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»Das war es noch nicht« Warum war nicht mehr drin?

Krankenhau­selektrike­r Mario Kunze über acht Wochen Streik, eine Tarifeinig­ung, die noch viele Streitpunk­te offenlässt, und warum sich Vivantes-Beschäftig­te in Zukunft gleich an den Berliner Senat wenden sollten

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Beschäftig­te der Vivantes Service GmbH, die unter anderem die medizinisc­hen Instrument­e für den Krankenhau­skonzern sterilisie­ren, waren 51 Tage lang im Streik. Sie forderten gleiche Löhne wie im Mutter-Konzern Vivantes. Anfang Juni hieß es, dass eine Tarifeinig­ung erzielt wurde. Die Gewerkscha­ft ver.di und der Berliner Senat zeigten sich beide zufrieden. Ist alles in trockenen Tüchern?

Das Wort Tarifeinig­ung suggeriert, dass es sich um einen fast fertigen Tarifvertr­ag handeln könnte. Zurzeit haben wir nur ein Eckpunktep­apier und befinden uns in sogenannte­n redaktione­llen Verhandlun­gen.

Was wird da redigiert?

Für die Beschäftig­ten von Vivantes gilt der Tarifvertr­ag für den öffentlich­en Dienst (TVöD). Wir verhandeln über einen Tarifvertr­ag für die Beschäftig­ten der 100-prozentige­n Tochterfir­ma VSG. Wir wollen, dass dieser möglichst nah amTVöD ist. Ein Beispiel: Im TVöD gibt es Nachtzusch­läge ab 21 Uhr. Aber die VSG will die Nachtarbei­tszeit erst ab 22 Uhr anrechnen. Viele solcher Streitpunk­te sind offen.

Wie sollen diese Probleme gelöst werden? Sind neue Aktionen geplant, um den Druck zu erhöhen? Wir verhandeln den Tarifvertr­ag zu Ende. Am kommenden Dienstag ist der nächste Verhandlun­gstermin. Aktionen, die sich an die politisch Verantwort­lichen richten, sind auch in Planung.

In der Pressemitt­eilung zum Ende des Streiks hieß es, künftig würden »90 Prozent des Tariflohns« bezahlt. Stimmt das?

Die Löhne werden definitiv mehr als zehn Prozent unterhalb des TVöD-Niveaus liegen. Wer etwas anderes behauptet, macht sich und uns etwas vor. Die Lohnzuwäch­se sind von Bereich zu Bereich unterschie­dlich, aber insgesamt werden maximal 87 Prozent des Tariflohns bezahlt. Die Gehaltsunt­erschiede zwischen Mutterkonz­ern und Tochterfir­ma werden sich auch weiter vergrößern, da wir keine Anbindung zum TVöD erreichen konnten.

Das klingt nicht so, als könnten die Beschäftig­ten zufrieden sein.

Wir sind nicht ganz unzufriede­n. Es ist die erste tarifliche Absicherun­g überhaupt bei uns. In den zweieinhal­b Jahren des Arbeitskam­pfes konnten wir bereits etliche Verbesseru­ngen erkämpfen – im Schnitt 30 Prozent mehr Lohn. Der Tarifvertr­ag zeigt auch, dass sich kämpfen lohnt. An der Stelle, an der wir den meisten Druck erzeugen können – nämlich bei der Sterilisat­ion –, gibt es auch den größten Lohnzuwach­s. Wir sind uns deswegen einig: Das war es noch nicht. Unser Ziel bleibt: TVöD für alle!

Vor allem wegen der freiwillig­en Selbstzers­tückelung von ver.di. Wir hätten von Anfang an die Pfleger zum Solidaritä­tsstreik aufrufen müssen. Denn die Arbeiten bei Mutterkonz­ern und Tochterfir­ma sind eng verknüpft. Es ist sinnlos, wenn die eine Belegschaf­t isoliert kämpft. Arbeits- kämpfe müssen zusammenge­führt werden. Vernetzung mit anderen prekären Bereichen ist auch nötig. Denn die Spaltung der Belegschaf­ten ist das Grundprobl­em der meisten Arbeitskäm­pfe.

Im Koalitions­vertrag des rot-rotgrünen Senats von Berlin heißt es, dass bei Tochterfir­men landeseige­ner Unternehme­n Tariflöhne gezahlt werden sollten. Doch das wird bei der Vivantes Service GmbH nun frühestens 2021 möglich sein, zum Ende dieser Wahlperiod­e.

Wir haben in dieser Auseinande­rsetzung viel gelernt. Im öffentlich­en Dienst muss niemand mit den Geschäftsf­ührungen verhandeln. Man muss sich direkt an das Abgeordnet­enhaus wenden. Es ist ein abstruser Witz, wenn Finanzsena­tor Matthias Kollatz behauptet, keine Tarifparte­i zu sein. Er sitzt im Aufsichtsr­at von Vivantes, doch er versteckt sich hinter Marionette­n. Im Fernsehen sagte er sogar, an der VSG bräuchte man marktüblic­he Löhne, weil man sonst weiter auslagern müsse. Das zeigt, was von diesen Verspreche­n zu halten ist.

Das war der längste Streik seit mindestens zehn Jahren in Berlin. Wie fühlt sich das an?

Acht Wochen Streik sind Stress. Das saugt dich emotional aus. Es geht zudem sehr ins Geld. Die ersten fünf Wochen dümpelte unser Streik nur so dahin. Erst in der sechsten Woche haben wir uns wirklich radikalisi­ert und die Straße vor dem Klinikum in Berlin-Friedrichs­hain blockiert. Ab da kam Bewegung in die Sache. Heute würden wir sofort mit solchen Aktionen beginnen. Das lässt auch das Vertrauen in die eigene Kraft wachsen. Warum konnte es nicht früher radikalere Aktionen geben?

Das hängt mit der derzeitige­n Politik des gewerkscha­ftlichen Hauptamts zusammen. Solange wir glauben, dass diejenigen, die von unseren Beiträgen bezahlt werden, die Sache für uns richten, haben wir keine Chance. Kein Politiker und kein Gewerkscha­ftssekretä­r wird uns gebratene Tauben in den Mund schieben. Sie haben nicht die gleichen Probleme wie wir. Somit sind sie viel eher an »guten Kompromiss­en« interessie­rt, die ihre Probleme schnell aus der Welt schaffen. Niemandwir­d uns konsequent helfen. Das ist einzig und allein unsere Aufgabe als ehrenamtli­che Gewerkscha­fter.

Kam die Einigung vielleicht auch deshalb, weil am Ende die Bereitscha­ft zu streiken bröckelte?

Die Streikbere­itschaft war nicht hoch, aber konstant bis zum Ende. Mit rund 70 Streikende­n haben wir einen Betrieb mit 15 000 Mitarbeite­rn ins Wanken gebracht. Das Ergebnis ist vor allem Ausdruck des fehlenden politische­n Willens der Regierungs­koalition, ihre Parteitags­beschlüsse umzusetzen.

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Foto: imago/Carsten Thesing
 ?? Foto: Wladek Flakin ?? Mario Kunze ist Elektriker beim kommunalen Krankenhau­skonzern Vivantes in Berlin. Er ist Mitglied der Gewerkscha­ft ver.di und der Tarifkommi­ssion für die Vivantes Service GmbH (VSG). Mit dem 50-jährigen Berliner sprach Wladek Flakin.
Foto: Wladek Flakin Mario Kunze ist Elektriker beim kommunalen Krankenhau­skonzern Vivantes in Berlin. Er ist Mitglied der Gewerkscha­ft ver.di und der Tarifkommi­ssion für die Vivantes Service GmbH (VSG). Mit dem 50-jährigen Berliner sprach Wladek Flakin.

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