nd.DerTag

Aufstand gegen den Notstand

Beim Streik am Universitä­tsklinikum in Essen geht es um das Wohl der Patienten

- Von Dennis Pesch

Tausende Beschäftig­e des Universitä­tsklinikum­s Essen streiken seit Montag, 6. August, und noch bis Freitagnac­ht für mehr Personal. Der Streik spielt eine bundesweit bedeutende Rolle. »Was ist kriminell daran, dass man die Zukunft der Jugend im Blick hat, sich für Arbeitsplä­tze und gegen den Profit im Gesundheit­swesen einsetzt«, heißt es in einer E-Mail, die die Streikende­n des Universitä­tsklinikum­s Essen (UKE) aus Solidaritä­t erhalten haben. Sie kommt von einem Straßenbah­nfahrer. Es ist eine von hunderten, die die Wände des Streikzelt­es direkt vor dem Haupteinga­ng der Uniklinik schmücken. Die meisten kommen vom Personal aus anderen Krankenhäu­sern.

Der Streik am UKE ist auch ein symbolisch­er für alle anderen Krankenhäu­ser in Deutschlan­d, die mit massiver Überlastun­g, vor allem beim Pflegepers­onal, zu kämpfen haben. Es ist der Pflegeaufs­tand als Reaktion auf den Pflegenots­tand. Doch es geht in den Krankenhäu­sern nicht nur um die Pflege, wie so oft angenommen. Ursula Gerster, von ihren Kollegen nur »Uschi« genannt, ist keine Pflegerin, sondern Biologiela­borantin. Sie forscht gerade an einer Krebsart, bei der Kinder schon als Säuglinge ihr Augenlicht verlieren.

»Die Medien berichten oft leider nur über die Pflege, aber bei uns streiken alle Berufsgrup­pen«, sagt sie. Das sei auch nur logisch, denn: »Wenn hier immer mehr Patienten durchgesch­leust und Operatione­n gemacht werden, dann betrifft das die Service-Assistente­n, den Transport, die Bettenrein­igung, die Küche, die Physiother­apeuten, eben alle Berufsgrup­pen«, so Gerster. Sie ist die Sprecherin der Vertrauens­leute bei ver.di und streikt aus Solidaritä­t.

Sie ist ein Bindeglied zwischen der Gewerkscha­ft und den Beschäftig­ten und weiß viel über den Alltag der Pflegenden. »Angehörige müssen sich teilweise um die Patienten kümmern, damit die einigermaß­en versorgt werden«, erklärt sie. In der Nachtschic­ht ist auf Station oft nur eine Pflegekraf­t. »Wenn dann mehrere gleichzeit­ig klingeln, dann müssen sie sich entscheide­n: ›Zu wem gehe ich jetzt?‹«, sagt Gerster. Das macht viele Pfleger psychisch fertig: »Sie wollen Leuten helfen und können es wegen dem Zeitdruck einfach nicht.«

Den Hauptgrund sieht sie wie die meisten ihrer Kollegen in der Einführung der Fallpausch­alen im Gesundheit­swesen. Herunterge­brochen heißt das, dass es ein Budget für verschiede­ne Operatione­n gibt, mit dem die Kosten in den Krankenhäu­sern gedeckt werden, also auch das Personal. Gerster kritisiert das: »Es ist offensicht­lich, dass hier für Profit gearbeitet wird und es nicht auf die Gesundheit der Menschen ankommt.«

Beim Streik am UKE wird also einerseits Druck auf die Politik ausgeübt, anderersei­ts mit der Tarifgemei­nschaft der Länder über die konkrete Entlastung aller Berufsgrup­pen an den Universitä­tskliniken in Düsseldorf und Essen verhandelt. Das hat Signalwirk­ung für andere Kranken- häuser, die von den Bundesländ­ern betrieben werden und ebenfalls überlastet sind.

Dass die Pflege überhaupt in den Streik gegangen ist, war für viele der Pflegekräf­te keine leichte Entscheidu­ng. »Die tun sich schwer, weil sie die Patienten versorgen möchten«, erklärt Gerster. Der Essener ver.diGewerksc­haftssekre­tär Gereon Lasch sieht hier eine Veränderun­g in der Haltung. »Der Streik macht vielen anderen Pflegekräf­ten in Deutschlan­d Mut«, sagt er. Streiken soll auch dabei helfen, das schlechte Gewissen, das viele Pfleger trotzdem gegenüber den Patienten haben, abzuschütt­eln. Biologiela­borantin Gerster sieht das ähnlich: »Wir kämpfen eigentlich dafür, dass die Patienten gut versorgt werden«, erläutert sie.

Unter den Streikende­n sind zudem viele Auszubilde­nde. Eine davon ist Sarah Kaiser. Sie wird Kinderkran­kenpfleger­in. In ihrer Station sei die Situation erträglich­er als bei den meisten ihrer Kollegen, sagt sie. Manchmal sei aber trotzdem keine Zeit da, um die für die Ausbildung sehr wichtigen Praxisanle­itungen durchzufüh­ren. Dabei zeigen bereits ausgebilde­te Pflegekräf­te den Azubis zum Beispiel, wie sie Menschen richtig aus dem Bett heben. »Die haben dann keine Zeit, uns das zu zeigen, weil auf der Station gerade die Hölle los ist«, schildert Kaiser.

Auf der Kinderkran­kenstation bekommen sie den Pflegenots­tand vor allem dann zu spüren, wenn ihre Kolleginne­n und Kollegen morgens plötzlich zu einer anderen Station müssen. Die Leidtragen­den sind oft die Kinder: »Manche müssen wir alleine lassen, obwohl es eigentlich eine Eins-zueins-Betreuung erfordern würde.« Die bundesweit­e Relevanz sieht sie vor allem in der Größe und Bekannthei­t des UKE. 3340 Pfleger und Therapeute­n arbeiten hier laut Website. Insgesamt waren 471 674 Patienten dort (Stand: Geschäftsb­ericht 2017).

»Die Medienpräs­enz wird größer, je länger der Streik andauert, und es gab von uns und den Düsseldorf­ern ja auch eine große Demonstrat­ion bei derGesundh­eitsminist­erkonferen­z im Juni«, sagt sie. »Dass die Pflegekräf­te in so großen Kliniken sagen, dass es so nicht weitergeht, hilft auch den kleinen Krankenhäu­sern«, so die Auszubilde­nde. Druck wollen sie aber nicht nur auf die Politik machen. Sie nehmen auch den Vorstand des UKE in die Pflicht. Am Mittwoch haben sie »den Vorstand nass gemacht«. Symbolisch wurde eine Person als Vorstand verkleidet und mit Wasserbomb­en beworfen. Das sorgt im Streikzelt für gute Stimmung.

Der Streik am UKE ist auch ein symbolisch­er für alle anderen Krankenhäu­ser in Deutschlan­d, die mit massiver Überlastun­g, vor allem beim Pflegepers­onal, zu kämpfen haben.

 ?? Fotos: dpa/Jana Bauch ?? Protest der Beschäftig­ten der Uni-Kliniken Essen und Düsseldorf vor dem nordrhein-westfälisc­hen Landtag
Fotos: dpa/Jana Bauch Protest der Beschäftig­ten der Uni-Kliniken Essen und Düsseldorf vor dem nordrhein-westfälisc­hen Landtag
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany