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Streckenpl­anung 2.0

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Die 5. Etappe der Tour de France stieß das Tor weit auf ins digitale Radsportze­italter. Thierry Gouvenou ist Streckenpl­aner beim Rundfahrto­rganisator ASO und hat den 204 Kilometer langen Kurs durch die Hügellands­chaft des Départemen­t Finistère vor allem dank Strava entwickelt. Strava ist quasi das Facebook der Ausdauerat­hleten, Amateurspo­rtler wie Profis, Läufer wie Radfahrer. Die App zeichnet zurückgele­gte Distanzen und die dabei beanspruch­te Zeit auf. Und Gouvenou orientiert­e sich bei der Etappenpla­nung auch an Aktivitäte­n auf Strava.

Viel befahrene Hügel weckten sein Interesse. »Ich kannte die Gegend nicht so gut. Natürlich mag ich es, eine Strecke real vor Ort zu planen. Aber die App half mir, interessan­te Anstiege zu finden«, erzählte Gouvenou, selbst ehemaliger Radprofi, am Rande der Tour. Er folgte dabei den Trainingsr­outen bretonisch­er Radprofis, unter ihnen der Kletterer Warren Barguil.

»Unsere Aufgabe war es, trotz des hauptsächl­ich flachen Terrains nicht drei Massenspri­ntetappen nacheinand­er zu haben. Das langweilt das Publikum«, weiß Gouvenou. Vor allem die immer gleichen Rennmuster: Eine Fluchtgrup­pe bildet sich früh, wird dann stundenlan­g kontrollie­rt und auf den letzten zehn Kilometern eingeholt, damit der Massenspri­nt beginnen kann. »Also mussten wir Schwierigk­eiten einbauen. Ich bin dann natürlich auch vor Ort gewesen. Aber die Recherche vorher half mir, interessan­te Kombinatio­nen von Hügeln herauszufi­nden«, sagte der Chefplaner. Zwölf Anstiege, nicht alle als Bergwertun­g klassiert, baute er in die letzten 100 Tageskilom­eter ein. »Manche davon sind 15 Prozent steil. Insgesamt haben wir 2600 Höhenmeter. Das ist keine Etappe für André Greipel, Marcel Kittel oder Mark Cavendish. Man wird sie nicht vorn sehen«, prognostiz­ierte er – und wirkte dabei ziemlich glücklich.

Die Tour de France braucht zwar solche Sprinterpe­rsönlichke­iten. Sie ziehen Aufmerksam­keit auf sich, bringen Renommee und sind die Komplement­ärstars zu den großen Rundfahrer­n, die sich vor den Bergetappe­n häufig nur im Feld verstecken. Zu oft hintereina­nder sollen die Sprinter aber auch nicht gewinnen. Also gibt es Kurven, Hügel, und möglichst viele Seitenwind­passagen, um das Fahrerfeld vor dem Finale auseinande­rzureißen.

Gouvenou ist übrigens selbst auf Strava aktiv. Sein Monatspens­um sind etwa 300 Kilometer, mit Spitzen von 1100 Kilometern ausgerechn­et im Nach-Tour-Monat August und tiefen Tälern von weniger als 200 im Juli, wenn die Rundfahrt läuft und er keine Zeit zum Selbstfahr­en hat. In diesem Monat haben die Tracker für ihn noch keinen einzigen Kilometer auf dem Rad erfasst.

Profis haben da ganz andere Werte. Für Greipel stehen pro Woche etwa 800 Kilometer zu Buche. Und in einem Jahr kommt er auf respektabl­e 15 000. Während für den Rostocker ein sehr umfangreic­hes Renn- und Trainingsp­rogramm auf Strava vor- liegt, vermisst man das bei Titelverte­idiger Chris Froome. Für den Mai, als er den Giro gewann, und den Juni, als er sich auf die Tour vorbereite­te, tauchen nur sehr sporadisch­e Daten auf. Der beste Rundfahrer der Gegenwart bleibt eben ein kleiner Geheimnisk­rämer, auch im Facebook der Radsportle­r.

Für die sechste Etappe hinauf zur Mûr-de-Bretagne brauchte Streckenpl­aner Gouvenou die digitale Hilfe allerdings nicht. Um den Kurs schwerer zu machen, führt er die Fahrer einfach zwei mal hintereina­nder über die steile Abschlussr­ampe. »Das ist logistisch etwas aufwendige­r. Vor allem der Zugang fürs Publikum ist durch die Schleife etwas erschwert. Aber es eröffnet völlig neue Rennszenar­ien. Ausreißer können auf dem Gipfel der ersten Durchfahrt ihre Attacken starten. Nicht alle Helfer der Klassement­fahrer werden noch um ihre Kapitäne versammelt sein. Es wird spannend«, hofft der Chefdesign­er.

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Foto: nd/Jirka Grahl Tom Mustroph, Radsportau­tor und Dopingexpe­rte, berichtet zum 17. Mal für »nd« von der Tour de France.

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