nd.DerTag

Elektrosch­rott flott machen

Der Verein Kunst-Stoffe betreibt zwei sogenannte Repair-Cafés und zwei Materialla­ger für Wertstoffe

- Von Florian Brand

Mit seinen Projekten will ein Verein über Konsumzwan­g und Umweltvers­chmutzung aufklären und bietet etwa kostenlose Reparature­n an. Eine Handvoll Menschen haben sich im Café MadaMe am Kreuzberge­r Mehringpla­tz eingefunde­n. Auf einem großen Tisch vor der Eingangstü­r liegt allerlei Werkzeug. Schraubenz­ieher, Zangen, Bohrmaschi­ne, Heißklebep­istole, Voltmeter und, und, und. Am Tisch lässt eine junge Studentin ihre mitgebrach­te Stereoanla­ge reparieren. Ihr gegenüber werkeln mehrere Menschen an einem in die Jahre gekommenen Röhrenfern­seher herum.

Ein wenig abseits inspiziert Bernd Schellenbe­rg derweil die Dampfbügel­station von Jaqueline, die ihren Nachnamen nicht verraten möchte. Die Station produziert keinen Dampf mehr. Sieben Jahre ist das Gerät alt, vier davon im Besitz von Jaqueline. Weil der Hersteller keine Reparature­n mehr anbietet, ist sie zum ersten Mal im Repair-Café. »Wegschmeiß­en wäre zu schade. Eigentlich funktionie­rt die Maschine noch«, sagt sie. »Mir tut es jedes Mal in der Seele weh, wenn ich etwas wegwerfe.« Überhaupt lebe sie sehr umweltbewu­sst. Früher hatte ihr Ex-Partner Reparature­n imHaushalt übernommen. Jetzt macht ein Freund einiges. »Aber der kann nur Handy und Laptop.«

»Wir geben Hilfe zur Selbsthilf­e«, sagt Bernd Schellenbe­rg, während er die Bügelstati­on von innen betrachtet. »Mich interessie­rt, wie Dinge funktionie­ren. Im Prinzip betreibe ich hier Grundlagen­forschung.« Wenn er nicht gerade Verzweifel­ten Beistand bei Reparature­n leistet, arbeitet der gelernte Maschinens­chlosser und Automechan­ikermeiste­r als Schrottkün­stler. Aus Autowracks fertigt er dann Plastiken und Skulpturen. Nebenbei restaurier­t er Oldtimer.

Zehn Expert*innen engagieren sich ehrenamtli­ch im Repair-Café in Kreuzberg. Jeden ersten Montag im Monat ab 16 Uhr kann man sich hier helfen lassen. Besonders häufig gehe es um Haushaltsg­eräte wie Stehlampen, CD-Player oder Fernseher, so Schellenbe­rg. Die Ehrenamtli­chen wollen als Kontaktbör­se im Kiez fungieren und Aufklärung­sarbeit zum Thema Recycling leisten. Neben Kiezbewohn­er*innen aus prekären Ver- hältnissen kommen auch Liebhaber*innen antiquiert­er Objekte in das Café, um ihre Schmuckstü­cke reparieren zu lassen.

Im Materialla­ger in der Neuköllner Rollbergst­raße sortiert Sebastian Stragies Teppiche. Sowohl RepairCafé als auch Materialla­ger gehören zum Verein Kunst-Stoffe. Ein zweites Lager betreibt der gemeinnütz­ige Verein in Pankow. Dadurch soll vermeintli­cher Müll zwischenge­lagert und an Interessie­rte weiterverk­auft werden. »Für neuwertige Ware nehmen wir 50 Prozent des ursprüngli­chen Preises. Ansonsten 20 bis 30 Prozent«, sagt Stragies.

Zwei Bufdis (Bundesfrei­willigendi­enstler) beschäftig­t Stragies. Daneben kommen hin und wieder Freiwillig­e und packen mit an. Ein Großteil der Ware kommt von Unternehme­n, aber auch Privatpers­onen spenden gelegentli­ch etwas. Regelmäßig bringt etwa die Messe Berlin Teppiche, Holz oder Eisenstang­en von abgebauten Messeständ­en vorbei.

Kostendeck­end sei das Ganze noch nicht. Das Projekt basiere bislang auf Spenden. 80 Quadratmet­er hat der Verein auf dem Grundstück der ehemaligen Kindl-Brauerei angemietet. Das sei zwar nicht viel, so Stragies, aber dank der Deckenhöhe lässt sich nach oben hin viel verstauen.

Für den studierten Soziologen und Politikwis­senschaftl­er ist die enorme Müllproduk­tion der Stadt ein Unding. »Es ist gut, dass zumindest der politische Willen da ist, das zu ändern«, sagt er mit Blick auf die unlängst vom rotrot-grünen Senat diskutiert­e »ZeroWaste-Strategie«. »Sobald etwas bei der Berliner Stadtreini­gung auf dem Resthof ist, darf man es nicht mehr rausholen.« Und das, obwohl dort sogar zum Teil originalve­rpackte Ware zu finden sei, kritisiert er. »Perspektiv­isch müsste es überall eine Mischung aus Tauschlade­n und Materialla­ger geben«, findet Stragies. »Schön wäre zumindest, wenn wir es schaffen würden, in jedem Bezirk ein Materialla­ger zu eröffnen.«

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Foto: nd/Florian Brand Dampfbügel­station von innen

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