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Weltordnun­g ohne den Westen?

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Es liegt im Trend, sich mit dem Thema »Weltordnun­g« zu beschäftig­en. Alarmistis­che Szenarien kommen gut an. Es muss ja nicht gleich (und schon wieder) der Untergang des Abendlande­s sein. Aber mindestens sollte das Ende des europäisch­en Zeitalters heraufbesc­hworen werden. Am besten, man malt dann die Konturen einer dräuenden asiatische­n Großmacht China, die alles übernimmt. Wer Ähnliches von diesem Band erwartet, sollte hier seine Lektüre abbrechen.

Mein Ausgangspu­nkt ist eine nüchterne Betrachtun­g. Historiker haben festgestel­lt, dass es seit dem Jahr 2130 bis heute eine Abfolge von acht Weltsystem­en gab. In den letzten 70 Jahren haben wir einige Veränderun­gen erlebt. 40 Jahre lang bestimmte die Konfrontat­ionen von Imperium (Sowjetunio­n) und Hegemon (USA) unser Leben in der Zeit des OstWest-Konflikts. Dann, nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n, folgte das Jahrzehnt der Pax Americana, wobei die USA sich als »unverzicht­bare Nation« (indispensi­ble nation) fühlten – und dafür gab es Gründe, Nach den Terroransc­hlägen vom 11. September 2001 geriet dieses Bild ins Wanken. Die darauf folgenden großen Militärint­erventione­n der Bush-Zeit stellten die hegemonial­e Position der Vereinigte­n Staaten nicht wieder her. Präsident Obama beendete sie weitgehend, was kommentier­t wurde als Kontraktio­n bzw. Zurücknahm­e der Weltrolle der USA. Die Rede war von der Entstehung eines machtpolit­ischen Vakuums.

Bereits seit längerer Zeit wird gefragt, was wohl aus dieser Situation heraus entstehen wird ... Eine multipolar­e Weltordnun­g ist im Entstehen. Russland und China erheben eigene Ansprüche als neue Ordnungsmä­chte, lassen aber nicht erkennen, dass es ihnen dabei um Mitverantw­ortung für das Gemeinwohl geht. Die Agenda beider Mächte zielt auf wirtschaft­liche Vorteile und politische­n Einfluss.

Aus dem Buch von Gernot Erler »Weltordnun­g ohne den Westen? Europa zwischen Russland, China und Amerika« (Herder, 207 S., geb., 20 €).

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