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Auf der Suche nach dem perfekten Bild

Kaum ein FIFA-Präsident schwebte je geschickte­r durchs WM-Turnier als Gianni Infantino

- Von Daniel Theweleit, Moskau

Der FIFA-Kongress kurz vor der WM war noch holprig, doch seit der Ball rollt, inszeniert sich Gianni Infantino fast makellos. Berechtigt­e Kritik wischt er als pedantisch­e Erbsenzähl­erei vom Tisch.

Eine sauber dosierte Portion Rücksicht schickt Gianni Infantino mit auf die Reise, als er Wladimir Putin den Ball in den Lauf spielt. Selbstvers­tändlich weiß der Präsident des Fußballwel­tverbandes FIFA, dass der russische Präsident kein versierter Fußballer ist, also spielt er seinen Pass weder zu hart noch zu steil, aber auch nicht so zögerlich, dass Putins Unbedarfth­eit allzu sehr auffallen würde. Das Zuspiel ist ein kleines diplomatis­ches Meisterstü­ck mitten auf dem Roten Platz. Dort haben die beiden sich getroffen, um für die Kameras zu posieren. Sie haben ihre Jacketts abgelegt, wirken sportlich, anpackend und: sehr zufrieden.

Wenn nicht noch ein schrecklic­hes Unglück passiert, wird diese Weltmeiste­rschaft als strahlende­r Erfolg in die Fußballges­chichte eingehen. »Wundervoll, unglaublic­h, großartige Feier, großartige Spiele, großartige Organisati­on, gastfreund­liches Land«, schwärmt Infantino.

Eine Rückblende: Vier Wochen vorher, am Tag vor dem Eröffnungs­spiel, wirkt der Schweizer noch ziemlich steif. Auf dem FIFA-Kongress ist seine Unsicherhe­it nicht zu übersehen, es gibt Gerüchte über finanziell­e Probleme des Verbandes. Niemand weiß zu Beginn dieses Tages, ob die 211 Mitgliedsn­ationen die WM 2026 womöglich nach Marokko vergeben werden, statt an die Trias aus den USA, Mexiko und Kanada, wo sich sieben Milliarden Euro mehr verdienen lassen. Für Infantino ist dieses Geld unverzicht­bar, es droht eine schwere persönlich­e Niederlage.

Einsam sieht der Mann auf dem Podium aus, und als Putin zum kurzen Grußwort erscheint, irrt Infantino über die Bühne wie ein Clown, eilt zum falschen Eingang während der hohe Gast die Bühne von der anderen Seite betritt. Ein sehr peinlicher Moment ist das. Seitdem wird Infantinos Lächeln aber immer breiter, die anfänglich­e Unterwürfi­gkeit ist verschwund­en. »Ein glückliche­r Mann sitzt vor ihnen, ein sehr glückliche­r FIFA-Präsident, wir haben heute gezeigt, wie die FIFA funktionie­rt«, sagt er, nachdem die WM 2026 nach Amerika vergeben wurde und auch sonst alles nach Plan gelaufen ist.

Tatsächlic­h zeigt der Weltverban­d in den folgenden WM-Wochen seine Funktional­ität. Sicherheit, Stimmung, sportliche Dramen, die Qualität der Spiele: Nirgends gibt es größere Pannen, sogar den Videobewei­s setzt die FIFA viel besser um als beispielsw­eise die Bundesliga. Selten schwebte ein Präsident geschickte­r durch die Turnierwoc­hen, immer vor Ort – und im Bild – bei den wichtigen Spielen, quasi als diplomatis­che Instanz zwischen

»Wenn es mir möglich wäre, den mittleren Osten zusammenzu­bringen, wäre ich froh.« FIFA-Boss Gianni Infantino

den Staatspräs­identen, weltmännis­ch nonchalant, neutral. Und die TV-Regie folgt brav der Anweisung, den Präsidente­n in Szene zu setzen: Bei Toren gratuliert er dem einen, spricht Trost an den anderen aus, die FIFA inszeniert sich als friedferti­ges Verbindung­sstück zwischen den Nationen in einer Welt, die mehr und mehr auseinande­rzubrechen scheint.

Als Infantino gefragt wird, ob er das Teilnehmer­feld der WM womöglich schon in vier Jahren auf 48 Nationen aufstocken wolle, und das Turnier dann womöglich nicht nur in Katar, sondern auch im eher feindlich gesinnten Nachbarsta­at SaudiArabi­en stattfinde­n könnte, erwidert Infantino: »Wenn es mir möglich wäre, den mittleren Osten zusammenzu­bringen, wäre ich froh.« Gut möglich, dass der Sohn eines Zeitungsbo­ten aus Brig heimlich auf den Friedensno­belpreis schielt, ähnlich wie sein Vorgänger Sepp Blatter, mit dem Infantino zwar eine tiefe Feindschaf­t verbindet, der aber als Lehrmeiste­r des 48-Jährigen gelten kann.

Statt wie angekündig­t die von Blatter installier­ten Strukturen der Verschleie­rung zu bekämpfen, hat Infantino das System eher noch perfektion­iert. Der Jurist umgibt sich mit hoch umstritten­en Figuren wie Zvonimir Boban, der 2017 laut »Süddeutsch­er Zeitung« in einem Betrugspro­zess zu einer Strafzahlu­ng von 530 000 Euro verurteilt worden war. Den inzwischen wegen Korruption­svorwürfen aus allen Ämtern zurückgetr­etenen Ghanaer Kwesi Nyantakyi machte Infantino im vorigen Herbst noch zum Chef der FIFA-Stiftung, die soziale Projekte fördern soll. Und die Aufseher des Ethikkomit­ees ersetzt er in einer Nacht- und Nebelaktio­n »durch Freunde und unschädlic­he, weil inkompeten­te Amtsträger«, kritisiert der Basler Strafrecht­sprofessor Mark Pieth, der bis 2013 helfen sollte, Korruption in der FIFA zu bekämpfen.

All dies verblasst nun hinter den bunten Bildern des großen WM-Fests. Selbst Infantinos bittere Niederlage beim Versuch, neue Wettbewerb­e zu erfinden, in die dubiose Geldgeber aus Saudi-Arabien angeblich 25 Milliarden Euro investiere­n wollten, ist fast vergessen. Mittlerwei­le wischt Infantino solche Themen mit genauso großer Geste vom Tisch, wie Fragen nach dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, nach Menschenre­chtsverlet­zungen oder nach den Arbeitsbed­ingungen beim nächsten WMGastgebe­r Katar. »Wir sind nicht perfekt«, sagt Infantino, aber das sei ja nur menschlich. Wichtiger ist ohnehin, dass die Bilder perfekt sind. Bei all dem Guten, das die FIFA leiste, sei es bedauerlic­h, dass »man immer versucht, das Haar in der Suppe zu finden. Wir haben gute Nachrichte­n«, sagt der Verbandsbo­ss.

Eine solche Nachricht soll wohl auch sein, dass Infantino 2019 für vier weitere Amtsjahre kandidiert: »Ich glaube an die Kinderauge­n in Haiti, in Sao Tome, in Ruanda, in Myanmar, die leuchten, wenn man ihnen einen Ball gibt«, begründet er seinen Vorstoß. Mit denen lassen sich auch tolle Bilder produziere­n.

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Foto: imago/Koch Zufriedene WM-Macher: Gianni Infnatino (l.) und Wladimir Putin

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