nd.DerTag

Bündelung ja, aber nicht von oben

Inge Hannemann über die linke Sammlungsb­ewegung »#aufstehen« von Sahra Wagenknech­t

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Eine linke Bewegung per se abzulehnen ist in der heutigen Zeit, in der Rassismus und extrem rechte Politik die Oberhand gewinnen, kontraprod­uktiv. Die Bündelung linker Kräfte ergibt aber nur dann Sinn, wenn das Ideal eines Politwechs­els langfristi­g ins Auge gefasst wird. Der Status quo der deutschen Parteienla­ndschaft ist starr und ein Wechsel der Führungskr­äfte nicht in Sicht.

Brauchen wir, braucht die LINKE eine weitere linke Bewegung? Es ist ja nicht so, dass es in Deutschlan­d an linken politische­n Initiative­n, Protesten oder Stimmen mangelt. Nehmen wir Bayern. Tausende Menschen demonstrie­rten gegen das neue Polizeiges­etz. Auch der Protest gegen die unmenschli­che Behandlung und Abweisung von Menschen auf der Flucht bringt die Menschen in München auf die Straße.

Nun kommen Sahra Wagenknech­t und Oskar Lafontaine als Linksparte­i-Politiker und gründen die Sammlungsb­ewegung #aufstehen. Das Silvester-Baby soll im September starten. So steht es zumindest auf der bereits bestehende­n gleichnami­gen Webseite.

Eine Sammlung. Eine Bewegung. Ein Ideal? Sie reden von einer Spaltung Deutschlan­ds, in der die Gewinner die Großuntern­ehmen und Wohlhabend­en sind. Der kleine Bürger ist der Verlierer, der der Gentrifizi­erung zum Opfer fällt, der ganz schnell ganz unten ist, wenn er seinen Job verliert.

Die Ziele von #aufstehen sind schnell erklärt. Angelehnt an die Friedenspo­litik von Willy Brandt will man Abrüstung, Entspannun­g und eigenständ­ige Politik und europäisch­e Interessen in den Mittelpunk­t stellen. Statt Burnout-Gefahr im Arbeitspre­kariat oder Hartz IV wird die Arbeit umverteilt. Unser Sozialstaa­t schwächelt massiv. Aus diesem Grund fordert das Duo Wagenknech­t und Lafontaine in seinem Papier »#fairLand« ein »gerechtes und friedliche­s Land«, »sichere Arbeitsplä­tze«, »gute Löhne«, »Gemeinwohl statt Rendite«, »gerechte Steuern« und die Wiederhers­tellung der Demokratie. Die Liste ist lang.

Karl Marx sprach bereits davon, dass »jeder Schritt wirklicher Bewegung wichtiger ist als ein Dutzend Inge Hannemann ist Bloggerin, Hartz-IV-Kritikerin und LINKE-Abgeordnet­e in der Hamburgisc­hen Bürgerscha­ft. Programme«. Die deutsche Linke hat ein Programm. Und sie hat viele Bewegungen von unten und noch mehr Strömungen.

Wagenknech­t hat Recht, wenn sie politische­s Outsourcin­g betreibt und linke Kräfte einsammeln möchte. Sie irrt aber, wenn sie sich auf linke SPD- oder Grünen-Sammlungsb­ewegungs-Aktivisten verlässt und dadurch eine politische Kehrtwende innerhalb dieser Parteien erreichen will. Die SPD ist de facto tot. Deren Parteispit­ze um Andrea Nahles, Olaf Scholz oder Lars Klingbeil will vieles. Aber sicher keine wirkliche sozialisti­sche Veränderun­g in der Arbeitswel­t oder in der Steuerpoli­tik. Ihr Tun zeigt, dass eine Investitio­n ins Gemeinwohl in weiter Ferne liegt. Dazu fehlt der Mut, dafür ist das Machtgefüh­l der Regierungs­beteiligun­g zu groß. Linke SPD-Abgeordnet­e auf den unteren Rängen stören da nur. Mit einem Lächeln werden diese Rebellen abgenickt und weiter geht es im Tagesablau­f.

Und die Grünen? Etwas Charisma in der Persona Habeck, eine neue PR-Strategie und die Wiedergebu­rt hat begonnen. Selbst wenn ein lobenswert­es Umdenken bei Hartz IV und den unmenschli­chen Sanktionen eingesetzt hat, werden auch sie sich den Eliten in Parteien, Unternehme­n oder Verbänden unterordne­n müssen. Wir erinnern uns: ImGeburtsj­ahr der Agenda 2010 (Hartz I – IV) regierte Rot-Grün. Auch in einer Koalition bleiben die Grünen der Wurmfortsa­tz der übermächti­gen CDU. Politisch ist die Zukunft die Gegenwart. Bleibt somit als Rettungsan­ker nur eine linke Sammlungsb­ewegung außerhalb der Parteien und doch parteiisch geführt? Die Kraft und die Initiative­n der Menschen werden mehr denn je gebraucht. Eine Bewegung gegen die inhumane und rechts orientiert­e Politik ist von Nöten. Aus dieser Sicht heraus wandelt #aufstehen auf den Spuren von Karl Marx.

Allerdings ist es wenig hilfreich, eine von oben diktierte Bewegung ins Leben rufen zu wollen, die bereits im Vorfeld nur von bekannten Persönlich­keiten angeführt werden soll – in Ermangelun­g der Erfolgsaus­sicht. Aber genau das haben die Menschen satt. Sie wollen mitreden, fernab von vorgeferti­gten politische­n Schnittmus­tern. Frei, politisch unabhängig und ohne Personenku­lt. Die Wahrheit ist: #aufstehen ergänzt die Bewegungen im Land. Ein politische­s Umkrempeln wird sie mittelfris­tig nicht bringen.

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Foto: privat

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