Kindergeld schafft böses Blut
Wachsende Geldzahlungen an Kinder im Ausland schüren Vorwurf des Sozialmissbrauchs
Kommunen beklagen, dass sie immer mehr Kindergeld an Empfänger im EU-Ausland überweisen müssen. Von Sozialbetrug ist die Rede. Und von Einwanderung in die Sozialsysteme. Deutschland zahlt Kindergeld an hier beschäftigte Arbeitnehmer, auch wenn ihre Kinder im Ausland leben. Dies ist geltendes EURecht, nicht nur in Deutschland. Die Summen steigen beträchtlich – so deutlich, dass die zur Zahlung verpflichteten Kommunen nun bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr Alarm schlagen. Im ersten Halbjahr stieg die Zahl der Empfänger um zehn Prozent. »Im Juni 2018 wurde für 268 336 Kinder, die außerhalb von Deutschland in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum leben, Kindergeld gezahlt«, sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums auf Anfrage der Deutschen PresseAgentur. Im vergangenen Jahr war Kindergeld in Höhe von 343 Millionen Euro für Kinder gezahlt worden, die im Ausland leben – eine Summe, die ihrerseits fast zehnmal so hoch war wie 2010.
Einige Kommunalpolitiker scheuen sich nicht, den Verdacht eines flächendeckenden Sozialbetrugs zu schüren. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, klagte gegenüber der »Rheinischen Post«, es sei »gut vorstellbar«, dass EU-Bürger nach Deutschland kämen, um einen Anspruch auf Kindergeld zu erwerben, auch wenn sie keine großen Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten. In Bulgarien betrage das monatliche Kindergeld 18 Euro, in Rumänien zehn Euro. Da seien die in Deutschland gezahlten Summen ein Vermögen. »Wir müssen das Kindergeld für im Ausland lebende Kinder unbedingt an deren Lebenshaltungskosten vor Ort an- passen.« Und mit dem Vorwurf, die Bundesregierung verschlafe hier eine Entwicklung, brachte sich Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) gegenüber der dpa in die Debatte ein.
Doch das ist ein ungerechter Vorwurf. Die Bundesregierung bemüht sich längst auf EU-Gesetzesebene, die Zahlungen an der Höhe der Lebenshaltungskosten in dem Land auszurichten, in dem das Kind lebt. Schon im Frühjahr war sie aber bei der EU-Kommission damit abgeblitzt. Für gleiche Beiträge und Steuern solle man gleiche Leistungen erhalten, lautete das Argument aus Brüssel. Auch Kinder deutscher Eltern im Ausland erhalten das Kindergeld. Insgesamt zahlt Deutschland jährlich mehr als 30 Milliarden Euro Kindergeld.
Oberbürgermeister Link aus Duisburg sprach gegenüber dpa von kriminellen Schleppern, die gezielt Sinti und Roma nach Duisburg bringen würden und ihnen eine häufig heruntergekommene Wohnung verschafften, damit sie einen Wohnsitz zum Bezug des Kindergeldes hätten. Dass eine Senkung des Kindergeldes die adäquate Antwort ist, meint auch Thomas Kreuzer, der Vorsitzende der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag. Jetzt, da endlich auch SPD-Bürgermeister die bayerische Haltung einnähmen, brauche es eine gemeinsame Initiative.
Deutschland ist Gewinner der Globalisierung. Die hat jedoch ihren Preis – auch für Deutschland. Die Klagen von Kommunen über steigende Kindergeldsummen, die sie ins Ausland überweisen müssen, ist einerseits nachvollziehbar. Welche Stadt sorgt sich nicht um ihre Finanzen, angesichts steigender Zahlungen für kommunale Aufgaben und klaffende Löcher, die sich mancherorts etwa durch jahrelanges Kaputtsparen auftun? Da ist die Klage über die kriminelle Energie von Migranten ein willkommenes Scheinargument, die einen Arbeitsaufenthalt in Deutschland vortäuschen, um in den Genuss von Sozialleistungen zu kommen.
Solche Fälle zu identifizieren, wäre Aufgabe der Behörden. Der Staat muss seine Gesetze durchsetzen. Vor allem aber muss er sie selbst achten. Und zahlen, wo Ansprüche zu bedienen sind. Kindergeldzahlungen ins Ausland unter Hinweis auf dort niedrigere Lebenshaltungskosten zu reduzieren, ist unlauter. Das Gesetz macht keinen Unterschied zwischen der Nationalität, wenn es ums Kindergeld geht, weil es auch bei Steuern und Abgaben keinen macht. Noch niemand hat die Kürzung der Renten von deutschen Pensionären im Ausland vorgeschlagen, nur weil die Lebenshaltungskosten dort niedriger liegen als in Deutschland. Wer den Rechtsstaat will, kann seine Regeln nicht beklagen. Und seine Kosten auch nicht.