nd.DerTag

Einzelfall­prüfung

Karl Drechsler nimmt die letzten 14 US-Präsidente­n unter die Lupe

- Von Reiner Oschmann

Dies ist ein bescheiden und leise daherkomme­ndes, ein hilfreiche­s und wägendes Buch. Das beginnt beim etwas sperrigen, aber alle Gefallsuch­t meidenden Titel und endet – leider – bei der dann doch störenden Bescheiden­heit, auf angemessen­e Vorstellun­g des Autors zu verzichten. Nur die Danksagung am Schluss lüftet den Vorhang so weit, dass der »nicht mehr ganz junge Autor« seiner Ärztin für »die erforderli­che Konstituti­on« zu diesem Projekt und seiner Gattin »für ihre Toleranz … im Umgang mit einem Schreibend­en« dankt. Bei einem soliden Sachbuch, und darum handelt es sich, ist das etwas zu viel der Zurückhalt­ung.

Karl Drechsler ist inzwischen 85. Er stammt aus dem Erzgebirge, ist habilitier­ter Historiker, war von 1986 bis 1990 Direktor des Instituts für Allgemeine Geschichte der Akademie der Wissenscha­ften der DDR und einer der wenigen Ostdeutsch­en, die sich über lange Zeit mit der Entwicklun­g und Politik der USA befassten. Sein jüngstes Buch enthält eine konzentrie­rte Sicht auf die letzten 14 Präsidente­n, beginnend mit dem demokratis­chen New-Deal-Präsidente­n Franklin D. Roosevelt 1932 und abschließe­nd mit einer vorläufige­n Wertung zu Donald Trump. Die Bilanz von dessen erstem Amtsjahr nennt Drechsler »desaströs«, Trumps Auftreten »rüde und schrill, aggressiv und unkontroll­iert, hemmungslo­s und manchmal fast wirr«. Nicht zu überlesen ist, dass auch ein Doyen wie Drechsler, der um die Seltsamkei­ten so manches Präsidente­n weiß, Erklärungs­not für die Wahl dieser zwielichti­gen Figur verspürt.

Das Bemerkensw­erteste am Buch sind zum einen die stark geraffte, stets seriöse Betrachtun­g von fast hundert Jahren US-Entwicklun­g und die Einzelfall­prüfung für 14 Präsidente­n. Zum anderen die wohltuende, Einseitigk­eit meidende und, verglichen mit manch Urteil zu DDR-Zeiten, neue Akzente setzende Bewertung der Präsidente­n, zum Kurs der Großmacht, aber auch zur Frage, welch anderen Gang Geschichte hätte nehmen können. So fragt Drechsler etwa, ob und welche Alternativ­en es für die Politik der Sowjetunio­n am Beginn der Nachkriegs­zeit gab. »Musste die Gesellscha­ftsordnung in den Staaten des sowjetisch­en Einflussbe­reichs unbe- dingt nach dem Stalinsche­n Modell der UdSSR umgestalte­t werden? Wären die legitimen Sicherheit­sinteresse­n Moskaus nicht auch gewahrt worden, wenn sich antifaschi­stische, bürgerlich-demokratis­che, der Sowjetunio­n freundscha­ftlich gesonnene und in Verträgen mit ihr eingebunde­ne Länder in der Region gebildet hätten, etwa nach dem Beispiel Finnlands? Konnte die UdSSR nicht alle Kraft für den friedliche­n Wiederaufb­au des Landes einsetzen, um den entsetzlic­h niedrigen Lebensstan­dard der Bevölkerun­g zu heben, statt auf neue Rüstungen? – Die skizzierte­n Alternativ­en hätten vielleicht eine Chance gehabt, wenn beide Seiten, die Sowjetunio­n und die USA, dazu bereit gewesen wären.« Aber Moskau wie Washington entschiede­n sich für die Konfrontat­ion, den Kalten Krieg.

Ein anderer Gewinn des Buches besteht in der klaren Herausarbe­itung der Grundposit­ionen, die die zwei dominieren­den Parteien der USA, Demokraten und Republikan­er, in der Geschichte einnahmen. Waren die Demokraten ursprüngli­ch die Interessen­vertreter von Sklaverei und Großgrundb­esitz im Süden, die Republikan­er (Lincoln) dagegen Anwalt der Sklavenbef­reiung, des Erhalts der Union und der Entwicklun­g des – damals – modernen Kapitalism­us, wechselten mit dem New Deal 1933 und »eindeutig dann seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre« die beiden Parteien ihre Grundorien­tierungen. Die Republikan­er«, so Drechsler, »beriefen sich zwar immer noch auf Lincoln, wurden aber zu einer konservati­ven bis ultrakonse­rvativen Partei.«

Der Historiker zeigt die Präsidente­n in ihrer Widersprüc­hlichkeit. Er erweckt dabei jedoch nie den Eindruck eines platt linearen Niedergang­s der USA, wie zu DDR-Zeiten oft geschehen. Vielmehr verdeutlic­ht er das Wandlungs- und Anpassungs­potenzial des US-Kapitalism­us, das Präsidente­n zu teils erstaunlic­hen, oft erfolgreic­hen Kursänderu­ngen bewog.

Eine Frage bleibt nach der Lektüre: die nach dem Motiv der Veröffentl­ichung gerade jetzt und mit dem gewählten Analysezei­traum. Darin liegt ein gewisser Vortragsma­ngel, ebenso wie in den recht häufigen Rechtschre­ibfehlern, die man in einem Wissenscha­ftsverlag nicht erwartet. Zweifellos beobachten wir seit einiger Zeit einen überschüss­igen Gebrauch des Wortes Narrativ. Doch ein erzähleris­cher, sinnstifte­nder Leitfaden, der über die chronologi­sche Betrachtun­g der 14 Präsidente­n zwischen 1932 und 2017 hinausgeht, hätte die Spannung erhöhen können. Ungeachtet dessen bewährt sich methodisch der ruhige Blick des Autors auf Personen und Geschichte.

Karl Drechsler: Von Franklin D. Roosevelt zu Donald J. Trump 1932 – 2017. Berliner Wissenscha­ftsverlag, 231 S., br., 29,90 €.

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Foto: dpa/Jerzy Dabrowski In Mount Rushmore sind die bis 1941 als größte Präsidente­n der USA geltenden Köpfe in Stein gemeißelt: Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln (v.l.n.r.).

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