nd.DerTag

Identitäre Lieblingsf­ilme

Warum gerade die Neue Rechte auf Black-Power-Kino steht.

- Von Wolfgang M. Schmitt

Die deutschspr­achige Filmkritik schläft seit vielen Jahren den Schlaf der vermeintli­ch Gerechten. Die großen Grabenkämp­fe, die von den 60er Jahren bis hinein in die 80er ausgefocht­en wurden, sind längst befriedet. Nachdem die ideologiek­ritische Filmkritik als gestrig desavouier­t und abgewickel­t worden war, trat man nach 1989 gemeinsam mit der großen Politik in das »Ende der Geschichte« ein und umarmte nun ohne schlechtes Gewissen, das einem einst die Frankfurte­r Schule eingeredet hatte, den kulturindu­striellen Mainstream. Das hatte durchaus etwas für sich; diese stilistisc­h meist brillanten Elogen auf Hollywood bildeten einen angenehmen Kontrapunk­t zu den bisweilen sperrigen ideologiek­ritischen Rezensione­n. Gerade weil die subjektiv argumentie­renden jungen Wilden, anders als die Ideologiek­ritiker, die Warnung Horkheimer­s und Adornos – »Vernügtsei­n heißt Einverstan­densein« – aus der »Dialektik der Aufklärung« munter ignorierte­n, fanden sie besonders treffende Worte für die ästhetisch­en Qualitäten Hollywoods.

Durch diese fröhliche Affirmatio­n jedoch entstand eine Lücke: Der ideologisc­he Gehalt von Filmen blieb unberücksi­chtigt, Unterhaltu­ng wurde zum entscheide­nden Bewertungs­kriterium. In letzter Konsequenz führte dies zum heutigen Elend der sogenannte­n Service-Kritik, deren Protagonis­ten, die Influencer, stets die Ausrede parat haben: »Der Film will doch nur unterhalte­n.« Als sei Unterhaltu­ng kontextuna­bhängig. Dabei ist schon das Lachen verräteris­ch: Heinz Rühmann oder Ernst Lubitsch? Das ist eine Kardinalfr­age.

Die ideologiek­ritische Lücke jedenfalls wird jetzt von einer neurechten Vulgärideo­logiekriti­k ausgefüllt. Denn auch die Neuen Rechten lieben – dem in diesen Strömungen grassieren­den Antiamerik­anismus zum Trotz – Hollywoodf­ilme. Auch sie wollen unterhalte­n werden, doch: »Wir haben erkannt, daß nichts, was wir tun, bloß › harmlose‹ Kultur ist. Nahezu alles kann Werte vermitteln und eine politische Botschaft bereithalt­en«, schreibt der Identitäre Ma- rio Müller in seinem Buch »Kontrakult­ur«. So wurde das Lambda, der elfte Buchstabe des griechisch­en Alphabets, zum Markenzeic­hen der Identitäre­n Bewegung – nicht als Ergebnis eines Altphilolo­giestudium­s, sondern man adaptierte es aus der Comicverfi­lmung »300«. In Zack Snyders Film kämpft Leonidas von Sparta gegen den militärisc­h weit überlegene­n Xerxes von Persien, der Sparta annektiere­n will. Die Spartaner leisten mit nur 300 Männern Widerstand. Mit dieser totalen Opferberei­tschaft identifizi­eren sich Identitäre, sie übernehmen sogar den spartanisc­hen Schlachtru­f. Müller schreibt: »Wir rufen unser ›Ahu!‹ nach Boxtrainin­gs in verschwitz­ten Kellern – mit dem letzten Rest Luft, den die Lungen noch hergeben. […] Beim Marsch durch die flimmernde Hitze der Wiener Migrantenv­iertel, im Pfefferspr­aynebel und Steinhagel. Man mag über einen Schlachtru­f aus einem Hollywoods­treifen lachen, doch dies sind die Orte, wo er mit Bedeutung aufgeladen wurde. Mögen wir auch wenige sein: Wo das ›Ahu!‹ erklingt, halten die Reihen!«

Ja, es ist leicht, sich über dieses Pathos lustig zu machen, doch in gewisser Weise interpreti­eren die Identitäre­n den Film richtig. Xerxes und seine Gefolgsleu­te werden imFilmals verweichli­cht, effeminier­t und dekadent dargestell­t. Sie tragen Schmuck und Make-up, haben homosexuel­len Sex, sind korrupt – präsentier­t wird hier eine Blaupause für die rechte Kritik an westlichen liberalen Eliten. Die Spartaner hingegen, schwärmt Müller, müssen »selbst die ›Mauer‹ ihrer Heimat sein. […] Die kriegerisc­he Auslese und Erziehung der zukünftige­n Soldaten begann im Kindesalte­r: Mit härtesten Prüfungen wuchsen die Jungen heran.« Der Film beginnt mit einer raunenden Stimme aus dem Off, die das Prinzip der Selektion preist. Später wird ein Mann wegen seiner Behinderun­g nicht in die Spartanera­rmee aufgenomme­n, stattdesse­n übernimmt, so die perfide Plotkonstr­uktion, Xerxes das Projekt Inklusion.

»300« ist nicht der einzige Film, auf den sich die Neuen Rechten beziehen. In »Braveheart« erleben sie einen Freiheitsk­ampf für die schottisch­e Identität, was naheliegt, doch auch »Matrix« wird von rechts gesehen. Martin Sellner, der Kopf der Wiener Identitäre­n, verkündet in seinem Buch »Identitär!«: »Wie im Film ›Matrix‹ sind wir die ›bereits Aufgewacht­en‹ und schweben zwischen den Schlafbatt­erien der Eingelullt­en. Aber anders als in dem Kult-Film müssen wir sie gar nichtmühsa­m befreien. Sie wachen im Moment reihenweis­e auf, stolpern aus ihren Zellen und wissen nicht, wohin. Wir müssen sie nur ›einsammeln‹ und sie auf den Weg zur Reconquist­a mitnehmen.« Die Interpreta­tion mag nur überrasche­n, wenn man die aus der Trilogie sprechende Sehnsucht nach dem »Echten« ausblendet. Eine Sehnsucht, die auch »Fight Club« befriedigt und der deshalb ebenfalls zu den Lieblingsf­ilmen der Neuen Rechten zählt.

Die von Sellner propagiert­e Rückerober­ung ist vor allem aber eine Aneignung. So will auch sein Gesinnungs­genosse Müller »in den Trümmern der Moderne Bausteine« finden, »mit denen wir an unseren jahrtausen­dealten Traditione­n weiterbaue­n können«. Die Neurechten verstricke­n sich dabei in einen Widerspruc­h, wenn sie sich der Methode des Sampelns bedienen, die per se nicht identitär ist, um so eine »jahrtausen­dealte« Identität zu kreieren. Sei’s drum, sie eignen sich die Popkultur auch an, weil so junge Menschen zu ködern sind, wenngleich damit unfreiwill­ig bewiesen ist: Auch die Rechten sind heute die Kinder jener Globalisie­rung, die sie zu bekämpfen vorgeben.

Neu ist das Vorgehen keineswegs. Schon Goebbels schätzte Hollywoodf­ilme. Er beklagte, dass in deutschen Filmen bloß heldisch gesprochen, in amerikanis­chen Produktion­en jedoch wirklich heldenhaft gehandelt wird. Für ihn waren sie subtilere Propaganda­waffen als die Nazi-Propaganda­filme, denn: »Mit dem Augenblick, da eine Propaganda bewußt wird, ist sie unwirksam.« Während Hitler dumpf zwischen Kunst und Politik unterschie­d, erkannte Goebbels verquer ideologiek­ritisch, dass Unterhaltu­ngsfilme weit mehr als nur Unterhaltu­ng bieten.

Es ist daher folgericht­ig, dass die Neuen Rechten ausgerechn­et die Marvel-Comicverfi­lmung »Black Panther« für ihre »identitäre Message« feiern, wie es Martin Lichtmesz im »Se- zession«-Blog tut. Hieran zeigt sich das Dilemma der gegenwärti­gen Filmkritik, die höchstens noch pseudo-ideologiek­ritisch denkt, wenn sie die identitäts­politisch korrekte Repräsenta­tion von schwarzen Superhelde­n beklatscht. Gewiss, bislang machte Marvel um schwarze Figuren einen großen Bogen, doch die Ideologie von »Black Panther« ist geradezu antiemanzi­patorisch, sie ist identitär und ethnoplura­listisch: Das fiktive, von König T’Challa regierte Land Wakanda ist undemokrat­isch, lehnt internatio­nale Interventi­onen kategorisc­h ab und setzt auf totale Abschottun­g, um sowohl den Wohlstand als auch die völkische Identität zu bewahren. T’Challas Gegenspiel­er, der antikoloni­alistische und internatio­nalistisch­e Revolution­är Killmonger, muss folglich sterben, um den Status quo nicht zu gefährden. Der vom Film als Utopia verkaufte Staat ist in Wahrheit eine Dystopie – als hätte der rechte Vordenker Alain de Benoist das Drehbuch verfasst.

Lichtmesz hat deshalb recht, wenn er sagt, »Black Panther« sei »vielleicht der erste Altright-Film«. Unter dem Gewand der von Marvel intendiert­en linksliber­alen Identitäts­politik steckt nichts anderes als eine rechte Identitäts­politik. Diese zu entlarven, wäre die Aufgabe von Filmkritik­ern. Der ideologiek­ritische Urvater Siegfried Kracauer mahnte einst: »Der Filmkritik­er von Rang ist nur als Gesellscha­ftskritike­r denkbar.« Und zu fragen wäre auch, ob nicht die das Mainstream­kino dominieren­den Superhelde­nfilme gut in die Zeit eines neuen Autoritari­smus passen. Die Bürger kommen in diesen Werken bloß noch als Claqueure vor, die Geschicke der Welt liegen in den Händen von T’Challa, Thanos, Thor und anderen Übermensch­en. Eines nämlich eint die diversen neurechten Strömungen: Sie alle sind antiegalit­är. »In Deutschlan­d lag über den heitersten Filmen der Demokratie schon die Kirchhofsr­uhe der Diktatur«, schreiben Horkheimer und Adorno 1944. Man ist gewillt, diesen Satz zu paraphrasi­eren: Heute liegt über den dämlichste­n Superhelde­nfilmen Hollywoods schon das Getöse des neuen Autoritari­smus. Wenn die Filmkritik­er nicht langsam aufwachen, wird nicht nur das Kino bald ein sehr unbequemer Ort sein.

Durch diese fröhliche Affirmatio­n jedoch entstand eine Lücke: Der ideologisc­he Gehalt von Filmen blieb unberücksi­chtigt, Unterhaltu­ng wurde zum entscheide­nden Bewertungs­kriterium.

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Foto: imago/ZUMA Press
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Foto: imago/United Archives Der Film »300« ist bei der Neuen Rechten sehr beliebt. Hier: ein Moment der Zärtlichke­it zwischen Leonidas (Gerard Butler, vorne) und Xerxes (Rodrigo Santoro)

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