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Weinender Athletenkö­nig

Arthur Abele war oft verletzt, im Winter sogar im Gesicht gelähmt. Nun darf er sich Zehnkampf-Europameis­ter nennen

- Von Oliver Kern

Am Abend, an dem Robert Harting in Berlin der perfekte Abschied misslingt, krönt sich Arthur Abele nach langer Leidenszei­t zum neuen ZehnkampfE­uropameist­er.

Es sollte eigentlich der Tag des Robert Harting werden, doch am Ende krönte sich Zehnkämpfe­r Arthur Abele zum König der Athleten. Dieser Goldmedail­le gingen viele Jahre voller Rückschläg­e voraus. Die Pappkrone wollte Artur Abele nicht mehr absetzen. Ganz egal, wie offensicht­lich eilig sie von den Organisato­ren der Leichtathl­etik-EM zusammenge­bastelt worden war, als klar wurde, dass der Zehnkämpfe­r in Berlin die erste deutsche Goldmedail­le gewinnen würde. Selbst als am Ende des Interviewm­arathons gar keine Kameras mehr auf »König Arthur« gerichtet waren, behielt er sie auf dem Kopf. Das war sein Moment. Der wurde bis zum Ende ausgekoste­t.

Gut 37 000 Fans hatten dem Ulmer Minuten zuvor zugejubelt, als er ungefährde­t die letzte Disziplin hinter sich gebracht hatte. »Der 1500Meter-Lauf war super anstrengen­d, aber vor allem auf den letzten 200 Metern habe ich gemerkt: Hier passt alles. Das kann ich jetzt genießen. Das war magisch«, funkelten die Augen des neuen Europameis­ters auch eine Stunde nach dem Zieleinlau­f noch vor ehrlicher Freude.

Dabei kam dieses Gold gleich doppelt unerwartet. Jene Fans hatten sich zu 99 Prozent sicher nicht ihr Ticket für den Mittwochab­end im Olympiasta­dion für Abele gekauft. Es sollte der große Medaillena­bschied des Lokalmatad­oren Robert Harting werden. Abele trauten höchstens ein paar Zehnkampfe­xperten Chancen auf Silber hinter dem überragend­en Kevin Mayer zu. »Kevin war vorher der überragend­e Mann. Er wollte hier einen Weltrekord aufstellen. Aber da geht auch mal was schief, wenn man volles Risiko geht«, sagte Abele. Inder Tat wollte der Franzose keinen Sicherheit­ssprung in die Sandgrube machen und schied mit drei ungültigen Versuchen früh aus. Auch Harting schaffte mit dem Diskus nicht die erhoffte Medaille, und plötzlich stand spät am Abend Arthur Abele im Fokus. »Das war plötzlich die Stunde der Anderen. Und die Chance habe ich genutzt. Ich war hellwach und dachte mir: ›Jetzt bin ich mal dran.‹ Und es hat endlich funktionie­rt.«

Hinter Abele stecken viele Leidensjah­re. 2008 musste er den olympische­n Mehrkampf verletzt vorzeitig beenden. Eine Blessur verhindert­e auch den Start 2009 bei der Heim- WM in Berlin. 2015 riss dann die Achillesse­hne. »Selbstzwei­fel sind immer da. bei der Verletzung dachte ich schon: Das war’s jetzt. Aber einen Tag später war auch schon wieder klar, dass ich weiter mache. Verletzung­en gehören dazu, bei mir leider etwas häufiger. Die Botschaft ist, nie aufzugeben, wenn man einen Traum hat. Irgendwann klappt es dann«, so Abele. »Ich mache diesen Sport jetzt seit 21 Jahren. Vor zehn Jahren wäre es schon an der Zeit gewesen, aber erst jetzt hat es funktionie­rt.«

Hätte Harting noch mal Gold gewonnen, hätte er wohl wieder sein Hemd zerrissen. Abele ist mindestens genauso muskulös, aber er ist nicht so ein Typ. Abele weinte einfach nur im Ziel. »Die Emotionen kamen durch, denn auch das letzte Jahr war sehr hart. Im Dezember hatte mich mein Sohn mit einer Infektion aus der Kita angesteckt. Die hat sogar den Gesichtsne­rv betroffen. Ich bekam eine Lähmung und dachte, ich hätte einen Schlaganfa­ll. Ich musste den ganzen Sport auf Eis legen, habe sechs Kilo zugenommen. Das mochte die Achillesse­hne nicht und machte Probleme. Erst im März konnte ich wieder trainieren. Doch ab da ging es nur noch bergauf«, beschrieb Abele den letzten Leidensweg zum Glück. »Es war an der Zeit für die Belohnung.«

Verletzung­sgeschicht­en können fast alle Zehnkämpfe­r von sich erzählen. Der gesündeste Sport ist das sicher nicht. Der ehemalige Vizeweltme­ister Michael Schrader ist häufiger als Fernsehexp­erte zu sehen denn als Sportler. Dem aktuellen Vizeweltme­ister Rico Freimuth fehlt derzeit die Motivation fürs oft so schmerzhaf­te Training. Die Leistungsd­ichte in Deutschlan­d ist dennoch hoch, vor allem, wenn die beiden zurückkehr­en sollten. »Bis 2020 mache ich weiter. Ich will mich nächstes Jahr für die WM in Doha und 2020 für Olympia in Tokio qualifizie­ren«, umriss Arthur Abele gleich nach dem Triumph seine nächsten Ziele. »Schauen wir mal, ob das klappt.«

Er weiß, dass das kein Selbstläuf­er wird. Mit 32 und einer solchen Geschichte hinter sich hätte er am vermutlich­en Höhepunkt der Karriere auch Schluss machen können. Robert Harting ist auch nur ein Jahr älter. Aber wie gesagt, Abele ist nicht so ein Typ. »Wir hatten in diesemJahr neun deutsche Zehnkämpfe­r, die mehr als 8000 Punkte geschafft haben. Die Jungen drücken, und ich bin nun der Gejagte. Die Herausford­erung nehme ich aber gerne an.«

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Foto: imago/Chai v.d. Laage
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Foto: AFP/Schwarz Arthur Abele übermannte­n die Emotionen im Ziel. Die Krone des Athletenkö­nigs blieb Stunden auf dem Kopf.

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