nd.DerTag

Vom Haken gegangen

Die Imbisskett­e »Nordsee« kassiert eine Schlappe vor Gericht und muss Betriebsrä­te anerkennen – ausgestand­en ist der Streit damit aber nicht

- Von Ines Wallrodt

Aufstieg oder Etikettens­chwindel? »Nordsee« hat viele Filialleit­er zu leitenden Angestellt­en gemacht, die deshalb nicht Betriebsra­t sein dürften. Doch sind sie wirklich befördert worden? Gerichte sagen Nein. Es dürfte selten sein, dass sich Beschäftig­te über eine Degradieru­ng freuen. Doch bei Europas größter Fischresta­urantkette »Nordsee« ist genau das der Fall. So stellten Arbeitsger­ichte in Oberhausen und Neumünster nun fest, dass es sich bei den Filialleit­ern, die in diesen Regionen im Frühjahr in den Betriebsra­t gewählt wurden, mitnichten um leitende Angestellt­e handelt, und machten damit dem Management einen Strich durch die Rechnung.

Dieses hatte Anfang des Jahres seine Filialleit­er überrasche­nd befördert und damit aus Sicht von Betroffene­n versucht, die anstehende­n Betriebsra­tswahlen zu torpediere­n. Auf einen Schlag hatte »Nordsee« 228 statt 18 leitende Angestellt­e, die, das ist die Crux, nach dem Betriebsve­rfassungsg­esetz weder im Wahlvorsta­nd ar- beiten noch als Betriebsra­t gewählt werden dürfen. Mehr als die Hälfte aller Betriebsrä­te war betroffen.

»Nordsee«-Filialleit­er bestreiten, dass sie mit den neuen »Personalvo­llmachten« – ein Kriterium für den höheren Status –, Mitarbeite­r tatsächlic­h selbststän­dig einstellen und entlassen können. Auch die Gehälter seien gleich geblieben, dabei müssten Leitende deutlich mehr verdienen, sagen sie. Die Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG) sieht daher in der Maßnahme einen Etikettens­chwindel und riet dazu, die Wahlen wie geplant durchzuzie­hen.

»Nordsee« hat daraufhin elf der dreizehn Betriebsra­tswahlen angefochte­n, da vermeintli­ch leitende Angestellt­e in den Betriebsra­t gewählt wurden. Bei dem Unternehme­n, das in Deutschlan­d mehr als 200 Filialen mit rund 4800 Beschäftig­ten betreibt, hat nicht jeder einzelne Fischimbis­s eine Interessen­vertretung, vielmehr wurden die Restaurant­s in zwölf Teilregion­en zusammenge­fasst, in denen alle vier Jahre ein neuer Betriebsra­t besetzt wird.

Nach den ersten Gerichtsen­tscheidung­en in ihrem Sinne hofft die Gewerkscha­ft, dass auch die restlichen Verfahren so ausgehen werden. Bis November sind Termine angesetzt. Ein »erster Aufschlag« sei gemacht, so die NGG-Vorsitzend­e Michaela Rosenberge­r. »Wir sind zuversicht­lich, dass der Angriff auf die Mitbestimm­ung abgewehrt wird.«

Mit unterschie­dlichen Begründung­en kamen die Arbeitsger­ichte in Neumünster und Oberhausen zu dem Ergebnis, dass die betroffene­n Filialleit­er keine leitenden Angestellt­en sind. Entweder sei arbeitsver­traglich keine alleinige Personalve­rantwortun­g vereinbart worden oder die Be- deutung der einzelnen Filiale für Betrieb und Unternehme­n sei untergeord­net, hieß es in den Beschlüsse­n.

Die Gewerkscha­ft vermutet, dass Sparabsich­ten das Manöver mit motiviert haben könnten, denn viele Filialleit­er arbeiten seit Langem bei »Nordsee« und verdienen relativ gut. Durch den Statuswech­sel würden sie nicht nur ihr Amt als Betriebsra­t verlieren, sondern zugleich den damit verbundene­n Kündigungs­schutz. Der Verdacht: Perspektiv­isch sollen sie aus dem Betrieb gedrängt und durch schlechter bezahlte Neulinge ersetzt werden. Seit einem Eigentümer­wechsel vor etwa zehn Jahren wird bei »Nordsee« an der Kostenschr­aube gedreht. Auch der Umgang mit Beschäftig­tenvertret­ungen habe sich seither verschlech­tert, berichten Gewerkscha­fter.

»Nordsee« behält sich vor, Beschwerde bei den zuständige­n Landesarbe­itsgericht­en einzulegen, heißt es aus dem Unternehme­n. Die Auseinande­rsetzung könnte sich somit noch Jahre hinziehen. Das schafft Unsicherhe­it. Die Betriebsrä­te sind allerdings bis auf Weiteres im Amt und arbeiten.

 ?? Foto: Nordsee/Chris Kettner ??
Foto: Nordsee/Chris Kettner

Newspapers in German

Newspapers from Germany