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Mehr Puffen als Knallen

»LOMO: The Language of Many Others« ist weder abenteuerl­iche Irrfahrt noch Beziehungs­drama

- Von Felix Bartels

Es habe sie gereizt, sagt Julia Langhof, Homers »Odyssee« in die Gegenwart zu übersetzen. Wenn das der ihrem Film zugrunde liegende Einfall war, ist nicht viel davon geblieben. Die Handlung trägt sich im gehobenen Berliner Milieu zu, Lichterfel­de-West oder so. Arbeiterkl­asse findet nicht statt, und folglich sind die Erwerbssor­gen von der Art, dass einer womöglich noch sein Haus verkaufen und zur Miete wohnen muss. Das in der Tat ist, worum Karls Vater sich sorgt, und Karl ist die Hauptfigur dieser Geschichte.

Irgendwie bekommt man mit, dass er neben Schule und debilem Dösen noch ein Blog betreibt und ein paar Follower hat. Was genau da passiert, erfährt man nicht. Karl weiß nicht, was er will, im Gegensatz zu seiner Zwillingss­chwester Anna (irgendwas mit Wirtschaft). Die Handlung kommt in Gang, als Karl mit Doro schläft, aber bald von ihr abgewiesen wird. Er beschließt, sich dem Willen seiner Follower auszusetze­n, die ihn via Headset steuern. Am Ende pufft das alles mehr, als es knallt.

Wie auch ihrer Hauptfigur fehlt dieser Geschichte ein Ziel. Rasch gesponnene Fäden verlieren sich ebenso rasch wieder. Konträr dazu ist das Setting überkonstr­uiert: Doros Mama ist die Vorgesetzt­e von Karls Papa, Doros Papa hat ein Verhältnis mit der Freundin von Karls Mama, Karls Schwester ist mit Karls bestem Freund zusammen, die Schule scheint bloß einen Lehrer zu haben. Verschränk­ungen schaffen Dynamik, nur die hier wären selbst für eine Kleinstadt unglaubwür­dig. Und wir sind in Berlin, und das Thema sei die von den Weiten des Internets geprägte Welt. Selbst das wirkt bloß wie ein Dorf, womit ihm genommen ist, was seine eigentümli­che Wirkung ausmacht. Im Kern scheint es um Überforder­ung zu gehen: Abgabe von Kontrolle als Befreiung, da das Überangebo­t der vernetzten Wirklichke­it permanent zu Entscheidu­ngen zwingt. Als Karl endlich einmal weiß, was er will, erfährt er eine Niederlage und zieht sich vollends zurück.

Auch die Figurenbez­iehungen bleiben mäßig entwickelt. Die Beziehung von Karl und seiner Schwester etwa (die eifersücht­ig auf Doro zu sein scheint) hat eine erotische Komponente, bei der es darum geht, wer von beiden wen kontrollie­rt. Auserzählt wird das nicht. Das grundlegen­de Problem des Coming-of-AgeGenres lautet: Wie schaffe ich Interesse an einer Hauptfigur, die zu jung ist, um wirklich interessan­t sein zu können? Es gibt Lösungen. Man kann sie witzig machen, charmant, hochbegabt oder ihr ein Leiden verpassen. Karl führt sich einfach auf wie ein Arschloch, und seine Verschloss­enheit ist schnell als Wichtigtue­rei kenntlich, hinter der nichts steckt.

Solche Unzulängli­chkeiten konstituie­ren den gesamten Film. Am Ende ist er weder ein Beziehungs­drama heitlich demokratis­chen Grundordnu­ng«, auch ganz ohne Diktatur. All das hätte erzählt werden können, doch man sieht nicht mehr als einen durchschni­ttlichen Jungen, dessen Verwerfung­en nicht tief genug sind.

Daher auch greift das Thema nicht. Zu Odysseus gehört Gezwungens­ein. Er handelt, weil er muss. Karl handelt nicht, weil er gar nichts muss. Sein Ausgeliefe­rtsein hat er selbst arrangiert. Die Fallhöhe von Homer ist enorm, aus den Irrfahrten wurden irre Fahrten.

»LOMO: The Language of Many Others«, Deutschlan­d 2017. Regie: Julia Langhof. Drehbuch: Julia Langhof, Thomas Gerhold; Darsteller: Jonas Dassler, Lucie Hollmann, Eva Nürnberg. 101 Min.

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Foto: Flare Film GmbH Michal Grabowski Führt sich auf wie ein Arschloch: Karl

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