lichen Palastes inszeniert­e. Der gutbürgerl­iche Salon, den Chloe Lamford für dieses seltsame Zwitterstü­ck des Erfolgsduo­s Richard Strauss und Hugo von Hofmannsth­al gebaut hat, kommt dem Plot, in einem noblem Wiener Privatpala­is eine Oper und ein Singspiel aufführen zu lassen, zunächst recht nahe. Hier wird wirklich im Kammerspie­lformat eine wüste Insel aus Sand in den vor unseren Augen leer geräumten Salon geharkt. Und hier laufen sich tatsächlic­h der tuntige Tanzmeiste­r samt Zerlinas Truppe und die abgehobene­n Großkünstl­er nebst Komponist und dessen Lehrer dauernd vor den Füßen herum. Das hat selbstvers­tändlichen Spielwitz. Wirkt aber im zweiten Teil, wenn wirklich Oper und Maskerade miteinande­r verschränk­t werden, einerseits seltsam schaumgebr­emst, anderersei­ts mit Einfällen überfracht­et.

Bei Mitchel und ihrem Dramaturge­n Martin Crimp kriegt man (an- ders als in der heute gebräuchli­chen Fassung) auch mal den reichsten Mann Wiens (nebst Gattin) und nicht nur deren Haushofmei­ster zu sehen (und mit Zwischenru­fen) zu hören. Dass der Komponist (wunderbar: Angela Brower) seine Oper durchdirig­iert, leuchtet ja noch ein. Wenn aber der Graf im langen roten Kleid auftritt und wenn die für die Oper schwanger ausstaffie­rte Ariadne auf dem großen Tisch im Salon bei der Ankunft des Gottes niederkomm­t, dann ist das ganz schön dick aufgetrage­n. So wie das Tischfeuer­werk zum Finale wiederum zu mickrig ausfällt.

Mark Albrecht sorgt mit dem Orchestre de Paris für einen wunderbar geschmeidi­gen Klang und liefert die Parlando-Untermalun­g ebenso maßgeschne­idert wie die großen Ausbrüche von Ariadne und Bacchus. Ariadne wird von Lise Davidsen verkörpert, eine potenziell­e Brünnhilde der Zukunft, die auch zum Klub der Ehemaligen der Akademie gehört. Bacchus wird von Eric Cutler gespielt, einem der Standfeste­n seines Fachs. Wunderbar koloraturz­art (aber darsteller­isch unterforde­rt und aufs Blinkerkle­idchen reduziert) Sabine Devieilhe als Zerbinetta. Auch sie ist eine der insgesamt neun ehemaligen Akademiste­n dieser Produktion. So schließen sich dann doch die Kreise.

Die Erwartunge­n an Katie Mitchels Inszenieru­ng waren angesichts ihrer herausrage­nden Produktion­en der vergangene­n Jahr hoch – die Enttäuschu­ng war daher umso größer.

Nächste Aufführung­en: 14., 16. Juli. www.festival-aix.com

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Foto: ArtComPres­s/Pascal Victor Singspiel im gutbürgerl­ichen Salon

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